Alle haben davor gewarnt, schon seit Jahrzehnten. Zbigniew Brzezinski, einst Sicherheitsberater zweier US-Präsidenten, mahnte schon 2010, ein israelischer Angriff auf Atomprogramm des Iran wäre „keine gute Idee“. „Das würde den Konflikt im Irak wieder aufflammen lassen, würde den Persischen Golf in Brand setzen, den Ölpreis verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen.“ Und der Westen würde noch abhängiger von Russlands Öl.

Der amerikanische Verteidigungsminister Leon Panetta warnte 2011, ein solcher Schlag könne „unvorhersehbare Konsequenzen“ haben. Sein Nachfolger Robert Gates sprach vor „katastrophalen Folgen“.

Noch im Juni 2025 warnte UN-Generalsekretär António Guterres eindringlich, israelische Angriffe auf das iranische Atomprogramm könnten die Welt auf „einen Pfad ins Chaos“ treiben. Dann trat ein, wovor alle gewarnt hatten – und es ist fast nichts passiert. Weder im Guten noch im Schlechten.

Das Jahr 2025 war im Nahen Osten so paradox wie wenige andere in der jüngeren Geschichte. Einerseits ist es das Jahr, in dem viele Albtraumszenarien eintraten, vor denen Politiker, Forscher und Militärs seit Jahrzehnten warnen, in dem eine ungewöhnlich hohe Zahl von Kriegen begann, aber auch endete, Anführer gestürzt und getötet wurden und neue auftraten.

Und doch unterscheidet sich die Landkarte der politischen und wirtschaftlichen Gegensätze in der Region kaum von jener in den Jahren zuvor. Kaum etwas hat sich geändert, aber zahllose Menschen haben entsetzlich gelitten und viele haben ihr Leben verloren.

Nach Zahlen der von den Vereinten Nationen geförderten Organisation ACLED sind 2025 mehr als 50.000 Menschen durch bewaffnete Konflikte ums Leben gekommen. Das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS) schreibt in seiner aktuellen weltweiten Konflikt-Übersicht „Armed Conflict Survey 2025“, im Nahen Osten habe sich „die humanitäre Krise dramatisch verschlimmert“.

Mittlerweile seien 17 Millionen Menschen in der Region zu Flüchtlingen geworden, allein in diesem Jahr hätten 600.000 weitere ihre Heimat verloren, also ein Anstieg von mehr als drei Prozent. Und die Zahl der Empfänger von humanitärer Hilfe in der Region sei um mehr als fünf Millionen Menschen auf mehr als 59 Millionen gestiegen, so das IISS.

In den vergangenen zwölf Monaten ist sehr viel geschehen. Die wichtigsten Entwicklungen lassen sich an fünf Schauplätzen veranschaulichen, die alle miteinander zusammenhängen, weil sie letztlich alle mit dem israelisch-iranischen Großkonflikt in der Region verknüpft sind.

Gaza-Streifen

Der Krieg in Gaza setzte sich fort, trotz mehrerer zwischenzeitlicher Waffenruhen. Israel startete neue Offensiven gegen Rafah und Gaza. Die vom Iran geförderte Hamas konnte stark dezimiert, aber nicht ausgelöscht werden. Auch Verhandlungen unter Vermittlung Ägyptens und Katars brachten keine Lösung.

Nachdem Israel im September versucht hatte, Hamas-Kommandeure mit einem Luftangriff auf die katarische Hauptstadt Doha zu töten und so auch die Missbilligung der mit Katar eng verbündeten USA erntete, setzte US-Präsident Donald Trump die Unterzeichnung eines Friedensplans durch, der jetzt umgesetzt werden soll. Zwar sind mittlerweile fast alle Geiseln der Hamas übergeben, doch ihre Entwaffnung verweigert die Hamas ebenso wie Israel seinen Rückzug.

Libanon

Ein Ende 2024 unterzeichneter Waffenstillstand zwischen Israel und der ebenfalls Iran-treuen Hisbollah im Libanon hielt weitgehend. Doch der libanesischen Armee gelang weder die Entwaffnung der Hisbollah noch die faktische Übernahme der Sicherheitshoheit im Süden des Landes. Zuletzt verstärkte sich der wechselseitige Beschuss zwischen Israel und der Hisbollah wieder und die Angst vor einem neuen Krieg wächst.

Syrien

Mit der Schwächung der Hisbollah durch Israels Bombardements und die Tötung ihrer Führungsfiguren im vergangenen Jahr hängt vermutlich auch der gewaltsame Machtwechsel in Syrien in diesem Jahr zusammen. Auch weil die Hisbollah Syriens Diktator Baschar al-Assad nicht mehr schützen konnte, gelang im Dezember vergangenen Jahres der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Scham der Sturz Assads.

