Nach der Annullierung der Präsidentschaftswahl startet Rumänien einen neuen Anlauf. Auch dieses Mal gehört mit George Simion ein Rechtsextremer zu den Favoriten. Grund sei die tiefe Enttäuschung über die Arbeit der Regierung, sagt Expertin Katja Plate.
ntv.de: Der Rechtsradikale George Simion, Vorsitzender der Allianz für die Union der Rumänen (AUR), ist Favorit bei der Präsidentschaftswahl in Rumänien. Die erste Wahlrunde startet am Sonntag. Welche Ansichten vertritt Simion?
Katja Plate: George Simeon ist seit etlichen Jahren ein politisches Phänomen in Rumänien. Er kommt aus der Hooliganszene des Fußballs. In Osteuropa ist diese Szene bisweilen mit politisch rechten Bewegungen verbunden. Simion forderte, im Sinne des rumänischen Unionismus, die Republik Moldau solle Teil Rumäniens werden. Das Gleiche forderte er bezüglich eines westlichen Teils der Ukraine rund um die Stadt Czernowitz, wo eine rumänische Minderheit lebt. Er wurde deshalb sowohl in der Republik Moldau als auch in der Ukraine zur Persona non grata erklärt und darf nicht einreisen. Kiew warf ihm auch vor, er sei ein russischer Spion und würde in irgendeiner Form mit den russischen Geheimdiensten kooperieren.
Überzeugt Simion die Wähler also, indem er als Hooligan auftritt, der von einem Großrumänien träumt?
Simions Partei holte bei den Parlamentswahlen 2020 aus dem Stand neun Prozent der Stimmen. Anschließend zeigte Simion im Parlamentsalltag seinen politischen Hooliganismus. Er bedrängte andere Abgeordnete und beschimpfte sie. Den Energieminister Virgil Popescu ging Simion während einer Rede körperlich an. Auch den Vertreter der jüdischen Minderheit im rumänischen Parlament ist er angegangen. Seit Simion sich entschloss, für die Präsidentschaftswahl anzutreten, gibt er sich aber seriöser. Er hat sich inhaltlich gut vorbereitet und sein Englisch verbessert. Er wusste etwa in Talkshows im Gegensatz zu anderen Kandidaten, wer die ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates sind.
Die rumänische Präsidentschaftswahl wird jetzt wiederholt, weil sie vergangenes Jahr aufgrund von Wahlmanipulation annulliert wurde. Als Favorit galt Călin Georgescu, ein anderer, pro-russischer Rechtsextremer, der inzwischen von der Wahl ausgeschlossen wurde. Wie schnitt Simion bei der annullierten Wahl ab?
Obwohl Simion sich viel Wissen angelesen und eng mit Beratern gearbeitet hat, ist er überraschend nur auf Platz vier gelandet. Da Georgescu wegen schwerwiegender Anklagen aufgrund von Wahlmanipulation ausgeschlossen wurde, wagt Simion jetzt einen neuen Versuch. Seine Partei AUR einigte sich mit der POT, einer anderen Partei im ultrarechten Lager, auf Simion als einen gemeinsamen Kandidaten. Simion tritt jetzt an mit dem Potenzial, 20 bis 30 Prozent der Stimmen zu holen. Er könnte sowohl die früheren Wähler Georgescus als auch der POT und seiner Partei hinter sich versammeln. Um die Wahl im ersten Gang zu gewinnen, müsste ein Kandidat die absolute Mehrheit der Stimmen bekommen. Da das unwahrscheinlich ist, wird es wohl einen zweiten Wahlgang geben.
Welche aussichtsreichen Gegenkandidaten gibt es?
Gute Chancen hat Crin Antonescu von der Nationalliberalen Partei (PNL). Die PNL regiert momentan gemeinsam mit der linkspopulistischen Sozialdemokratischen Partei (PSD) und der Partei der ethnischen Ungarn (UDMR/RMDSZ). Antonescu könnte zwischen 24 und 28 Prozent der Stimmen holen. Das gleiche Wählerpotenzial hat Nicușor Dan, Oberbürgermeister von Bukarest, der einst die liberale Partei USR gründete, nun aber parteilos antritt. Simion gilt eigentlich als gesetzt. Nun ist die Frage, ob Antonescu oder Dan in der zweiten Runde gegen ihn antreten.
Warum sind Rechtsextremisten wie Georgescu und Simion so populär? Sind die rumänischen Wähler mit der Regierung unzufrieden?
Ja. Die Sozialdemokratische Partei Rumäniens (PSD) hat nur wenig mit der ehrwürdigen Sozialdemokratie zu tun, wie wir sie aus Deutschland kennen. Es handelt sich um eine klientilistische Partei, die aus den Eliten des kommunistischen Diktators Nicolae Ceaușescu hervorgegangen ist. Die PSD ist also eine Reinkarnation des alten Systems, obwohl sie sich in der Zwischenzeit gehäutet und gespalten hat. Unter dem vormaligen Präsidenten Klaus Johannis wurde die PSD mit der PNL zu einer Koalition fusioniert. Das ist der Grund für den Frust der Wähler: Die PNL, die eigentlich als traditioneller Antagonist der PSD auftritt, macht mit ihr nun in einer Koalition gemeinsame Sache. Die Rumänen gehen aus Frust über das System auf die Barrikaden. Zudem kommunizierte Präsident Johannis, der auch der PNL angehört, während seiner Amtszeit kaum. Er sprach nicht mit der Presse und wirkte abgehoben.
US-Vize-Präsident JD Vance kritisierte auf der Münchner Sicherheitskonferenz, bei der Annullierung der Wahl sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. Er signalisierte Unterstützung für Georgescu. Wie hat das die rumänische Politik beeinflusst?
Das Paradigma der rumänischen Sicherheitspolitik lautet: Das Verhältnis zu den USA steht an erster Stelle, an zweiter die NATO-Mitgliedschaft und an dritter die Zugehörigkeit zur Europäischen Union. Das Verhältnis zu den USA ist nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wahnsinnig erschüttert worden, vor allem nach der Rede von Vance auf der Sicherheitskonferenz. Zuvor hatte sich die MAGA-Bewegung (Kurzform für Make-America-Great-Again-Bewegung, Anm. d. Red.) für Georgescu starkgemacht. Bis heute sind viele Politiker in Rumänien ratlos, wie sie damit umgehen sollen. Diese Attacke von Vance traf Rumänien sicherheitspolitisch ins Mark. Nun gibt es etliche Versuche rumänischer Politiker, vor Trump den Kotau zu machen. Und das beschränkt sich nicht nur auf die Politik. Die Hochschule für Politik- und Verwaltungsstudien in Bukarest etwa hat Trump für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.
Betont Simion deshalb immer wieder, wie stark er sich der MAGA-Bewegung verbunden fühlt?
Simion betont seine Nähe zum MAGA-Lager so explizit, weil ihm seit langem eine Nähe zu Russland nachgesagt wird. In der rumänischen Presse gibt es immer wieder Spekulationen: Wurde Simion als russischer Spion bei den rumänischen Geheimdiensten eingeschleust – oder umgekehrt als rumänischer Spion bei den russischen Geheimdiensten? Oder nichts von beidem? Vor den letzten Wahlen hat der rumänische Geheimdienst Simion eine Art Persilschein ausgestellt, in dem stand: Nein, er ist kein Spion irgendwelcher Geheimdienste.
Nun macht Trump aber keinen Hehl daraus, mit Russlands Präsident Wladimir Putin enger zusammenarbeiten zu wollen. Verfängt dennoch die Botschaft, Simion sei pro-MAGA, aber gegen Russland?
Es gibt gewisse Parallelen bei den Positionen, die von Russland und dem amerikanischen MAGA-Lager vertreten werden. Simion versucht dennoch, sich von Russland abzugrenzen, weil die rumänische Bevölkerung russlandkritisch und pro-westlich eingestellt ist. Eine Umfrage der NGO Funky Citizens vom Januar fragte die Rumänen, ob sie sich eher dem östlichen Lager um Russland und China oder dem westlichen Lager der EU und der USA zugehörig fühlen. 90 Prozent der Befragten fühlten sich dem Westen zugehörig und nur 4 Prozent dem östlichen Lager. Natürlich muss man hervorheben, dass die EU und die USA sich nach Entstehung der Umfrage immer weiter entzweit haben. Aber das Ergebnis zeigt, wie russlandkritisch die rumänische Bevölkerung eingestellt ist.
Wie würde Simion die rumänische Außenpolitik und die Zusammenarbeit in der EU verändern, würde er zum Präsidenten gewählt?
Im semipräsidentiellen System Rumäniens ist der Staatspräsident für die Außen-, Sicherheits- und Europapolitik zuständig. Zudem ist er Oberster Befehlshaber der Streitkräfte. Sollte Simion Präsident werden, würde er die großen Linien der Außen- und Sicherheitspolitik Rumäniens nicht fundamental umwerfen. Aber so geräuschlos und konstruktiv, wie Rumänien die europäische Außen- und Sicherheitspolitik bislang mitgetragen hat, wäre es mit Simion nicht. Und er würde seine rechtspopulistischen Tendenzen in der Innenpolitik ausleben. Da mache ich mir Sorgen um die Medien und die Zivilgesellschaft. Auch das liberale Bürgertum plagen diese Sorgen. Für viele steht fest: Wenn Simion Präsident wird, wandere ich aus, sobald ich ein gutes Jobangebot kriege.
Mit Katja Plate sprach Lea Verstl
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