Das Jahr 2026 ist in der Planung der britischen Regierung als Zeitpunkt für die „Wiederannäherung“ zwischen zwei stolzen und empfindlichen Einheiten vorgesehen, die seit Jahren an ihrem Streit festhalten: das Vereinigte Königreich und die Europäische Union.
Zieldatum ist Mitte des Jahres. Es würde Premier Keir Starmer helfen, der Koalition aus ehemaligen und neuen Brexit-Gegnern sowie einer Gruppe progressiver Wähler zu zeigen, dass er nach intensiven diplomatischen Bemühungen in Paris, Brüssel und Berlin Fortschritte bei der Heilung des Post-Brexit-Traumas erzielt hat.
Für beide Seiten, die Insel und den Kontinent, ist das wichtig, weil die Gefährdung für Europa durch Russland zunimmt. Zudem geben die angespannten Beziehungen der USA zu Europa, die zuletzt mit den Einreiseverboten von europäischen Aktivisten gegen Hassrede im Internet einen neuen Tiefpunkt verzeichneten, weiteren Anlass zur Hoffnung, dass sich Großbritannien mit der EU wieder in einen Block gemeinsamer Interessen einreihen könnte.
Für viele britische „Remainer“, die ihr Land in der EU sehen wollen, ohne sich mit einer Volksbefragung herumschlagen zu müssen, fühlt sich das an wie ein Moment des möglichen Durchbruchs. Aber eine allzu offene Kehrtwende wäre kompliziert, weil sich große Teile der britischen Öffentlichkeit weiter unbeeindruckt von den negativen Folgen des Brexits zeigen. Auch würde London beispielsweise seinen hart erkämpften Zoll-Deal mit Washington, der britische Arzneimittelexporte in die USA begünstigt, kaum aufgeben wollen.
Deshalb hat sich Starmer für einen weniger auffälligen Weg der Wiederannäherung entschieden, anstatt die alten Kämpfe komplett neu zu beginnen. Im Frühjahr wird es ein Jahr her sein, dass die Gespräche mit Ursula von der Leyen, der Präsidentin der EU-Kommission, begonnen haben, die zuerst mit der vagen Zusage begonnen hatten, Gespräche über ein Mobilitätsprogramm für junge Menschen sowie über die heikle Frage der Angleichung von Lebensmittelstandards aufzunehmen.
Aber nach einem Jahr fällt die Bilanz mager aus. Eine positive Nachricht ist, dass das Vereinigte Königreich ab 2027 wieder an Erasmus, dem EU-Austauschprogramm für Studenten, teilnehmen wird. Die weniger gute Neuigkeit ist, dass London als Wiederbeitrittsgebühr für das Austauschprogramm rund 840 Millionen Pfund pro Jahr zahlen wird – was angesichts der begrenzten Zahl von studentischen Leistungsempfängern zu einem politischen Streitpunkt werden wird.
Unklar ist zudem, wie weit London bei der Förderung der Jugendmobilität gehen wird. Bisher hat die britische Seite eine Obergrenze von etwa 44.000 Visa pro Jahr für 18- bis 30-Jährige vorgeschlagen – auch, damit Keir Starmer nicht einen größeren Zuwachs von Einwanderung rechtfertigen muss. Die EU besteht aber auf einer unbegrenzten Zahl von möglichen Visa für junge Menschen.
Formell ist ein visumspflichtiges Studentenprogramm zwar nicht mit allgemeiner Einwanderung gleichzusetzen. Aber die politische Kulisse für einen Premierminister, der von einer starken und grundsätzlich einwanderungsfeindlichen Partei – Nigel Farages Reform UK – bedrängt wird, ist auch das nicht unkompliziert.
Derzeit hat der Kontinent aber ohnehin größere Probleme als die Frage, wie viele junge Menschen im Ausland als Baristas arbeiten oder Uni-Kurse in Birmingham oder Berlin besuchen dürfen. Die echte Wiederannäherung findet außerhalb der EU-Kanäle statt – getrieben von der Notwendigkeit, die Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit zu verstärken und eine einheitliche Reaktion Westeuropas auf die potenzielle Bedrohung durch Russland zu schaffen.
