Das EU-Parlament hat einen Brandbrief an die Chefin der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) in Amsterdam, Emer Cook, geschrieben. Diese EU-Behörde ist für die Beurteilung und Überwachung von Arzneimitteln in Europa verantwortlich. Tenor des Briefs: Viele Produkte für männliche Verhütung sind in der Pipeline, aber derzeitige Regeln verhindern eine Weiterentwicklung. Verhindern also EU-Bürokratie und engstirnige Arzneimittelbehörden eine neue Revolution beim Verhüten?

„Wissenschaftler haben seit vielen Jahren Konzepte entwickelt, und es gibt auch interessierte Firmen, die solche Methoden gern auf den Markt bringen würden“, sagt der EU-Parlamentarier und Mediziner Peter Liese (CDU), der ein enger Parteifreund von Kanzler Friedrich Merz ist. Beide Politiker stammen aus dem Sauerland. „Der Durchbruch ist aber unter anderem deshalb nicht gelungen, weil die Regeln der Arzneimittelzulassungsbehörden weltweit ein Hindernis darstellen“, so der CDU-Gesundheitsexperte weiter.

„Immer noch tragen Frauen die Hauptverantwortung für die Empfängnisverhütung. Dabei gibt es längst vielversprechende Ansätze für sichere und nebenwirkungsarme Präparate für Männer. Veraltete und unfaire Zulassungsverfahren verhindern jedoch, dass diese auf den Markt kommen“, sagt auch die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley (SPD).

Die frühere Bundesjustizministerin kritisiert auch, dass „es nicht gerecht ist, dass für Männer nur Präparate ohne Nebenwirkungen zugelassen werden, während Frauen erhebliche körperliche und psychische Nebenwirkungen der Verhütung ertragen“.

Das sieht auch Liese so. Er moniert ebenfalls, dass Zulassungsbehörden bisher davon ausgingen, „dass der Mann keinen direkten medizinischen Nutzen von solchen Präparaten hat und nur Präparate mit null Nebenwirkungen zugelassen werden können“. Der EU-Abgeordnete weiter: „In einer modernen Partnerschaft sollte es aber so sein, dass beide Partner Verantwortung übernehmen. Dies muss die Regulierung auch berücksichtigen.“

Barley und Liese haben großen Einfluss im EU-Parlament. Sie hoffen nun, dass mit ihrem Brief eine Debatte in Gang kommt und die Arzneimittelbehörden anfangen umzudenken. Barley: „Die Europäische Arzneimittelagentur hat jetzt die Chance, hier echte Gleichstellung zu fördern und den Weg für moderne, faire Verhütungsmethoden zu ebnen.“

Bisher hat die EMA auf den Brief nicht reagiert. Dabei haben Barley und Liese auch gute wissenschaftliche Argumente. So berichtete kürzlich das renommierte Wissenschaftsmagazin „Nature“, dass der erste klinische Test einer Antibabypille für Männer, die keine Hormone enthält, erfolgreich verlaufen sei. Die Teilnehmer hatten keine besonderen Nebenwirkungen nach der Einnahme.

Die Pille trägt die Bezeichnung YCT-529. Dabei blockiert der Wirkstoff der Männer-Pille ein Protein, das für die Spermienproduktion notwendig ist. Das neue Präparat, das noch in der klinischen Erprobungsphase ist, verhindert laut Tests mit Mäusen und Maskenaffen Schwangerschaften zu 99 Prozent.

Und es wirkt sich nicht – anders als die Antibabypillen für Frauen – auf die Geschlechtshormone aus und führt damit auch nicht zu den bekannten Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme oder erhöhten Cholesterinwerten.

Per Injektion in die Samenleiter

Gleichzeitig wird aber auch an weiteren Produkten geforscht, wie Verhütungsmitteln auf hormoneller Basis, teilweise werden Langzeitstudien erstellt. Auch ein Hormongel für Männer (NES/T-Gel), das auf die Haut der Schulter aufgetragen wird, befindet sich in der Evaluationsphase. Laut Studien soll das Gel nach acht Wochen wirksam sein.

Ebenso wird ein sogenanntes Polymer-Gel (Vasalgel) erforscht, das minimalinvasiv in die Samenleiter injiziert wird und verhindert, dass Spermien in die Samenflüssigkeit gelangen. In Indonesien wurde zudem ein Teeaufguss der Pflanze Gendarussa als Verhütungsmittel für Männer getestet.

Erprobt wurde bei einigen Männern zudem das sogenannte Samenleiterventil. Klinische Studien liegen dazu allerdings nicht vor. Das Ventil wird in die Samenleiter eingesetzt und kann danach per Schalter geschlossen oder geöffnet werden – der Mann kann also selbst darüber entscheiden, ob Spermien in die Samenflüssigkeit gelangen oder nicht.

Ein weiterer Forschungsbereich ist die thermische Verhütung bei Männern. Grundprinzip ist dabei die Erwärmung der Hoden, etwa durch enge Unterwäsche oder Wärmepads, was die Spermienproduktion hemmen soll. Eine Methode, die erprobt wird, sind Silikonringe, die über den Penis gestreift werden und dadurch die Hoden in die Leistenkanäle verdrängen; dort ist die Körpertemperatur höher, wodurch die Produktion von Spermien gehemmt wird.

Der Vorteil von Samenleiterventil und einer Erwärmung der Hoden ist, dass sie hormonfrei sind und kein Eingriff erforderlich ist. Laut Umfragen ist die Bereitschaft bei Männern zu verhüten, wenn geeignete Mittel auf dem Markt wären, hoch.

Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die europäische Migrationspolitik, die Nato und Österreich.

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