Armin Laschet war Ministerpräsident, CDU-Chef und Kanzlerkandidat. Mittlerweile ist er als Außenminister im Gespräch. Im großen Interview sagt er, wie Deutschland mit Trump umgehen kann und wie die neue Regierung erfolgreich sein kann.
ntv.de: Herr Laschet, Ostern ist auch ein Moment, Atem zu holen. Wie kriegt man das in Aachen besonders gut hin?
Armin Laschet: In der Tat ist es jetzt eine ruhigere Zeit. Jetzt ist die Zeit, zu Hause zu sein und Ostern zu feiern. Darauf freue ich mich jedes Jahr.
Werden Sie eigentlich in Aachen auch manchmal mit Verteidigungsminister Boris Pistorius verwechselt?
Das passiert uns tatsächlich beiden immer wieder. Hier in Aachen glauben die Menschen aber eher, dass sie auf mich treffen.
Hinter der CDU, aber auch dem ganzen Land, liegen aufregende Monate und eine ziemliche Achterbahnfahrt. Was haben Sie im Wahlkampf und danach gelernt?
Als Kanzlerkandidat gehen Sie auf die großen Bühnen, reden und fahren sofort zum nächsten Termin weiter. Jetzt bin ich wieder von Tür zu Tür gegangen, so wie in meinen ersten Wahlkämpfen. Da bekommt man mehr von der Stimmung mit, als wenn man Kanzlerkandidat ist.
Was haben Sie da mitbekommen?
Es gibt eine gewisse Proteststimmung. Aber die Menschen tragen auch viele Sorgen aus ihrem eigenen Umfeld vor. Viele machen sich Sorgen wegen der internationalen Krisen und fragen, worauf sie sich einstellen müssen. So viel Wandel wie im Moment haben die Menschen in Westdeutschland lange nicht erlebt. Anders als die Menschen im Osten.
Denkt man da als früherer CDU-Chef und Kanzlerkandidat und Ministerpräsident: Warum tue ich mir das jetzt noch an?
Nein, das gehört zur Demokratie dazu. Man muss sich jedes Mal wieder zur Wahl stellen. Außerdem macht es mir Spaß. So viel direktes Echo und auch Zuspruch bekommt man selten. Am Ende habe ich acht Prozent mehr Stimmen als die Partei geholt…
… innerparteilich eine wichtige Währung …
… und ich habe das Direktmandat von den Grünen zurückgewonnen. Es gibt immer noch viel Anerkennung für meine Arbeit. Viele haben auch bedauert, dass es vor vier Jahren nicht gelungen ist.
Die Unionsparteien wollten bei der Wahl mindestens 30 Prozent erreichen. Auch die SPD hatte ein miserables Ergebnis, die AfD dafür bärenstark. War das ein Schock?
Ich hätte mir schon ein besseres Ergebnis gewünscht. Vor allem hätte ich mir eine kleinere AfD gewünscht. Bei meiner Bundestagswahl 2021 lag sie etwas über zehn Prozent. Jetzt ist sie doppelt so stark. Da mag viel Frust über die Ampel und das politische System dabei gewesen sein. Der Protest hätte dann eigentlich bei der Opposition, also bei uns, landen müssen. Das ist leider nicht so gelungen, wie wir uns das gewünscht haben.
Die Zahlen der AfD steigen und steigen. Was kann man da noch tun?
Nein, das stimmt so nicht. Es ist ein Auf und Ab, auch in Ostdeutschland. In Sachsen-Anhalt hat Reiner Haseloff beispielsweise letztes Mal auch wieder Wahlkreise von der AfD zurückgewonnen. Wir erleben eine Spaltung der Gesellschaft. Aus meiner Sicht hat das mit der Corona-Pandemie begonnen. Da hat sich ein Teil radikalisiert, der den Staat übergriffig fand. Dieses Vertrauen müssen wir wieder zurückgewinnen. Daher ist es richtig, die Pandemie aufzuarbeiten und Fehler offen zu benennen. Nur das schafft Vertrauen.
Als Friedrich Merz nach der Wahl dem Sondervermögen und der Schuldenbremsen-Lockerung zustimmte, kippte die Stimmung an der Basis endgültig ins Negative. Hat der Koalitionsvertrag das wieder ausgeglichen?
Ich finde den Koalitionsvertrag gut. Aber die schlechte Stimmung entstand auch, weil viele den Eindruck hatten: Im Wahlkampf klang das noch ganz anders. In der Sache selbst ist die Ablehnung gar nicht so groß. Ich treffe auf viele Menschen, die das richtig finden. Jeder erkennt, dass wir mehr für die Verteidigung tun müssen. Auch die Investitionen in die Infrastruktur sind notwendig. Auch daran habe ich wenig Kritik gehört.
Hätte man da nicht im Wahlkampf schon sagen müssen, wo die Reise hingeht?
Das hilft ja jetzt nicht weiter. Wir müssen die Probleme jetzt lösen.
Der Koalitionsvertrag steht, aber Papier ist geduldig. Schon gibt es Scharmützel über die Taurus-Lieferung, über Steuersenkungen und Mindestlohn. Geht es hier gleich weiter wie in der Ampel?
Ich hoffe nicht. Im Moment ist die Nervosität groß, weil die neue Regierung noch nicht einmal im Amt ist. Die Kanzlerwahl ist erst am 6. Mai. Dann muss die Regierung die wichtigen Themen anpacken, für Wachstum sorgen, Industriearbeitsplätze erhalten, eine neue Ordnung in der Migration schaffen und international zur Stabilität beitragen. Streit hilft da nicht weiter.
Wie schafft man es, einen Teamgeist zu entwickeln, damit das Kabinett wirklich an einem Strang zieht?
Als wir 2017 die Wahl in Nordrhein-Westfalen gewonnen haben, hatten wir mit der Koalition aus CDU und FDP nur eine Stimme Vorsprung. Das hat trotzdem all die Jahre gehalten, ohne die Streitigkeiten, die wir aus Berlin kennen. Mein Stil war immer, jedem Minister seine Punkte zu gönnen. Meine Einstellung war: Das hilft uns allen. Aber dazu muss man auch anderen etwas gönnen können. Man muss uneitel sein.
Am 6. Mai soll Friedrich Merz zum Kanzler gewählt werden. Wird er ein guter Kanzler?
Ich glaube ja. Sein Stil passt in die Zeit. Er war nicht sein ganzes Leben in der Politik. Er hat auch Erfahrungen außerhalb der Politik, auch international. Ich nehme ihn auch als uneitel wahr. Er inszeniert sich nicht den ganzen Tag. Wenn man ihm zuhört, merkt man: Er erkennt die Probleme und will sie anpacken. Er will ein paar Dinge wieder in Ordnung bringen. Dieser Pragmatismus, diese Nüchternheit passt in die Zeit.
Auch Merz wollte Vertrauen zurückgewinnen. Stattdessen steht ein Vertrauensverlust am Anfang. In Umfragen ist die AfD fast gleichauf mit den Unionsparteien.
Umfragen sind Momentaufnahmen. Früher hat man einer neuen Regierung 100 Tage Zeit gegeben. Heute hat man ja nur noch ein paar Stunden, bevor alles zerredet wird. Lasst diese Regierung die Kernthemen anpacken. Erst dann sollte man sie beurteilen.
Wenn nun Herr Merz zum Kanzler gewählt wird, macht Sie das wehmütig, denken Sie: Das hätte ich sein können?
Nein. Es ist wie es ist. Die Frage ist 2021 entschieden worden. Wir haben die Bundestagswahl damals nicht gewonnen. Olaf Scholz wurde Kanzler. Danach begann ein neues Kapitel und jetzt hat Friedrich Merz gewonnen. Darüber freue ich mich.
Haben Sie Resilienz-Tipps für unsere Leserschaft, als kleine Psychologie-Ratgeber-Ecke in unserem Interview?
Es gibt in der Operette "Die Fledermaus" einen schönen Satz: "Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist." Wenn etwas geschehen ist, lässt es sich durch Lamentieren nicht verändern. Wenn man das akzeptiert und weitermacht, wird man glücklicher.
Weitermachen ist ein gutes Stichwort. Ostern ist ja auch das Fest der Wiederauferstehung. Sie sind nun als Außenminister im Gespräch. Wollen Sie den Job überhaupt?
