Wenn im Oktober in der Ukraine die Heizperiode beginnt, fangen erfahrungsgemäß auch die verstärkten Angriffe der Russen auf Kraftwerke und Übertragungsleitungen an. Russland geht es dabei vor allem um die Zermürbung der Menschen.

Die Ukraine steht vor dem vierten Winter, in dem infolge der russischen Angriffe massive Stromabschaltungen zu erwarten sind. In den vergangenen Jahren hat Russland häufig ungefähr Mitte Oktober damit angefangen, die ukrainische Energieinfrastruktur zu beschießen - also ausgerechnet in der Zeit, in der die Heizperiode beginnt und der Stromverbrauch steigt.

Besonders schwer waren bisher zwei Phasen: der erste Winter 2022/2023, als es landesweite Blackouts gab - und kurioserweise der heiße Sommer 2024, als die Bewohner der Hauptstadt Kiew teilweise nach einem Plan leben mussten, der für jeden Haushalt zwei Stunden mit Strom und dann sieben Stunden ohne Strom vorsah.

Die massiven Angriffe auf Energieanlagen im vergangenen Winter haben vor allem die ukrainische Industrie stark getroffen; Normalverbraucher blieben von großen Stromausfällen eher verschont. Doch mit der steigenden Drohnenproduktion in Russland und mit massiven Angriffen, bei denen zusammen mit Drohnen auch ballistische Raketen und Marschflugkörper eingesetzt werden, wächst die Sorge, dass dieser Herbst und Winter auch für Haushalte wieder schwierig werden könnten.

Im August und September war der Beschuss weniger massiv

Zwar waren die russischen Drohnenangriffe im August und im September nicht so massiv wie im Vorjahr, als im Schnitt in jeder Nacht 700 bis 800 Drohnen die Ukraine erreichten. Aber ein Grund zum Aufatmen ist das nicht. Denn allgemein wird befürchtet, dass die Russen schlicht Material sammeln, um in den kommenden Monaten umso heftiger zivile Ziele attackieren zu können: Russland geht es nach wie vor um die Zermürbung der Ukraine.

Die ersten Anzeichen dafür gibt es bereits. In letzter Zeit wurden Angriffe auf Energieobjekte in den Regionen Charkiw, Odessa, Tschernihiw und Winnyzja registriert. Dies führte dazu, dass rund 180 Ortschaften von der Stromversorgung abgeschnitten wurden und Zehntausende Ukrainer ohne Strom waren, wie der ukrainische Sender 1+1 berichtet.

Schwer getroffen war auch das Kohlekraftwerk Trypiljska bei Kiew, das im Rahmen der Angriffswelle im Sommer 2024 zunächst funktionsunfähig wurde. Es gab sogar Berichte, dass das Kraftwerk vollkommen zerstört worden sei, doch offenbar ist es mittlerweile wieder im Einsatz. Denn im September gehörte Trypiljska wieder zu den Hauptzielen des russischen Beschusses. Wie groß der Schaden diesmal ist, ist unklar. Die neuerliche Stromkrise in der Hauptstadt im vergangenen Sommer war allerdings stark mit den Angriffen auf das Kraftwerk verbunden.

"Keine Mega-Blackouts"

Welche Szenarien gibt es konkret für die kommende Heizsaison? Wie in früheren Jahren hofft die Ukraine vor allem auf mildere Temperaturen. Aber auch insgesamt zeigt sich das ukrainische Energieministerium optimistisch, dass zumindest ein landesweiter Blackout verhindert werden kann. So konnte im Laufe des Jahres ein Großteil der geplanten Kapazitäten in Höhe von 3,2 Gigawatt repariert werden. Insgesamt hat die Ukraine Kapazitäten in Höhe von 17,6 Gigawatt für die Heizsaison in Reserve. Russland dürfte es daher kaum schaffen, das Land komplett in die Dunkelheit zu bomben, was den Invasoren Ende 2022 teilweise gelang.

Der Direktor des ukrainischen Zentrums für Energiestudien, Oleksandr Chartschenko, sagte der ukrainischen Nachrichtenseite NV, aktuell sei die Stromlage stabil. Der Export von Strom, auf den die Ukraine angewiesen ist, um ihre leeren Kassen zu füllen, übersteige derzeit den Import aus der EU um das Zweifache. "Ich sehe keine apokalyptischen Szenarien und keine Mega-Blackouts kommen", betonte Chartschenko. Regionale Stromausfälle und Einschränkungen durch Angriffe auf Anlagen der Wärmeerzeugung seien jedoch möglich. Hier könnte wie im Sommer 2024 wieder die Hauptstadt Kiew besonders betroffen sein.

Ganz ohne Ausfälle wird die Ukraine keinesfalls durch den Winter kommen. Denn dies ist das optimistische Szenario: zeitlich eng begrenzte Ausfälle in den Spitzenzeiten der Stromnutzung bei einer schnellen Reaktion auf Angriffe durch die Reparaturbrigaden. Das pessimistische Szenario, das durchaus eintreten kann, sind dagegen massive gleichzeitige Angriffe auf Kraftwerke, Übertragungsleitungen und das Gastransportsystem. Dann könnte es gleich in mehreren Regionen zu längeren Ausfällen kommen, die sich nicht schnell genug beseitigen lassen.

Ein weiteres Problem: die alten Wärmenetze

Hier ist die Ukraine stark auf ihre Flugabwehr angewiesen. Denn der Schaden, den die russischen Drohnen verursachen, ist trotz ihrer hohen Anzahl vergleichsweise klein. Die Drohnen dienen vor allem dem Ziel, das Flugabwehrsystem zu überlasten, damit Russlands Raketen und Marschflugkörper ihre Ziele erreichen. Wegen der unklaren Situation mit den Lieferungen aus den USA, gerade beim Schlüsselsystem Patriot, das fast als das einzige ballistische und aeroballistische Raketen abfangen kann, ist nicht auszuschließen, dass Russland die sogenannten kombinierten Angriffe vor allem auf Kraftwerke richtet. Ob die ukrainische Flugabwehr die Iskander- oder Kinschal-Raketen dann abfangen kann, ist eine offene Frage.

Neben der fast unausweichlichen Notlage in Sachen Strom ist der Stand der ukrainischen Heizungssysteme ein besonders problematisches Thema. Denn auch ohne russische Angriffe sind die alten Wärmenetze eine Schwachstelle - etwas, was Russland sich in den kommenden Monaten zunutze machen könnte. Dem ukrainischen Energieministerium zufolge ist das Land zu 95 Prozent auf die Heizperiode vorbereitet. Im vergangenen Winter fielen allerdings beispielsweise in der 600.000-Einwohner-Stadt Krywyj Rih, der Heimat von Präsident Wolodymyr Selenskyj, die Heizungen wochenlang aus. Das lag nicht allein am russischen Beschuss.

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