Es sollte alles so schön werden, doch dann geht alles schief. Friedrich Merz verpasst die Kanzlerwahl, sechs Stimmen fehlen zur Mehrheit, mindestens 18 Abgeordnete der schwarz-roten Koalition haben nicht für den CDU-Chef gestimmt. Ein Debakel, aber noch nicht das Ende.

Wenn von einem Super-GAU die Rede ist, heißt es schnell: GAU, das heißt doch schon "größter anzunehmender Unfall", da braucht man doch kein "Super" davor. Aber nach dem, was sich am Morgen im Bundestag abgespielt hat, fällt es schwer, auf dieses "Super" zu verzichten. Friedrich Merz scheitert im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl. Nur 310 Abgeordnete stimmen für den CDU-Chef, insgesamt 18 Stimmen aus der erst gestern offiziell geschlossenen schwarz-roten Koalition fehlen. Wer ihn hängen ließ, ist unbekannt. Vertreter von Union und SPD beteuern, von ihnen könne es keiner gewesen sein. Bekannt hat sich erwartungsgemäß auch niemand.

Für Merz ist diese Niederlage ein Desaster. Noch nie hat ein Kanzlerkandidat nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen die Mehrheit verpasst. Am knappsten war es beim ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer, der nur mit einer Stimme Mehrheit gewählt wurde. Es schwirren nun mehrere Erklärversuche durch die Gänge des Bundestages. Unzufriedene SPD-Abgeordnete könnten ihre Drohung wahr gemacht haben, Merz nicht zu wählen. Insbesondere nachdem die Unionsparteien Ende Januar mehrmals gemeinsam mit der AfD abgestimmt hatten, waren viele SPD-Abgeordnete wütend. Erst in der vergangenen Woche berichtete der "Tagesspiegel" über acht Sozialdemokraten, die Merz nicht wählen wollten.

Doch Partei- und Fraktionschef Lars Klingbeil hatte am Montag bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages noch gesagt, er sei sicher, dass alle zustimmen. Das begründete er auch mit dem erfolgreichen Mitgliederentscheid. Außerdem hat die SPD nach allgemeiner Lesart viele Punkte in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Aber auch Merz hatte sich überzeugt gezeigt, dass "seine" Abgeordneten an Bord sind.

Merz' Ansehen ist ramponiert

Tatsächlich hätten sie weniger Grund ihn abzustrafen - natürlich, nach den Grundgesetzänderungen zugunsten neuer Schuldenmöglichkeiten war die Unzufriedenheit in der Union groß. Aber der aufgewirbelte Staub hat sich mittlerweile gelegt. Dachte man zumindest. Es bleibt letztlich Spekulation, wer Merz die Unterstützung verwehrte. Die Betreffenden dürften sich nicht erklären. Vorwerfen müssen sich Merz und Klingbeil allerdings, dass sie - offenbar - nicht ausreichend sichergegangen sind, dass sie ausreichend Stimmen haben.

Noch ist nicht aller Tage Abend für Merz. Weitere Wahlgänge sind möglich, vielleicht schon an diesem Dienstag. Dem müssten Grüne und Linke zustimmen. Klappt das nicht, soll es dem Vernehmen nach am Freitag einen zweiten Wahlgang geben. Ein Kuriosum des Verfahrens ist es, dass der zweite Wahlgang beliebig oft wiederholt werden kann - solange das binnen 14 Tagen geschieht. Doch fällt Merz noch einmal durch, schadet das seinem Ansehen immer mehr.

Das ist schon jetzt ramponiert. Noch am Montag hatte er kraft- und schwungvolles Regieren versprochen. Gelingt die Wahl noch, startet er mit einem Makel, den kein Bundeskanzler vor ihm hatte. Rein formal wäre er auch durch eine Wahl im zweiten oder dritten Wahlgang genauso legitimiert. Aber Merz hatte ohnehin "einen Kredit auf seine Glaubwürdigkeit" aufgenommen - wie er seine 180-Grad-Wende in der Frage Schuldenbremse und Sondervermögen genannt hatte. Das kostete ihn einige Wähler, wie das Trendbarometer von RTL und ntv zeigt. Die AfD erstarkte unterdessen.

Merz hatte aber ohnehin weniger Wähler von sich überzeugt als erhofft. Er erreichte ein schwaches Wahlergebnis von nur 28,5 Prozent, das zweitschlechteste in der Geschichte von CDU und CSU. Er stand also auch ohne das Scheitern im ersten Wahlgang vor der Aufgabe, neues Vertrauen zurückzugewinnen.

Die Dramatik steigert sich noch dadurch, dass die innen- und außenpolitische Lage prekär ist. "Europa braucht ein starkes Deutschland", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann vor Journalisten im Reichstagsgebäude. Die Wirtschaft wartet auf Reformen, während die AfD frohlocken kann. Sie versucht seit Jahren, ihre Konkurrenzparteien als unfähig darzustellen. AfD-Chefin Alice Weidel hatte Merz ein Scheitern vorausgesagt. Noch ist es nicht so weit. Aber klar ist: Auch wenn Merz durchkommt, wird er arg verbeult sein.

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