Schon am Morgen des 7. Oktober 2023 gingen Bilder von Hamas-Terroristen mit motorisierten Paragleitern um die Welt. Spezialeinheiten der Hamas hatten sich lange auf den Einsatz der Gleitschirme vorbereitet. Der Plan ging auf: Der Grenzzaun zwischen Israel und dem Gaza-Streifen – eine Hightechanlage – konnte von den Terroristen überwunden werden. Dutzende von ihnen landeten direkt in angrenzenden Kibbuzim, griffen dort und beim Nova-Musikfestival an, mordeten, vergewaltigten und entführten.

Schon kurz darauf fanden sich Paragleiter-Symbole in der israelfeindlichen Protestszene wieder, auch in Deutschland. Bereits am 8. Oktober 2023 postete etwa die radikale Gruppe „Handala Leipzig“ aus der Palästina-Solidaritätsbewegung eine Grafik mit dem Symbol und dem Slogan „From the river to the sea“ („Vom Fluss bis zum Meer“). „Der Widerstand hat die besetzten Gebiete mit Segelflugzeugen befreit, die er selbst gebaut hat“, hieß es damals von der Gruppe auf Arabisch.

In Berlin hat zum zweiten Jahrestag des genozidalen Hamas-Massakers ein Demonstrationsaufruf für Empörung gesorgt, in dem der 7. Oktober „als heldenhafter Ausbruch“ und „Leuchtfeuer der revolutionären Hoffnung“ gefeiert wurde. Auf dem Plakat waren Personen abgebildet, die sich mit Palästinensertüchern vermummen – und ebenfalls ein Paragleiter.

Mehrere Straftatbestände könnten von der Verwendung des Symbols im Kontext des Israel-Gaza-Kriegs betroffen sein, etwa die Belohnung und Billigung von Straftaten oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Über die Strafverfolgung entscheiden Staatsanwaltschaften, über die Strafbarkeit Gerichte.

Das Tikvah-Institut – eine Nichtregierungsorganisation, die zum Thema Antisemitismus arbeitet – schlägt nun in einem Schreiben an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) vor, das Paragleiter-Icon im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts als verbotenes Kennzeichen der Hamas zu werten. Dies würde die Strafverfolgung und das Erkennen einer möglichen Straftat durch die Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften erleichtern.

Der Geschäftsführer des Instituts, der frühere Grünen-Politiker Volker Beck, sagte WELT: „Bei der Verwendung des Paragleiter-Symbols wird das Massaker der Hamas regelmäßig verharmlost und augenzwinkernd als Abenteuer aufgewertet. Dass die Verwendung häufig straflos bleibt, vermag das Rechtsgefühl jedes billig und gerecht Denkenden zu beeinträchtigen und zu stören.“

In Deutschland sind bislang keine Gerichtsurteile aufgrund der Verwendung des Symbols bekannt. In Großbritannien wurde im Februar 2024 eine Verurteilung gegen drei Frauen öffentlich, die bei einer Demonstration eine Woche nach dem 7. Oktober 2023 Fotos von Gleitschirmen mit Klebeband an ihren Rücken befestigt hatten. Die Angeklagten wurden wegen eines Terrordelikts zu Bewährungsstrafen von einem Jahr verurteilt.

Im Bundestag findet die Forderung des Tikvah-Instituts, das Hamas-Verbot entsprechend zu erweitern, bislang in dieser Form keinen Widerhall. WELT hat alle Fraktionen dazu angefragt.

Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm (CDU), sagte: „Die Verwendung des Paragleiter-Symbols im Umfeld einer sogenannten Pro-Palästina-Demonstration ist niederträchtig und eindeutig Terror-verherrlichend. Wer dieses Symbol auf einem Plakat zeigt oder am Körper trägt, billigt die Straftaten der Hamas-Terroristen, denn es nimmt eindeutigen Bezug auf die Taten des 7. Oktober.“ Dies könnte nach Paragraf 140 des Strafgesetzbuchs als Billigung einer Straftat strafbar sein, sagte der CDU-Politiker weiter. „Ich fordere die Staatsanwaltschaften auf, dies zu prüfen.“

Die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, spricht bezüglich der Verwendung von Gleitschirm-Bildern von einer „Verherrlichung des Massenmordes an Juden“. Dies könne „heute bereits als Volksverhetzung und Billigung von Straftaten rechtlich verfolgt werden“, sagte sie weiter. „Soweit diese Personen, die diese Symbole verwenden, Ausländer sind, sollten sie umgehend abgeschoben werden.“ Auch Personen, die an entsprechenden Versammlungen teilnehmen, wolle man „in Deutschland nicht haben“.

Die Grünen-Innenpolitikerin Marlene Schönberger beklagt „Antisemitismus als popkulturelle Inszenierung“. „Dieser gefährlichen Glorifizierung antisemitischen Terrors müssen wir uns klar entgegenstellen“, sagte sie. „Die Ausweitung des Paragrafen 86a Strafgesetzbuch (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen, d. Red.) auf das Paragleiter-Symbol ist der falsche Weg, um den ‚terrorist chic‘ unter Kontrolle zu bekommen. Solche Verbote sind rechtlich höchst problematisch, weil das Motiv an sich neutral ist und erst im Kontext Bedeutung erhält.“ Es brauche keine „juristische Grauzone, die am Ende mehr Unsicherheit als Haltung schafft“.

Tikvah-Geschäftsführer Beck hält dem entgegen, dass es keine Gesetzesänderung brauche. Eine Erweiterung der Verbotsverfügung zur Hamas sei ausreichend, um die rote Linie auch bei den Gerichten zugunsten einer Strafbarkeit zu verschieben. „Für die Strafbarkeit nach Paragraf 86a ist kein Vorsatz der Verherrlichung erforderlich, wenn ein Symbol als Kennzeichen einer verbotenen Organisation gezeigt wird“, sagte er. „Dann genügt das bewusste Verwenden des Zeichens im Wissen um dessen Bezug zur Organisation, wodurch der Nachweisaufwand deutlich reduziert ist. Paragleiter und rote Dreiecke sind Parallelphänomene.“ Rote Dreiecke verwendet die Hamas zur Markierung von Feinden.

Sonja Eichwede, Vize-Chefin der SPD-Fraktion im Bundestag, sagte, der Schutz „unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger“ sei den Koalitionsfraktionen ein besonderes Anliegen. Das Bundesinnenministerium prüfe fortwährend, „welche Aktivitäten und Symbole unter das Verbot“ der Hamas fielen.

Im Oktober 2024 hatte das Bundesinnenministerium unter der damaligen Leitung von Nancy Faeser (SPD) das rote Dreieck sowie Bildnisse von Hamas-Repräsentanten als verbotene Kennzeichen der Hamas eingestuft und das Hamas-Verbot von November 2023 damit erweitert. Ein entsprechendes internes Schreiben des Ministeriums an die Innenbehörden der Bundesländer liegt WELT vor.

In der Verbotsverfügung waren zuvor bereits mehrere Wappen, Fahnen und Logos der Hamas sowie die Parole „From the river to the sea, Palestine will be free“ als Kennzeichen der Terrororganisation eingestuft worden. Kennzeichen könnten sich „allmählich durch Gebrauch als Erkennungszeichen durchsetzen, ohne dass es auf einen formalen Akt der Widmung eines Symbols zum Kennzeichen des Vereins durch dessen Leitungsebene ankommt“, heißt es in dem genannten Schreiben.

Auf eine aktuelle WELT-Anfrage teilte eine Sprecherin mit, dass das Ministerium als Verbotsbehörde des Bundes fortlaufend prüfe, „ob verbotene Vereinigungen sich Ersatzkennzeichen oder weiterer Symboliken bedienen, die nicht in der ursprünglichen Verbotsverfügung genannt sind“. Gleichzeitig gelte, dass bereits mit dem Verbot der Hamas von November 2023 „alle ihr zweifelsfrei zuzuordnenden Symbole verboten sind“. Dies gelte ungeachtet dessen, ob diese ausdrücklich in der Verbotsverfügung genannt sind oder nicht.

Ob die Nutzung von Paragleitern „als Symbol in einem verbotsrelevanten Zusammenhang der Hamas zuzurechnen“ sei, müsse die jeweilige Versammlungsbehörde, Polizei und Staatsanwaltschaft vor Ort „stets im konkreten Einzelfall entscheiden“, sagte die Sprecherin weiter. „Die abschließende Würdigung obliegt den Gerichten.“

Aus der Bundestagsfraktion der Linkspartei war keine aktuelle Stellungnahme zum Vorschlag des Tikvah-Instituts zu erhalten.

Politikredakteur Frederik Schindler berichtet für WELT über die AfD, Islamismus, Antisemitismus und Justiz-Themen. Zweiwöchentlich erscheint seine Kolumne „Gegenrede“. Im September erschien im Herder-Verlag sein Buch über den AfD-Politiker Björn Höcke. Einen Auszug können Sie hier lesen, das Vorwort von Robin Alexander hier.

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