Die zwei mächtigsten Medienpolitiker des Landes im Doppelinterview mit ntv.de: Wolfram Weimer und Nathanael Liminski warnen vor den Risiken der KI-Revolution. Google und andere Tech-Giganten dominieren das Internet, während die Medienvielfalt in Deutschland zu sterben drohe. Zugleich beschleunigten die "Echokammern" der sozialen Medien autoritäre Tendenzen. "Die entstandene Architektur unserer Informationsgesellschaft ist mit dem Überleben unserer Demokratie nicht vereinbar", warnt Kulturstaatsminister Weimer. Die Demokratie sei akut gefährdet. Zusammen mit NRW-Staatskanzleichef Liminski will Weimer den Kampf mit den Tech-Giganten aufnehmen - die in Deutschland bald Milliarden Euro zahlen sollen.

ntv.de: Herr Liminski, Herr Weimer, haben Sie heute schon etwas gegoogelt?

Wolfram Weimer: Ja, mehrfach. Eben im Bundestag habe ich heimlich in einer Rilke-Biografie gelesen. Da stand, die Mama habe ihn aus Trauer um die verstorbene Tochter als Mädchen großgezogen. Bei Google habe ich dann ein Foto gefunden, auf dem Rilke im Kleinkindalter Mädchenkleidung trägt.

Nathanael Liminski: Ich habe auch gegoogelt, aber weniger schöngeistig (lacht). Ich wollte einen Weg hier in Berlin herausfinden.

Wir fragen, weil wir wissen wollten, ob Sie die von Googles Künstlicher Intelligenz erstellten Antworten nutzen?

Liminski: Im Wissen, dass es die Quellen nicht ersetzt, nutze ich das natürlich im Alltagsgebrauch. Da geht es mir wie den meisten Bürgern. Das ist wahnsinnig bequem, aber urheberrechtlich eben auch wahnsinnig unsauber.

Weimer: KI-Antworten, sogenannte Overviews, nutze ich intensiv. Ich bin auch ehrlich beeindruckt, wie gut die sind und rasant besser werden. Die Wahrheit ist: Die Overviews haben das Internet revolutioniert.

Warum?

Weimer: Alles konzentriert sich auf die Suchmaschine und darauf, was die KI als Ergebnis zeigt. Immer weniger Menschen klicken sich noch durch die verschiedenen Internetseiten. Dort brechen die Klickraten ein. Die Overviews zentralisieren und monopolisieren den Informationsfluss und die Meinungsbildung zum Nachteil der Medienvielfalt.

Liminski: Wir haben in den vergangenen Jahren große Anstrengungen zum Erhalt der Medienvielfalt unternommen, Stichwort Leistungsschutzrecht. Das läuft alles ins Leere, wenn nicht mehr die einzelnen Quellen samt ihrer Inhalte relevant sind, sondern allein die KI-generierte Zusammenfassung.

Herr Weimer, Sie haben auf der Frankfurter Buchmesse von digitalem Kolonialismus gesprochen. Wie meinen Sie das?

Weimer: Zur Entwicklung dieser Large Language Models wird sich all das Wissen der Menschheit in einem systematischen, historischen Raubzug einverleibt. Technologisch ist das brillant, aber die KI-Unternehmen haben niemanden gefragt, ob sie das dürfen. Nicht diejenigen, die das Wissen produziert haben, nicht diejenigen, die die Inhalte und Bilder erstellt haben. Und bezahlt haben sie auch nichts.

Liminski: Das ist einer der Gründe, warum ich die Initiative von Wolfram Weimer unterstütze, bei der Einführung einer Digitalabgabe jetzt ernstzumachen. Ich bin froh, dass der Kulturstaatsminister dieses Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag sehr früh aufgegriffen hat - trotz der Zollverhandlungen und anderer Verstimmungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wer von der Vielfalt unserer Kreativ- und Medienlandschaft profitiert, muss an ihrer Refinanzierung beteiligt werden. Und um das direkt klar zu sagen: Ich denke hierbei in Milliarden, nicht in Millionen.

Wer soll die Abgabe zahlen und wer soll davon profitieren?

Weimer: Die Abgabe soll wirklich nur Big Tech treffen, jene Unternehmen mit Monopolisierungsstrukturen. Österreich macht das schon und hat die Grenzen so gezogen, dass es aktuell eine Handvoll Plattformen trifft. So stelle ich es mir bei uns auch vor.

Liminski: Das Geld soll zielgerichtet an diejenigen gehen, die durch Journalismus oder kreative Arbeit Inhalte produzieren und geistige Werte schaffen. Das wird nicht leicht abzugrenzen sein, ist aber möglich. Und gestaltet als Abgabe, wird ausgeschlossen, dass die Einnahmen ohne Zweckbindung irgendwo im Haushalt versickern.

In Milliarden-Höhe?

Liminski: Ja. Die Digitalabgabe soll kein kosmetischer Eingriff allein für das Protokoll oder die Galerie sein, sondern muss zu einer Säule der Finanzierung der Kreativ- und Medienlandschaft werden. Die Plattformen haben über Jahre zig Milliarden damit verdient, die Leistungen Anderer kostenfrei zu nutzen.

Weimer: Wir wollen noch im November ein Eckpunkte-Papier in die parlamentarische Diskussion geben. Dann können sich die Bundestagsausschüsse und die betroffenen Ministerien damit befassen. So könnten wir Anfang des Jahres ins Gesetzgebungsverfahren kommen und 2026 am Ziel sein.

Und wer zahlt, dem ist der digitale Raubzug vergeben?

Weimer: Nein. Wir müssen das Thema auf vier Ebenen adressieren: Gegen funktionale Monopole wie bei den Suchmaschinen oder unternehmerische Monopole müssen wir deutsches und europäisches Kartellrecht ins Feld führen. Hinzukommt das Thema Steuern. Wenn Konzerne dieser Größenordnung in Deutschland erhebliche Gewinne machen, müssen sie diese auch in Deutschland voll versteuern. Drittens muss das Urheberrecht regulatorisch geschützt werden. Und das Vierte ist aktive Industriepolitik, indem wir Medien und freie Medien stärken.

Die deutsche Bundesregierung gegen die Übermacht von Google und Co: Das klingt nach David gegen Goliath. Trifft es das?

Weimer: Google ist eines der drei mächtigsten Unternehmen der Welt. So ein Unternehmen artikuliert und verteidigt seine Interessen natürlich. Das ist auch in Ordnung. Vertreter aller großen amerikanischen Konzerne waren im Kanzleramt und wir haben deren Perspektiven angehört und nach alternativen Optionen gefragt.

Liminski: In den USA vermischen sich derzeit politische, wirtschaftliche, nationale und persönliche Interessen. Das macht es schwer. Wir müssen bereit sein, notfalls einen Preis zu bezahlen. Es kann nicht sein, dass mühsam entwickelte Regulierung im Bereich der Medien, wie der Digital Services Act oder der Digital Market Act, jetzt zur Verhandlungsmasse in den Zollverhandlungen wird. Mancher Schlaumeier in Berlin rät davon ab, weil wir deswegen im Handel mit den USA Einnahmen verlieren. Das ist mir klar und ich bin der Letzte, der das will. Aber ein Ausverkauf grundlegender Werte für den kurzfristigen ökonomischen Vorteil? Das kann nicht unser Ernst sein! Bevor uns die Amerikaner ernst nehmen sollen, müssen wir uns selbst ernst nehmen.

Die US-Regierung höchstselbst verbreitet, dass in Europa die Meinungsfreiheit eingeschränkt werde.

Liminski: Und das in Zeiten, in denen Medienunternehmen dort im vorauseilenden Gehorsam gegenüber der Regierung ihr Programm ändern und Moderatoren absetzen. Seit bald acht Jahren bin ich als Chef der Staatskanzlei so etwas wie die wandelnde Kompromissmaschine der Landesregierung. Aber bei dem, was uns die andere Seite des Atlantiks - etwa mit der Rede von JD Vance in München - momentan präsentiert, kann ich mir nur sehr schwer vorstellen, wie ein Kompromiss aussehen soll, wenn es um Fragen wie "Was ist freie Rede?" und "Wie ist das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung?" geht. Wer bei uns Geld verdienen will, kann das gerne tun - aber nach unseren Regeln. Das läuft in den USA übrigens nicht anders.

An welche Regeln denken Sie?

Liminksi: Antisemitismus und Volksverhetzung zum Beispiel sind keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Der Aufruf zu Straftaten ist bei uns ebenso strafbewehrt wie bewusste Falschaussagen über Dritte. Das alles muss selbstredend auch im digitalen Raum gelten. Die MAGA-Bewegung hingegen propagiert eine Meinungsfreiheit, die in ihrer totalen Ausprägung auch die Verletzung der Freiheit des Nächsten nicht als Grenze anerkennt. Das ist kein Modell für Europa.

Weimer: Ich bin froh, dass Nathanael Liminski das in dieser Deutlichkeit ausspricht. Wir erleben einen definierenden Moment unserer Demokratie, es geht um unsere Zukunft. Die entstandene Architektur unserer Informationsgesellschaft ist mit dem Überleben unserer Demokratie nicht vereinbar. Das weiß man auch in den USA. Amerikanische Kartellwächter oder etwa die kalifornische Regierung fragen sich ebenfalls "Wie gehen wir mit diesen Problemen um?".

Sie haben gefordert, Google zu zerschlagen.

Weimer: Ich habe da einen plakativen Begriff ins Spiel gebracht, bin damit aber ganz bei Ludwig Erhard. Im Ernstfall, wenn wir mit den anderen Instrumenten nicht weiterkommen und der Wettbewerb nicht funktioniert, ist nach dem Kartellrecht Zerschlagen immer eine Option. Mir wäre es aber lieber, die großen Plattformen würden sich bewegen und auch anerkennen, dass es ein Problem gibt.

KI-generierte Zusammenfassungen und Antworten auf Fragen finden sich bei sämtlichen großen Plattformen, bei Google, bei Meta, bei X. Sollen die alle als Medien reguliert werden?

Weimer: Ja. Google listet nicht mehr nur Suchergebnisse auf, sondern bietet Inhalte an, die zudem prominent platziert werden. Die KI arbeitet wie ein Redakteur und erstellt Texte. Damit ist Google ein Medium. Dann sollten für Google dieselben Regularien gelten wie für die Presse.

Liminski: Zu 100 Prozent. Spätestens mit dem eigenen Textangebot über KI ist definitiv der Nachweis erbracht, dass es sich um Medien handelt.

Was passiert, wenn wir nicht regulieren und gegenhalten?

Weimer: Es droht das finale Auspressen unserer Medienlandschaft. Die Vielfalt an Medien und damit die Perspektivenvielfalt existiert dann in wenigen Jahren nicht mehr. Durch die Digitalisierung stehen klassische Medien schon lange unter Druck, verlieren Hörer, Zuschauer und Leser - und vor allem Werbeeinnahmen. Diese Entwicklung hat sich mit der KI in den vergangenen 18 Monaten aber dramatisch beschleunigt.

Liminski: Es geht dabei nicht nur um das Überleben der Medienbranche. Es geht um das Überleben der liberalen Demokratie. Journalismus als regelbasierte Aufarbeitung von Fakten verliert ansonsten an Bedeutung. Vor ein paar Jahren haben wir noch über "alternative Fakten" gelacht. Aber dem kommen wir ohne Regulierung immer näher. Am Ende ist alles Meinung und alles relativ. Wenn sich aber eine demokratische Gesellschaft nicht mehr auf Fakten verständigen kann, droht ihr der Garaus.

Weimer: Über alle westlichen Länder hinweg ist ein Trend zum autokratischen Denken zu beobachten. Wenn in einem Land nach dem anderen die politische Kultur nach rechts abrutscht, hat das natürlich unmittelbar mit den digitalen Echokammern, also Social Media, zu tun.

Diese Echokammern finden sich auf Sozialen Medien, die besonders bei Jugendlichen eine wahnsinnige Wucht entfalten. Wie stehen Sie zu einer Altersbeschränkung für Tiktok und Co?

Liminski: Ich bin vierfacher Vater und es gibt die Momente, da würde ich soziale Medien manchmal selbst gerne verbieten. Als verantwortlicher Politiker bin ich trotzdem gegen ein Pauschalverbot bis 16. Wir müssen stattdessen einen verhältnismäßigen Umgang finden, der auch Akzeptanz findet. Mit Blick auf ein Pauschalverbot stellen sich mir drei Fragen: Ist es rechtlich durchsetzbar - dieser tiefe Eingriff und für welche Plattformen? Ist es technisch überhaupt umsetzbar? Bei beidem habe ich große Zweifel. Und drittens: Ist das politisch vermittelbar? Laufen wir nicht in einen neuen Generationenkonflikt hinein? Wenn Politiker im Boomer-Alter Social Media verbieten, werden Jugendliche das womöglich nicht hinnehmen.

Weimer: Jugendschutz ist richtig, aber er muss auch funktionieren. Wir brauchen viele kleine Eingriffe. Wenn Schulen keine Smartphones wollen, finde ich das ok. Aber ein Verbot für alle, das funktioniert nicht.

Wenn Sie ein Bot-Netzwerk ausgemacht haben oder eine Desinformationskampagne - was kann eine Regierung konkret tun?

Liminski: Ich setze mich sehr dafür ein, dass wir auf EU-Ebene Bots, Fake Accounts und gekaufter Reichweite verbieten. Sie verzerren die Wahrnehmung. Sie erwecken den Eindruck, eine Meinung werde von sehr viel mehr Menschen geteilt, als es tatsächlich der Fall ist. Was ist daran "freie Rede"?

Weimer: Das hat auch eine sicherheitspolitische Komponente. Andere Länder attackieren unseren Informationsraum. Das ist eine Frage der militärischen Abwehrhaltung, dass wir uns darum kümmern und das nicht einfach laufen lassen.

Wir haben jetzt viel über Künstliche Intelligenz, globale Tech-Konzerne und die Gefahren für unsere Demokratie gesprochen. Mit welchem Gefühl gehen Sie das an?

Weimer: Nach Pandemie, drei Jahren Rezession und Kriegserfahrung in Europa haben wir eine schwierige Stimmung in Deutschland. Ich bin aber Kulturoptimist. Wenn wir die Dinge seriös anfassen und neu sortieren, können wir sie zu einem guten Gelingen führen.

Liminski: Diese Generation hat einen so großen Zugriff auf Wissen wie keine vor ihr. Sie hat auch so viele Chancen wie keine vor ihr. Natürlich sind die Risiken auch größer geworden. Entscheidend ist, diese Themen in ihrer Reichweite und Dimension ernst zu nehmen. Am Ende muss und wird sich die liberale Demokratie behaupten.

Mit Nathanael Liminski und Wolfram Weimer sprachen Sebastian Huld und Volker Petersen

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