Der Hongkonger Demokratie-Aktivist Jimmy Lai wurde in dieser Woche in zwei Punkten schuldig gesprochen: „Verschwörung zur Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften“ sowie „Veröffentlichung aufrührerischer Publikationen.“ Es ist wahrscheinlich, dass der 78-Jährige noch lange im Gefängnis bleibt. Seine Verurteilung gilt vielen als endgültiger Zusammenbruch der Pressefreiheit in der Stadt. Aber das ist nicht alles. Das Urteil sollte nicht nur Journalisten oder Aktivisten beunruhigen, sondern Regierungen, Unternehmen und Entscheidungsträger in ganz Europa.
Ich bin mit der Lektüre von Lais inzwischen eingestellter Zeitung „Apple Daily“ aufgewachsen. Sie war laut, manchmal unbequem, nicht immer perfekt – sie zeigte Hongkong also, wie es war: pluralistisch, streitbar und lebendig. Später schrieb ich Kolumnen für seine Zeitung – im Glauben, dass offenes Sprechen über Politik kein Akt des Mutes sei, sondern normaler Bestandteil des zivilen Lebens.
Während des Prozesses gegen Jimmy Lai wurde eine meiner Kolumnen vor Gericht als Beweis für „aufrührerisches Material“ angeführt. Ein Text, der zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung in einer offenen Gesellschaft legal und unauffällig war, wurde rückwirkend umgedeutet – um kriminelle Absichten zu beweisen. Das bringt auf den Punkt, was sich verändert hat.
Journalismus wird nicht mehr nach dem beurteilt, was geschrieben wird – sondern danach, wie Behörden seine Motive interpretieren wollen. Es geht nicht um eine einzelne Zeitung oder Autorin. Es geht um ein System, das freie Meinungsäußerung als Verdacht und Widerspruch als Illoyalität behandelt.
Jimmy Lai ist nicht nur ein Medienunternehmer. Er ist ein Mann, der bereits mehr als fünf Jahre in Einzelhaft verbracht hat. Er leidet an Diabetes und Herzkrankheiten. Ihm wurde wiederholt eine Freilassung gegen Kaution verweigert, er wird unter harten Bedingungen festgehalten: Hitze, keine Klimaanlage, kein Zugang zu externen Ärzten. Dies sind keine zufälligen Härten, sondern Teil der Strafe. Internationale Standards, darunter die Mandela-Regeln der Vereinten Nationen, existieren genau deshalb: um eine solche Behandlung zu verhindern.
Vertrauen erschüttert
Im Fall von Jimmy Lai haben sich die Verstöße gegen Menschenrechte über Jahre hinweg angehäuft. Möglich wird das auch durch internationale Resignation. Westliche Regierungen veröffentlichten Stellungnahmen, bekundeten „Besorgnis“. Doch echte Konsequenzen folgten nie. Wenn wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen unverändert fortgesetzt werden, verschwindet für Chinas Regime die Rechenschaftspflicht. Das Ergebnis ist Straflosigkeit – nicht als Unfall, sondern als vorhersehbare Folge.
Das spielt eine Rolle weit über Hongkong hinaus. Jimmy Lai ist britischer Staatsbürger. In der britisch-chinesischen Erklärung hatte sich China verpflichtet, in Hongkong weiter ein liberales Gesellschaftssystem zuzulassen. Dass er unter solchen Bedingungen inhaftiert werden kann, sendet die fatale Botschaft, dass solche Absprachen verhandelbar sind. Wenn Verträge und Standards folgenlos ignoriert werden können, welches Vertrauen sollten kleinere Gesellschaften oder Einzelpersonen in sie setzen?
Noch hat die internationale Gemeinschaft eine Wahl: Sie kann weiterhin solche Repression als innere Angelegenheit Chinas abhandeln – oder anerkennen, dass ihre Untätigkeit fatale Folgen hat. Nicht nur persönlich für einen Mann, sondern für die Glaubwürdigkeit des Systems, das uns alle schützen soll. Jimmy Lai zahlt den Preis dieses Schweigens mit seiner Gesundheit, seiner Freiheit und möglicherweise seinem Leben. Die Frage ist nicht, ob die Welt zusieht. Sondern ob sie bereit ist zu handeln.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke