Bundeskanzler Friedrich Merz hat Opfern und Angehörigen des Anschlags auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt anhaltende Unterstützung der Bundesregierung zugesagt. „Wir stehen an Ihrer Seite, heute und in Zukunft. Und wenn es daran fehlen sollte, dann sind wir auch heute noch aufgerufen, dies zu korrigieren und dies zu verbessern“, sagte der CDU-Politiker bei einer Gedenkveranstaltung ein Jahr nach der Tat.
Die „schreckliche Gewalttat“ vom 20. Dezember 2024 überschatte auch Weihnachten in diesem Jahr, sagte Merz. In der gemeinsamen Trauer könnten Trost und Kraft liegen. Aber: „Auch Wut und Zorn dürfen sein im Auge von grausamen Verbrechen, wie dieses eines war“, betonte Merz.
Deutschland sei ein Land, „das nichts höher stellt als den Menschen, jeden Einzelnen, als das Leben eines Menschen.“ Es gehe darum, einander bedingungslos Anteilnahme zu schenken, wo Unrecht geschehe, zusammenzustehen, wo Gewalt ausbreche, und beharrlich denen beizustehen, die Gewalt erleben.
Haseloff: „Wir kapitulieren nicht vor dem Terror“
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bestärkte die Menschen darin, sich nicht dauerhaft von den Geschehnissen einschränken zu lassen. „Wir haben Verletzlichkeit erfahren, aber wir dürfen nicht Verletzte bleiben. Darum ist es ein wichtiges Zeichen, dass der Weihnachtsmarkt in Magdeburg nur wenige Meter von hier auch in diesem Jahr stattfindet“, sagte Haseloff vor mehreren Hundert Betroffenen. „Wir kapitulieren nicht vor dem Terror, wir leben unser Leben und unsere Traditionen.“
Die Tat habe die Stadt und das Land verändert, so der Ministerpräsident. „Die Wunden sind bis heute nicht verheilt, der Schrecken ist noch allgegenwärtig.“ Er erinnerte an die große Welle der Solidarität nach dem Anschlag und dankte den zahlreichen freiwilligen Helfern sowie den Rettungskräften. „Unser Miteinander beruht auf gegenseitigem Vertrauen, der Achtung vor der unantastbaren Menschenwürde und der Nächstenliebe.“ Attentäter würden mit aller Härte des Gesetzes zur Verantwortung gezogen, „aber wir dürfen unsere Freiheit und Würde nicht preisgeben, indem wir Hass in unseren Herzen Raum geben“.
Der Angriff vor einem Jahr habe in der Stadt tiefe Wunden hinterlassen, sichtbare, unsichtbare, persönliche, familiäre und gesellschaftliche, sagte Oberbürgermeisterin Simone Borris (parteilos). Den Betroffenen und Angehörigen sagte sie: „Sie tragen Lasten, die man nicht ablegen kann.“ Aber niemand solle mit seinem Schmerz allein bleiben.
„Es ist schwierig. Mein Kind ist tot“, sagt der Vater
Für den Tag des Gedenkens blieb der Markt geschlossen. Um 19.02 Uhr, zur Tatzeit vor einem Jahr, läuteten die Kirchenglocken der Stadt. Am Abend gab es eine lange Lichterkette rund um den Tatort. An der Mahnwache nahm auch Marco Gleißner teil, dessen neunjähriger Sohn André bei der Amokfahrt getötet wurde.
„Wir haben keine Lust auf Weihnachten, haben auch nichts dekoriert“, sagte der 47-Jährige der Katholischen Nachrichtenagentur. Für seine Trauer findet er schwer Worte: „Es ist schwierig. Mein Kind ist tot.“ Die Ärzte hätten ihm eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert.
Den Weihnachtsmarkt habe er dieses Jahr gemieden, sagt Gleißner, der noch vier weitere Kinder hat: „Es ist schwer, das alles zu sehen. Und ich habe auch Angst, dass wieder etwas passiert.“ Den Tag will er an der Mahnwache verbringen. Da müsse er niemandem etwas erklären. „Und in den Gottesdienst gehe ich. Auf die Gedenkstunde mit dem Bundeskanzler habe ich eigentlich keinen Bock.“ Er sei von den Behörden enttäuscht.
Vor der Johanniskirche nahe dem Tatort brennen an diesem grau verhangenen Tag viele Kerzen, Menschen legen Blumen und Kuscheltiere nieder, verharren kurz. Viele haben kleine Gedenksteine bemalt. „Warum?“ ist darauf immer wieder zu lesen. Jutta, Kathleen, Nadine, André, Birgit und Rita – die Vornamen der sechs Todesopfer werden im Gedenkgottesdienst verlesen. Für jedes von ihnen haben die Angehörigen Gedenkplatten gestaltet, die nahe dem Tatort im Boden eingelassen wurden. „Aus dem Leben entrissen! Niemals werden wir vergessen!“ steht auf einer.
„Nach einem Jahr merken wir, dass die Finsternis immer noch da ist: Da sind Lücken, die der Verlust eines Menschen in Familien und Freundeskreise gerissen hat und sich nicht einfach wieder schließen. Unzählige tragen Verletzungen an Körper und Seele, die so schnell nicht heilen“, sagte der katholische Bischof Gerhard Feige im Gedenkgottesdienst vor rund 250 Anwesenden. „Das Leben ist ein anderes, es ist ein Stück dunkler geworden.“
Ersthelfer schildern Chaos und Leid nach der Amokfahrt
Peggy Litzrodt war damals als Ersthelferin vor Ort und schildert, wie die Schreckenstat die fröhliche Weihnachtsmarktatmosphäre zerschnitt: „Man sah plötzlich Menschen herumschleudern. Und dann brach es aus, das Chaos. Schreie, unendliche Schreie. Menschen lagen kreuz und quer auf dem Boden und schrien vor Schmerzen. Man sieht Blut, verdrehte Gliedmaßen und alle schreien. Wem hilft man da zuerst?“
Neben ihr berichten weitere Zeugen eindrucksvoll im Gottesdienst von ihren Erinnerungen. Der Chefarzt der Unfallchirurgie im benachbarten Stendal, Senat Krasnici, erzählt, wie ihm per Anruf ein „Großschadensereignis“ mit vielen Schwerverletzten angekündigt wurde. Als er realisierte, worum genau es sich handelte, war es wie ein Déjà-vu: „Beim Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016 habe ich als Arzt in der Charité gearbeitet und auch damals die Opfer versorgt.“
Seit Mitte November läuft am Landgericht der Mammutprozess mit über 180 Nebenklägern gegen den Todesfahrer. Dieser ist geständig, zeigt aber keine Reue. Er war vor einem Jahr mit einem Auto über den Weihnachtsmarkt gerast, ein neunjähriger Junge und fünf Frauen im Alter von 45 bis 75 Jahren starben, mehr als 300 Menschen wurden verletzt. Anfang der Woche schilderten mehrere Zeugen im Prozess sehr ergreifend, wie der Anschlag sie und ihre Familie getroffen habe und bis heute belaste – mit schweren Verletzungen, körperlichen und psychischen Folgen.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke