Vor dem Landesparteitag am Samstag tobt im Thüringer BSW ein Machtkampf. Die Parteispitze um Wagenknecht will die bisherige Landeschefin Katja Wolf entmachten. Das Ergebnis der Kampfabstimmung könnte auch die Thüringer Regierung ins Wanken bringen.

Sahra Wagenknecht wurde in Thüringen geboren. Katja Wolf auch. Beide waren lange in der Linkspartei. Das dürfte es mit den Gemeinsamkeiten aber weitgehend gewesen sein. Die beiden Frauen trennt Grundsätzliches, ihr Politikverständnis, ihr Verhältnis zu Kompromiss und Verantwortung. Zum Showdown kommt es am Samstag auf dem Parteitag des Thüringer BSW in Gera.

Der Landesverband wählt dort zwei neue Vorsitzende. Katja Wolf, Finanzministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin in Thüringen, will wiedergewählt werden. Wagenknecht will das nicht. Sollte Wolf abgewählt werden, könnte das auch die ohnehin fragile Thüringer Brombeer-Koalition ins Straucheln bringen.

Wolf und Wagenknecht - das ist ein ungleiches Paar. Wolf hat langjährige Regierungserfahrung. Sie war zwölf Jahre lang Oberbürgermeisterin von Eisenach, jetzt ist sie BSW-Frontfrau in der Landesregierung mit CDU und SPD. Sie versteht sich als kompromissbereite Pragmatikerin, die überzeugt ist, dass die Dinge sich nicht dadurch ändern, indem man meckernd an der Seitenlinie steht.

Wagenknecht tickt da ganz anders. Sie hat nie regiert, bloß kommentiert. In der Linken hat sie Kräfte bekämpft, die die Partei vom Kurs der Fundamentalopposition weg und hinein in Regierungsverantwortung führen wollten. Es ist dieser grundsätzliche Konflikt zwischen Gestaltungswillen in Regierungsverantwortung auf der einen und Fundamentalopposition und Protestpartei-Dasein auf der anderen Seite, der Wolf und Wagenknecht ganz grundsätzlich entzweit.

Er steckt zurück - für sie?

Diese Entzweiung kann die Öffentlichkeit seit Monaten beobachten. Dass Wolf als eine der beiden Landesvorsitzenden einer Doppelspitze weitermachen will, kommentierte Wagenknecht kürzlich im "Stern". Sie sei "erstaunt über die erneute Kandidatur". Sie sei davon ausgegangen, dass es Konsens sei, "Partei- und Regierungsamt zu trennen, was ja auch sinnvoll ist."

Die Parteichefs müssten die Parteistrukturen weiter aufbauen. Dafür hätten die bisherigen Landesvorsitzenden Wolf und Infrastrukturminister Steffen Schütz als Regierungsmitglieder nicht genug Zeit. Schütz wollte zunächst wie Wolf erneut kandidieren, bis er am Donnerstag einknickte: "Das Projekt BSW erfordert manchmal, dass man zurücksteckt." Für Schütz' Nachfolge wollen Gernot Süßmuth und Matthias Bickel kandidieren, die bisher kein Mandat ausüben.

Katja Wolf will nicht zurückstecken. Eine Trennung von Regierungs- und Parteiamt hält sie nicht für sinnvoll. "In einer Partei, die noch so unstrukturiert ist wie unsere, wäre es das falsche Signal", so Wolf. Als Landesvorsitzende sei es leichter, im Koalitionsausschuss mit CDU und SPD zu verhandeln, da sie durch ihr Ministeramt zugleich auch im Thema stünde. Der Rückzug von Schütz kann als Versuch des pragmatischen Flügels gelesen werden, die Kritiker dadurch zu besänftigen, ihnen zumindest einen Posten in der Doppelspitze zu überlassen. Wolfs Kandidatur unterstützt Schütz nach wie vor: "Das BSW würde sich in der Regierung selbst verzwergen, wenn Katja nicht mehr Vorsitzende wäre."

"Wagenknecht hat eine Rechnung offen mit Wolf"

Die Parteiführung um Wagenknecht tut derweil nicht mal so, als wolle sie die Entscheidung über den Landesvorsitz den Thüringer BSWlern selbst überlassen. Im Machtkampf um den Landesvorsitz hat Wagenknechts Generalsekretär Christian Leye Wolf und Schütz vorgeworfen, die Einheit der Partei zu gefährden. Als Minister weiter zusätzlich auch die Parteiführung zu beanspruchen, wirke so, "als würde aus der Partei in einem Bundesland eine Privatparty gemacht".

Das brachte Schütz und Wolf auf die Palme. "Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Leye in den letzten Wochen Zeit gefunden hätte, mit mir zu sprechen. Das war leider nicht der Fall, obwohl ich mehrfach darum gebeten habe", keilte Schütz zurück. Und auch Wolf attestierte Leye, seine Einmischung sei "weder politisch noch demokratisch ein wirklich guter Stil".

Anstelle von Katja Wolf unterstützt die Spitze der Bundespartei ganz offen die Landtagsabgeordnete Anke Wirsing. Das Abrücken von Wolf erklärt sich der Politologe Sven Leunig von der Universität Jena unter anderem so: "Wagenknecht hat noch eine Rechnung offen mit Katja Wolf. Die Koalitionsbildung in Thüringen hat ihr nicht gefallen."

Platzt die Thüringer Brombeer-Koalition?

Das BSW regiert Thüringen seit Dezember mit CDU und SPD in einer sogenannten Brombeer-Koalition, die allerdings keine eigene Parlamentsmehrheit im Landtag hat. Während der Koalitionsverhandlungen hatte es immer wieder öffentlichen Krach gegeben, denn Wagenknecht war der Meinung, Wolf habe ihren Regierungspartnern zu wenig Zugeständnisse bei den Formulierungen im Koalitionsvertrag zum Ukraine-Krieg abtrotzen können.

Wäre es also der Anfang vom Ende der Brombeere, wenn der Parteitag Wolf absägt und ihre Konkurrentin Anke Wirsing ins Amt wählt? Die Regierungsbeteiligung könnte ein Hindernis sein, politikverdrossene Wähler bei den im kommenden Jahr anstehenden Landtagswahlen für das BSW zu gewinnen. "Aus der Opposition heraus ist es immer einfacher, alles Mögliche zu fordern", sagt Politikwissenschaftler Sven Leunig. "Da das BSW jetzt aber in zwei Bundesländern mitregiert, stellen sich die Leute natürlich die Frage, was die Partei umsetzt, wenn sie regiert. Kompromisse sind da schwieriger zu verkaufen."

Wirsing betonte, sollte sie Landesvorsitzende werden, habe sie nicht vor, "als erste Amtshandlung zu sagen, jetzt sprengen wir die Koalition. Ich bin nicht das trojanische Pferd im BSW", sagte sie der "Thüringer Allgemeinen". Man habe allerdings im Zuge der Koalitionsbildung Wählerinnen und Wähler verloren. Auch Sahra Wagenknecht, die am Donnerstag noch mal an alle Thüringer BSW-Mitglieder schreibt, betont, es gehe nicht darum, "ob wir weiterregieren, sondern wie wir weiterregieren."

Ihre Partei drohe in der Koalition ihren Markenkern zu verlieren, viele Sympathisanten würden aktuell nicht wieder BSW wählen. Bei der Landtagswahl am 1. September 2024 wählten noch 190.664 Thüringer Wähler das Wagenknecht-Bündnis, bei der Bundestagswahl waren es - trotz im Vergleich höherer Wahlbeteiligung - nur 124.760. Mit 9.529 Stimmen mehr hätte das BSW den Einzug in den Bundestag geschafft.

Wer ist Schuld am Wahlergebnis?

Das mit 4,981 Prozent denkbar knappe Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde hat die Partei erschüttert. Seither läuft die Suche nach Schuldigen. Die FAZ zitiert bereits Anfang März aus einem internen Mailverkehr. Alexander Ulrich, Beisitzer im Parteivorstand und nun ehemaliger BSW-Bundestagsabgeordneter, greift Wolf darin direkt an. Der Osten habe nicht geliefert "und eine Katja Wolf z. B. hat keine einzige Veranstaltung gemacht".

Wolf antwortet brüsk: "Woher weißt du, wie viele öffentliche Termine ich in den letzten Wochen und Monaten wahrgenommen habe?". Sie sei "SEHR GERN" bereit, ihren Kalender "inklusive der Wahlkampftermine, die ich wahrnahm", zu erläutern. Wolf schreibt: "Diese Art der Verleumdung kenne ich nicht mal aus der Linken." Ulrich teilt daraufhin weiter gegen Wolf aus: "Wenn Du etwas Charakter hast, dann trete als Landesvorsitzende zurück. Es braucht Personen, denen die eigene Karriere nicht so wichtig ist." Wolf sei "das Sinnbild für den Nichteinzug" in den Bundestag, zitiert die FAZ aus den E-Mails.

Der Einzug in den Bundestag war stets Wagenknechts wichtigstes Ziel. Der rasante Erfolg bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ist ihr gewissermaßen zum Verhängnis geworden. Dort wird das BSW als konstruktiver Akteur gebraucht, damit Mehrheiten ohne AfD-Beteiligung überhaupt noch möglich sind. Wagenknechts Strategie eines konfrontativen bis populistischen Wahlkampfs stand die Zusammenarbeit mit CDU und SPD in den Ländern jedoch entgegen.

Ob sich Wolf als Verteidigerin des pragmatischen Kurses oder ihre von Wagenknecht bevorzugte Gegenkandidatin Anke Wirsing durchsetzt, ist laut dem Politologen Sven Leunig schwer abzuschätzen. "Das ist ein ganz offenes Spiel, wer das letztendlich für sich entscheidet. Das BSW ist in weiten Teilen noch immer eine Blackbox." Von den 127 Mitgliedern - mehr hat der Thüringer Landesverband noch immer nicht - sind 40 am Landesverband vorbei allein durch den Bundesvorstand aufgenommen worden.

Wolf will mehr Kontrolle über Mitgliederaufnahme

Den Parteitag beschäftigt auch der Dauerzoff um die Aufnahmepraxis neuer Parteimitglieder. Bisher entscheidet der Bundesvorstand, wer zum BSW gehören darf - und tut dies ausgesprochen zögerlich. Nach Parteiangaben warten allein in Thüringen fast 1000 Unterstützer auf ihre Aufnahme als Mitglied. Wolf und ihre Unterstützer möchten auf dem Parteitag einen Antrag durchsetzen, der es auch dem Landesverband und den noch zu gründenden Kreisverbänden ermöglicht, über Mitgliedsanträge zu entscheiden.

Welche Mitglieder aufgenommen werden, entscheidet in Wagenknechts Partei nicht die unterste Ebene, der Kreisverband, sondern die oberste, der Bundesvorstand. "Es gibt Juristen, die sagen, das ist nicht gesetzeskonform", sagt Politologe Sven Leunig. In jedem Fall aber handelt es dem BSW regelmäßig den Vorwurf ein, eine Kaderpartei zu sein, in der nur Ja-Sager mitmachen dürften, die Wagenknechts Kurs bedingungslos mittragen. Dafür gibt es sogar eigens Castings mit potenziellen Neumitgliedern.

Wagenknechts deutliche Einmischung in die Wahl der Landesvorsitzenden wäre in anderen Parteien daher nahezu undenkbar, sagt Leunig. "Wenn das BSW eine klassische Partei wäre, von unten nach oben aufgebaut, dann gäbe es eher so eine Wir-stehen-zusammen-Mentalität gegen Berlin", sagt Leunig. Unklar, ob Katja Wolf sich dieses strukturellen Nachteils zum Trotz an der Landesspitze behaupten kann.

Wagenknecht dürfte sehr daran gelegen sein, sich dem Stein in ihrem Schuh am Samstag zu entledigen. "Katja Wolf ist aus Wagenknechts Perspektive zu sehr ihr eigener Chef. Als Oberbürgermeisterin, als Landtagsabgeordnete, damals noch für die Linke, ist sie viel erfahrener als die meisten im BSW, das sind ja vor allem Politik-Neulinge", erklärt Sven Leunig. Dass sie sich dem BSW angeschlossen hat, davon sei Wagenknecht anfangs sehr angetan gewesen. "Aber Wolf hat eben ein eigenes Standing und will sich auch nicht sagen lassen, wo es langgeht. Für Wagenknecht ist es einfacher, ihre Gefolgsleute in den Landesverbänden zu platzieren, die spuren."

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