Das erste Regierungsjahr ihres Anführers Ahmad al-Scharaa war geprägt von ethnischen Auseinandersetzungen innerhalb Syriens und einer israelischen Besetzung von Gebieten im Süden des Landes. Über ein Abkommen mit Israel verhandelte Scharaa vergeblich.

Jemen

Im Jemen ist die Lage ebenfalls offen. Noch zu Anfang des Jahres legte die vom Iran ausgerüstete Huthi-Miliz mit ihrem Beschuss von Handelsschiffen den kommerziellen Verkehr im Roten Meer weitgehend lahm und feuerte Raketen und Drohnen Richtung Israel.

Amerikanische und britische Bombardements sicherten das Rote Meer wieder, doch zugleich ist ein bewaffneter Konflikt der von arabischen Golfstaaten geförderten Gegnern der Huthis ausgebrochen. Von allgemeinen Friedensverhandlungen, die vor dem 7. Oktober 2023 aussichtsreich erschienen, ist das Land weit entfernt.

Iran

Der wichtigste Konflikt des Jahres 2025 war zweifellos der Zwölf-Tage-Krieg zwischen Israel und dem Iran im Juni. Nach mehreren wechselseitigen Raketen- und Drohnenangriffen bombardierte die israelische Luftwaffe nicht nur Einrichtungen der Regierung und der regimetreuen Miliz der Revolutionsgarden, sondern auch zentrale Einrichtungen des iranischen Atomprogramms.

Beim Angriff auf die tief verbunkerte Anlage in Fordo halfen die USA mit Tarnkappenbombern und tief wirkenden Bomben. Doch die Angriffe konnten die Anlagen offenbar nicht ganz zerstören. Und von dem iranischen Vorrat von mehr als 400 Kilo hochangereichertem Uran fehlt jede Spur. Eine Aufklärung verweigert Teheran ebenso wie sinnvolle Verhandlungen über eine neue Atomvereinbarung.

2026 könnten sich viele Konflikte entscheiden

All das heißt unter dem Strich: Die Lage in der Region ist völlig offen. Die Untergangsszenarien, die befürchtet wurden, sind nicht eingetreten. Aber selbst dort, wo es scheinbar eine Übergangslösung gibt, herrscht nicht verlässlich Ruhe – weder im Gaza-Streifen, dem Libanon und in Syrien oder im Jemen, noch im nuklearen Großkonflikt mit dem Iran.

Im nun beginnenden Jahr könnten sich diese Konflikte entscheiden. Die wichtigsten Fragen dabei lauten: Wer regiert Israel in Zukunft? Und kann es noch einen Ausgleich im Nuklearstreit mit Teheran geben?

Im kommenden Jahr muss sich Ministerpräsident Benjamin Netanjahu der Wahl stellen. Wenn Präsident Jitzchak Herzog seinem Gnadengesuch nicht nachkommt, drohen ihm zudem bis zu zehn Jahre Haft. Wichtiger könnte aber die Frage sein, welche Parteien in die Regierung kommen. Wenn die der Siedlerbewegung nahestehenden Kräfte außen vor bleiben, ist eine Umsetzung des Gaza-Friedens denkbar und sogar eine Wiederannäherung an die arabischen Staaten.

Auch im Iran hängt alles an der Frage, ob die Hardliner sich durchsetzen. Revolutionsführer Ali Chamenei laviert traditionell zwischen radikaleren Kräften der Revolutionsgarden, unter denen einige die Erlangung der Nuklearwaffenfähigkeit verfolgen, und einer im Vergleich gemäßigteren Fraktion, die einen Ausgleich mit der internationalen Gemeinschaft empfiehlt.

Letztere erwartet sich davon eine Verbesserung der maroden Wirtschaftslage und wenigstens wieder etwa Unterstützung in der Bevölkerung. Dass die Herrschaft der Kleriker trotz der Bombardements im Sommer nicht gestürzt wurde, könnte die Hardliner ermutigen.

So könnte 2026 neue Kriege bringen oder eine schrittweise Stabilisierung. Neue Friedensschlüsse, etwa jenen zwischen Israel und Saudi-Arabien, wie man ihn vor dem Hamas-Angriff 2023 erhoffte, scheinen derzeit sehr weit entfernt. Das ist die Grundproblematik im Nahen Osten: Auf die Stabilität der Krisen kann sich jeder verlassen, hingegen ist jeder Versuch von Versöhnung ein Risiko für alle Beteiligten.

Daniel-Dylan Böhmer, Senior Editor im Ressort Außenpolitik, bereist die Länder des Nahen Ostens seit Jahrzehnten. Er befasst sich vor allem mit regionalen und globalen Sicherheitsthemen und wird regelmäßig als Experte in nahöstlichen TV- und Radiosendern befragt.

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