Das entscheidet der künftige Bundeskanzler.
Sie konnten auch kürzlich an der Seite von Annalena Baerbock neue Eindrücke gewinnen…
Na ja. Wenn man sich über viele Jahrzehnte mit Außenpolitik beschäftigt, ist eine Reise mit der Außenministerin nach Syrien kein völlig neuer Eindruck. Die Reise nach Syrien war mit unserer Fraktionsführung abgestimmt. Jenseits aller Wahlen geht es darum, auch in der Welt zu zeigen: Bei ein paar Punkten gibt es Kontinuität.
Ministerin Baerbock und ich wollten der neuen syrischen Regierung zeigen, wie unsere Bedingungen für eine Zusammenarbeit heute und in Zukunft sind. Sie muss die Rechte der Christen, der Alawiten und Kurden achten und natürlich die Rechte der Frauen. Das wird auch eine neue Regierung einfordern. Das sollte durch unsere gemeinsame Reise unterstrichen werden.
Einer der größten Herausforderungen wird es sein, mit US-Präsident Donald Trump umzugehen. Wie würden Sie es machen?
Das wird vor allem Aufgabe des Bundeskanzlers sein. Ich halte es für richtig, an den transatlantischen Beziehungen festzuhalten. Zugleich müssen wir uns für den hoffentlich nicht eintretenden Fall vorbereiten, dass die Amerikaner uns irgendwann nicht mehr beschützen könnten. Aber sich jeden Tag über Trump aufzuregen, sich über ihn lustig zu machen oder ihn zu beschimpfen, ist keine Außenpolitik.
Haben Sie verstanden, was Trump mit seinen Zöllen bezwecken will? Und können es uns erklären?
Nein, zumal es sich ja auch alle paar Tage ändert. Ich glaube, viele in der Administration wollen eine neue Weltfinanzordnung. Aber dann merken sie sehr schnell, dass es auch Rückwirkungen auf die Vereinigten Staaten hat. Dann korrigieren sie manches wieder. Wenn die Chinesen keine Boeing-Flugzeuge mehr kaufen wollen, hat das Folgen für Arbeitsplätze in den USA.
Aber jetzt mal ganz offen gesagt: Das ist doch die pure Inkompetenz im Oval Office. Wie soll das überhaupt gehen?
Immer wieder sprechen, immer wieder Gemeinsamkeiten aufzeigen und Lösungen anbieten. Wir müssen verhandlungsbereit bleiben, auch in der Zollfrage. Am besten wäre es, wenn wir ein Freihandelsabkommen und gar keine Zölle hätten. Die Weltwirtschaft hängt zusammen. Das erfordert gemeinsame Lösungen. Das müssen wir immer wieder klar machen.
Trump führt auch Gespräche mit Russland und Putin über die Ukraine. Können Sie sich vorstellen, dass es dieses Jahr zu einem Waffenstillstand kommt?
Es ist zu hoffen, dass der Krieg endet. Aber so, dass die Ukraine Ja sagen kann zur Sicherung ihrer eigenen Zukunft. Ein Waffenstillstand, der in wenigen Monaten oder Jahren infrage gestellt wird, hilft nicht weiter. Ein Frieden muss die Unabhängigkeit der Ukraine dauerhaft sichern. Noch ist nicht absehbar, wie das gehen soll. Die Amerikaner haben noch keine Lösungsvorschläge gemacht. In Paris sprechen gerade die USA, Europa und die Ukraine zusammen. Das ist gut. Ein Erfolg wäre wünschenswert.
Sollten wir Deutschen jetzt den Marschflugkörper Taurus liefern?
Wir führen unsere außenpolitischen Debatten immer nur über Waffensysteme, von Anfang an. Das halte ich für falsch.
Es geht ja auch um Krieg.
Es geht darum, nicht alles offenzulegen, was man hat. Das ist ein Fehler der deutschen Debatte. Frankreich macht das anders. Es lässt den Gegner im Ungewissen. Das ist klüger. Die Nato hatte historisch immer eine Wenn-Dann-Argumentation. Zum Beispiel beim Doppelbeschluss Anfang der achtziger Jahre. Die Nato sagte der Sowjetunion: Wenn ihr eure SS20-Raketen nicht abbaut, stationieren wir unsere Pershing II. Das hat im Kalten Krieg gut funktioniert. So eine Art der Argumentation hat auch Friedrich Merz gefordert.