Freundschaft mit Friedrich Merz
Es ist eine echte und solide Freundschaft, die Keir Starmer mit dem deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz als Teil eines „E3“-Dreiecks – Großbritannien, Deutschland und Frankreich – aufgebaut hat. Sie stehen gemeinsam hinter der Ukraine und stärken die Position von Selenskyj, während Amerika im Höchsttempo Friedensgespräche mit erheblichen Nachteilen für die Ukraine und das weitere Sicherheitskonzept von Europa vorantreibt.
Dennoch sind die nationalen, politischen und industriellen Interessen immer noch verschieden und können schnell wieder auseinanderklaffen. Das Scheitern der Verhandlungen über das SAFE-Programm zeigt, wie schwierig es ist, Großbritannien wieder an die EU anzubinden. Dabei ging es um einen Zugang britischer Rüstungsunternehmen zu 150 Milliarden Euro Krediten aus Brüssel in Rahmen des europäischen Rüstungsprogrammes. Trotz der Unterstützung für Starmer von Merz aus Berlin kam Großbritannien nicht am Widerstand aus Frankreich vorbei. Im Ergebnis ist der Zugang Großbritanniens vorläufig auf nur ein Drittel der Summe beschränkt, die Brüssel seinen Mitgliedstaaten bereitstellt.
In Richtung deutsch-britischer Allianzen sehen die Aussichten etwas besser aus, zumindest im Umriss. Die Entsendung von Susanne Baumann als neue Botschafterin, mit ihrem fundierten Hintergrundwissen in Sicherheit und Verteidigung, hat bereits Ende des Jahres 2024 ein deutsch-britisches Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich hervorgebracht.
Ein weiteres Problem mit der Idee der Wiederannäherung bleibt, dass die Erfolgskriterien vage sind. Manche wollen noch viel weiter gehen und sich dafür einsetzen, dass Großbritannien möglichst bald einer EU-Zollunion beitritt – darunter eine wachsende Zahl von Starmers eigenen, eher proeuropäischen Ministern. Einige sind potenzielle innerparteiliche Herausforderer um die Parteiführung.
Voraussichtlich bleibt dies eher Wunschdenken denn festes Ziel. Eine EU, die Großbritannien den Zugang zum SAFE-Abkommen für Kredite zur Förderung der Waffenproduktion in einer Zeit massiver Bedrohungen verwehrt und für die Wiederaufnahme Großbritanniens in das Erasmus-Programm hohe Gebühren verlangt, wird kaum offen sein für den Wiedereintritt Großbritanniens in eine zollfreie Zone.
Außerdem bleibt fraglich, ob Großbritannien neue Freihandelsabkommen mit Ländern wie den USA und Indien aufgeben will, um näher an Europa heranzurücken. Großbritannien hat mit großem Tamtam ein Technologie-Abkommen unterzeichnet, das darauf abzielt, einen Mittelweg zwischen der freizügigen Regulierung der USA und der strengeren Variante Europas in den Bereichen KI und Digitalisierung zu finden. Es kann nicht einfach den Kurs ändern, ohne hart errungene Vorteile einzubüßen.
Also bleibt als Gretchenfrage, wie viel Annäherung man wirklich will – und zwar auf beiden Seiten. Eine Rückkehr zur Position Großbritanniens von vor dem Brexit, in dem sich London die Vorteile aussuchen konnte, scheint unmöglich. Gleichzeitig haben die Gefahr aus dem Osten und der Druck aus den USA bereits zwangsweise neue Denkmuster eröffnet. Das wird noch mehr werden müssen – zur Frage, was es bedeutet, sich anzunähern, während man getrennt lebt.
Anne McElvoy ist leitende Redakteurin für Politik bei „Politico“ in London und Mitglied des Global Reporters Netzworks von Axel Springer.
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