Mit den Wölfen heulen ist leicht, eine eigene Meinung vertreten nicht. Der amerikanische Präsident macht es grad den Linken schwer - und deutsche National-Libertäre verschlucken sich am Veggie-Burger.

Das Schwierigste und zugleich Edelste, was der politische Betrieb hervorbringt: Wenn der Angehörige eines Lagers ausnahmsweise dem Gegner applaudiert. Wenn einer einmal sagt: Ja, da haben die anderen Recht und wir lagen falsch. Wenn einer nicht bange bei den eigenen Leuten nachfragt, ob er gerade Beifall klatschen darf.

Das ist allerdings eine aussterbende Tugend, was tragisch ist, denn sie ist der Kern unserer liberalen Demokratie: Das Irrenkönnen, Gönnenkönnen und Umlenken ist raison d'être unserer Meinungsfreiheit, sie ist der Grund, warum wir wählen und vor allem abwählen dürfen. Aber für den Meinungswechsel braucht es eine Rarität: Mut.

Einer, der diesen Mut immer dann zeigte, wenn es niemand erwartete, war der in dieser Woche verstorbene "Bild"-Kolumnist Franz Josef Wagner. Er war nicht nur begnadeter Stilist, er beherrschte nicht nur die Kunst menschlicher Zugewandtheit wie kein anderer. Er schrieb auch stets das, was er dachte und er dachte, was er schrieb - für sich, nicht für ein politisches Lager.

Wagner verblüffte. Als die Koalition sich bei der Wahl einer Verfassungsrichterin blamierte, schrieb er: "Warum haben alle Angst vor Frauke Brosius-Gersdorf? Ist es die Angst vor einer klugen Frau? Sie sei zu links. Ich glaube, solche Frauen brauchen wir." Die F.A.Z. nennt ihn deshalb heute "Überraschungsfeminist". Der innere, manchmal unberechenbare Kompass unterscheidet Wagner von Influencern, die nicht mehr sind als Echokammern für ihr (wütendes) Publikum.

Greta Thunberg und ihre selbstbesoffene PR-Flotille

Wer in sein Weltbild eingemauert ist, hat es dagegen schwer. Da muss man erst einmal mit klarkommen: Nicht Greta Thunberg und ihre selbstbesoffene PR-Flotille hat die Menschen in Israel und im Gaza-Streifen jubeln lassen, sondern ein kriegerischer vermeintlicher Diktator mit Gold-Toupé im Weißen Haus.

Dass man mit einem beherzten Bombardement von Atomanlagen im Iran und einer Vorliebe für Burger und Golf ein Massensterben beenden und Geiseln befreien könnte, passt nicht ins linke, postkolonial-revolutionäre Weltbild. Dürfen wir da klatschen, fragen sich Aktivisten und ihnen wohlgestimmte Journalisten besorgt. Distanziert und verklemmt lesen sich daher manche Betrachtungen dieses diplomatischen Großereignisses in linken Publikationen.

In unendlich kleinerem Karo und unter umgekehrten Vorzeichen können wir diese Verklemmtheit in einer aktuellen Sottise der europäischen Wirtschaftspolitik beobachten. Das EU-Parlament möchte den Begriff "Veggie-Burger" und ähnliche verbieten, weil es angeblich zu gefährlichen Verwechslungen mit Fleischoriginalen kommen könnte. Seltsam: Bisher hatte ich wenig davon gehört, dass verwirrte Verbraucher beim Verzehr veganer "Fleisch"-Produkte Proteinabsturz, Tofuvergiftung oder Erbseninfarkt erlitten.

Die EU liefert eine Witzvorlage, die dermaßen gut ist, dass sie die elende Saga über Vorgaben des Gurkenkrümmungsgrads ablösen könnte. Es fallen einem sofort allerlei Nahrungsmittel ein, deren Bezeichnung, vom Blickwinkel eines EU-Bürokraten betrachtet, Verwirrung stiften könnten.

"Habt Ihr sie noch alle?"

"Handkäs mit Musik" etwa kommt ohne Instrumente aus, "Berliner" enthalten keine Hauptstädter, "Hamburger" keine Hanseaten und von Gesichtsmortadella wollen wir gar nicht anfangen. Sogar die Grünen wagen einen Gag, mit "Schwarzer Herrenschokolade", die enthalte gar keine Herren, ha! Inzwischen stehen zudem in Supermärkten Weihnachtsmänner, in denen gar keine - und so weiter.

Einer der wichtigsten Gesetzgeber der Erde kümmert sich um Burgeretiketten - wo sind denn die Libertären, die Nationalen, die EU-Kritiker grad? Haben die sich mit einem Sojaschnitzel vergiftet? Nein: Angst haben sie, davor, wohin ihr Kompass sie eigentlich führen müsste.

Denn der Veggie-Burger-Quatsch hat erstens seinen Ursprung bei französischen Konservativen und zweitens möchte man grundsätzlich nicht im Lager von Grünen und Veganern gesehen werden. Bundeskanzler Friedrich Merz, der sonst die EU-Regelungswut immer kritisiert, sagte denn auch in einer Talkshow brav, um die Fleischideologie seiner kulturkampfbereiten Klientel wissend: "Eine Wurst ist eine Wurst. Wurst ist nicht vegan." Brav, langweilig.

Das Bürgergeld ist jetzt ein Bas-Projekt

Doch es gibt Lichtblicke in Sachen Unverbogenheit, einen solchen lieferte in dieser Woche Bärbel Bas. Die SPD-Linke, Parteivorsitzende und Arbeitsministerin, ausgerechnet sie, machte sich nämlich zu eigen, was eigentlich nicht in ihr Lager gehört: Die Abschaffung des Bürgergelds. Dieses heißt nun "Grundsicherung", wer Termine im Jobcenter nicht einhält, dem sollen die Leistungen gekürzt werden.

"Was für eine soziale Kälte von dieser Koalition ausgeht, sieht man an den Vereinbarungen zum Bürgergeld", klagt die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Britta Haßelmann, und ihre Krokodilstränen fielen direkt als Eistropfen zu Boden.

Mit dieser Kritik musste Bas rechnen. Sie hätte den Schritt daher als Kompromiss darstellen können, als Zugeständnis an die Union, als bittere Pille, die eine von Blackrock-Merz bedrängte SPD nun einmal schlucken müsse und so weiter.

Aber das tat sie nicht. "Arbeitsverweigerer erhalten künftig keine Leistungen mehr", verkündete Bas stattdessen barsch. Die Abschaffung des Bürgergelds ist nun ihr Projekt - alle Achtung. Manche Linke wissen schon wieder nicht, ob sie jetzt klatschen dürfen.

Erfrischend: Ich glaube, solche Frauen brauchen wir.

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