Als er im Bundestag sagte, man müsse Russland sagen: Wenn ihr nicht aufhört die Zivilbevölkerung zu bombardieren, liefern wir den Taurus.
Man muss immer deutlich machen, was die Antwort sein wird, die wir geben. Jede Option, die Deutschland nicht in den Krieg zieht, sollte auf dem Tisch liegen.
Kürzlich gab es einen sehr schweren Raketenangriff auf die Stadt Sumy. Wäre das nicht die Bedingung, die Merz meinte?
Das ist doch jetzt eine theoretische Debatte. Die neue Regierung Merz ist ja noch nicht einmal im Amt. Es wird einen Konsens geben müssen zwischen dem Bundeskanzler, dem Verteidigungsminister und der SPD. Und ich glaube, der ist auch herstellbar.
An Ostern schauen die Christen auch in den Nahen Osten, dort wo Jesus auferstanden sein soll. Auch dort sehnen sich die Menschen nach Frieden. Es fällt schwer, da noch Hoffnung aufzubringen.
Wir haben gerade das jüdische Pessach-Fest, kürzlich war Ramadan, jetzt ist das christliche Osterfest. In Jerusalem treffen die drei Weltreligionen, das Judentum, der Islam und das Christentum zusammen. Dass die einen Beitrag zum Frieden leisten, kann man sich an Ostern wünschen. In Syrien und im Libanon entsteht eine neue Ordnung. Mit den Abraham-Accords arbeiten plötzlich arabische Länder mit Israel zusammen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung.
Sollte Deutschland den israelischen Premier Benjamin Netanjahu einladen? Eigentlich müsste er dann ja hier festgenommen werden und dem internationalen Strafgerichtshof überstellt werden.
Zu den Entscheidungen des Strafgerichtshofes ließe sich auch juristisch einiges sagen. Natürlich redet Deutschland und auch die EU mit Israels Regierungschef. Dass ein israelischer Premierminister in Deutschland festgenommen wird, ist für mich unvorstellbar.
Immer wieder werden Vergleiche zur Weimarer Republik gezogen. Markus Söder hat gesagt, die neue Regierung sei die letzte Patrone der Demokratie. Finden Sie das gerechtfertigt?
Historische Vergleiche sind immer schwierig. Manche Dinge sind ähnlich, andere sind völlig anders. Ich würde nicht von der letzten Patrone sprechen. Es hilft keinen Millimeter weiter, davor zu warnen, wir könnten in eine Lage wie 1933 geraten. Mit Horrorszenarien gewinnt man keine Wähler zurück. Man muss gut regieren. Dann wird sich das andere ergeben.
Das alte Motto von Johannes Rau „Versöhnen statt spalten“ haben Sie sich als Ministerpräsident zu eigen gemacht. Ist das noch zeitgemäß? Vor allem die Spalter werden gehört, Zwischentöne haben es schwer.
Die Frage ist, ob das auf Dauer trägt. In diesem Wahlkampf habe ich erlebt, dass viele dieses Motto geschätzt haben. Dass man sagt: Wir brauchen eine Debattenkultur und einen Stil, der auch Gegensätze wieder zusammenbringt. Das wollen die Menschen. Das gilt in jedem Politikfeld. Immer mal davon auszugehen, der andere könnte recht haben. Nicht alles moralisieren. Man muss sehen, wo finden wir Gemeinsamkeiten, wie versöhnen wir Gegensätze. Das ist außenpolitisch noch wichtiger. Nicht belehren, auch mit schwierigen Menschen reden.
Johannes Rau wurde schließlich Bundespräsident. Das klang jetzt auch bundespräsidial, Herr Laschet.
Johannes Rau hat dieses Motto schon lange genutzt, bevor er als Bundespräsident ins Gespräch kam. Insofern stellt sich diese Frage nicht. Wir haben einen Bundespräsidenten. Es ist kein Amt wie jedes andere. Es verbietet sich zur Unzeit Debatten über das Amt zu führen.
Mit Armin Laschet sprach Volker Petersen
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