Nach der raschen Befreiung Frankreichs stoßen US-Truppen im Herbst 1944 auf hartnäckigen Widerstand der Wehrmacht in der Nordeifel. Fast fünf Monate lang tobt die Schlacht im Hürtgenwald. Die militärische Bedeutung der Kämpfe ist gering, die Opferzahl immens.
Dichter Nebel hängt zwischen den Kiefern, der Waldboden ist vom Dauerregen aufgeweicht. Behutsam tasten sich die Soldaten der 9. US-Infanteriedivision vorwärts. Plötzlich bricht ein Inferno los: Im Unterholz versteckte MG-Nester und Scharfschützen der deutschen Wehrmacht eröffnen das Feuer. Artilleriegranaten detonieren in den Baumkronen und lassen tödliche Splitterhagel auf die GIs niederprasseln.
Was an diesem Vormittag des 6. Oktober 1944 im Hürtgenwald zwischen Aachen und Düren beginnt, ist kein schneller Vorstoß zum Rhein, sondern der Auftakt eines monatelangen Abnutzungskrieges. Für die USA wird er zur längsten und verlustreichsten Schlacht während des Zweiten Weltkrieges in Europa. Dabei ist der militärische Wert der Kämpfe gering.
"Die Schlacht im Hürtgenwald war für die US-Armee ein Desaster und für den weiteren Kriegsverlauf nahezu bedeutungslos", sagt der Historiker John Zimmermann vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) im Gespräch mit ntv.de. "Die NS-Propaganda überhöhte die monatelangen Kämpfe. Das lange Ausharren der eigenen Verbände diente als Musterbeispiel für die vermeintliche Überlegenheit des deutschen Soldaten."
Amerikaner können Überlegenheit nicht ausspielen
Dass der Hürtgenwald überhaupt zum Schlachtfeld wird, liegt am alliierten Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower. Nach der raschen Befreiung Frankreichs im Sommer 1944 entscheidet er sich für die Strategie einer breiten Angriffsfront ins Deutsche Reich. General Courtney Hodges erhält mit der 1. US-Armee den Befehl, südlich von Aachen über den Fluss Rur bis zum Rhein vorzurücken.
Um dahin zu gelangen, müssen die Soldaten ein knapp 150 Quadratkilometer großes Waldgebiet durchqueren. Bis zu 30 Meter hohe Bäume, tiefe Schluchten und unbefestigte Straßen prägen die Landschaft. Das schwer zugängliche Areal benennen die Militärplaner nach dem Dorf Hürtgen.
"Der Hürtgenwald stellte für die Alliierten durchaus eine Flankenbedrohung dar", sagt Zimmermann. "Aber das bedeutete nicht, das man ihn zwangsläufig erobern musste. Um die Gefahr zu bannen, hätte man das Gebiet auch einfach abriegeln können." Doch die Militärführung entscheidet anders.
Der erste Angriff am 6. Oktober entwickelt sich rasch zu einem Fiasko. Ohne Ortskenntnis und mit fehlerhaften Karten verlieren die US-Einheiten die Orientierung. Das unwegsame Gelände lässt einen Einsatz von Panzern, Artillerie und Kampfbombern kaum zu. Dadurch kann Hodges seine materielle Überlegenheit nicht ausspielen. Zudem sind seine Männer nicht für Einsätze in Wäldern ausgebildet. Die Gefechte zerfasern in unübersichtliche Einzelkämpfe: Mann gegen Mann, Trupp gegen Trupp.
Die deutschen Verteidiger haben sich eingegraben und sind gut vorbereitet. Jede Schneise und jeder Waldweg ist vermint oder mit gefällten Bäumen blockiert. Die Hindernisse wiederum sind mit Sprengfallen präpariert und in den Plänen der Geschützbatterien als Ziele markiert. Bereits nach zehn Tagen sind 4500 US-Soldaten verwundet oder gefallen. Trotz minimaler Geländegewinne wirft Hodges weitere Divisionen ins Feuer. Bald nennen die GIs den Hürtgenwald "Todesfabrik", "Grüne Hölle" oder "Höllenwald".
Schriftsteller an der Front
Der spätere Nobelpreisträger Ernest Hemingway erlebt das Grauen als Kriegskorrespondent. Er beschreibt den Hürtgenwald später als "eine Gegend, in der es äußerst schwierig war, am Leben zu bleiben, selbst wenn man nichts weiter tat, als dort zu sein". Mit Jerome David Salinger ist ein weiterer später weltbekannter Schriftsteller vor Ort. Als Nachrichtenoffizier verfasst er während der Gefechtspausen die ersten Kapitel seines späteren Bestsellers "Der Fänger im Roggen". "Wann immer ich ein Schützenloch fand, begann ich zu schreiben", sagte Salinger einmal.
Ihren blutigen Höhepunkt erreicht die Schlacht Anfang November 1944. Bei nasskaltem Wetter zielen die Amerikaner auf die Ortschaften Vossenack, Kommerscheidt und Schmidt. Es kommt zu erbitterten Häuserkämpfen. Mehrfach wechseln die Dörfer ihre Besitzer. "Ganze Kompanien und Züge wurden ausradiert", heißt es in einem Gefechtsbericht der 28. US-Infanteriedivision. Am Ende treibt ein deutscher Gegenangriff Hodges' Truppen auf ihre Ausgangsstellungen zurück.
Mit der Zeit kann die Wehrmacht ihre Verluste aber immer schwerer kompensieren. Nach dem Scheitern der deutschen Ardennenoffensive gelingt US-Truppen Mitte Februar 1945 die Einnahme der strategisch wichtigen Ortschaft Schmidt. Damit enden die Kämpfe in der Nordeifel. Drei Monate später kapituliert das Deutsche Reich bedingungslos. Die Verluste sind entsetzlich. Historiker gehen von jeweils 12.000 Toten und 20.000 Verwundeten auf beiden Seiten aus. "Für uns war es eine der verlustreichsten, unproduktivsten und unklügsten Schlachten, die unsere Armee je geschlagen hat", konstatiert ein US-Divisionskommandeur in seinen Memoiren.
Noch immer viele Minen im Hürtgenwald
"In der US-amerikanischen Erinnerungskultur spielt die Schlacht im Hürtgenwald schon aufgrund der immensen Verluste eine große Rolle", sagt Zimmermann. "Zudem erlebten mit Hemingway und Salinger zwei aufstrebende Größen der Weltliteratur die Kämpfe aus nächster Nähe." In Deutschland werde die Schlacht nur als eine von vielen Rückzugsgefechten an der Westfront wahrgenommen. "Anders sieht es in der lokalen Erinnerung aus. Dort dominiert noch häufig ein durch Veteranen geprägtes revisionistisches Geschichtsbild", so Zimmermann. "Die Region ist zudem ein Anziehungspunkt von Rechtsextremisten, die bei angeblichen Gedenkveranstaltungen ihr Weltbild zur Schau stellen."
Seit 2019 ist der Hürtgenwald Teil des europäischen Erinnerungsprojekts Liberation Route, das historische Orte verbindet, die bei der Befreiung Europas durch die Alliierten eine Rolle spielten. "Bis heute ist es lebensgefährlich, sich im Hürtgenwald abseits der markierten Wege aufzuhalten", sagt Zimmermann. "Noch immer werden in den Böden zahlreiche Holz- und Glasminen vermutet, die mit herkömmlichen Metallsonden nicht aufgespürt werden können."
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