Im Rahmen einer von Jan Böhmermann kuratierten Ausstellung soll ausgerechnet am 7. Oktober ein Rapper auftreten, der der Israel-Feindlichkeit verdächtigt wird. Kulturstaatsminister Weimer interveniert, der Rapper darf nicht auftreten und nun wollen andere Künstler auch nicht mehr. Schnappen jetzt alle über?
Man will diesen Text eigentlich nicht schreiben. Die Wutposts und Hasszuschriften sind vorprogrammiert, will man in Deutschland "Antisemitismus"-Brüller und "Free Palestine"-Skandierer gleichermaßen zur Ordnung rufen. Besser: zur Ordnung bitten, statt zu rufen. Lautsprecher gibt es ja schon mehr als genug im immer maßloseren Streit um den richtigen Umgang mit Israel und Gaza. Doch gerade wegen des erwartbaren Widerspruchs muss auch dieser Text geschrieben werden. Denn den Beteiligten scheint die demokratische Gepflogenheit abhandengekommen, Widerspruch auszuhalten - wie bei anderen Gesellschaftskonflikten auch. Derweil macht sich in der breiten, zwischen den Extrempositionen verharrenden Bevölkerungsmitte eine fatale Mischung aus Ohnmachtsgefühlen, Rat- und Sprachlosigkeit breit. Unbehagen allerorten, wem soll das nützen?
Der Streit um die Ausstellung von Jan Böhmermann in Berlin steht exemplarisch für eine gefährliche Entwicklung: Die am deutlichsten hör- und sichtbaren Akteure bezichtigen einander wahlweise des Extremismus oder niederer Motive. Sie brechen den Diskurs ab und verschanzen sich in ihren Meinungsgräben. Von dort aus feuern sie mit ihren Smartphones munter in den digitalen Raum - auf ihre Gegner und auf die Unentschiedenen, auf dass sie sich bekennen mögen. Es ist schon erstaunlich, dass links wie rechts die vermeintlich richtige Haltung zum Leitfaden allen Handelns und Sprechens wird - während sich alle anderen noch fragen, wie sie sich zu den Dingen verhalten sollen. Schwierig, solange die Faktenlage unübersichtlich ist.
Aus berechtigter Sorge wird maßlose Diffamierung
Der Rapper Chefket sollte zusammen mit anderen Musikern am 7. Oktober im Rahmen der von Böhmermann verantworteten Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt (HKW) auftreten. Das Julian-Reichelt-Portal "Nius" grub ein Foto aus, auf dem Chefket ein ausgesprochen fragwürdig T-Shirt trug: Darauf war ein Umrisse Palästinas zu sehen, das keinen Platz für Israel lies. Ein Lied der ebenfalls gebuchten Rapperin Ebow deutete das rechtsaktivistische Portal zudem als Holocaust-verharmlosend. Andere Medien griffen die Berichte auf. Wolfram Weimer intervenierte daraufhin: Der Kulturstaatsminister als maßgeblicher Geldgeber forderte das HKW auf, keine antisemitischen Inszenierungen zuzulassen - schon gar nicht am zweiten Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel. Böhmermann und HKW-Intendanz sagten schließlich den Chefket-Auftritt ab. Daraufhin sagten zahlreiche andere Künstler wie Sängerin Mine und die Band Blumengarten ihrerseits Konzerte im HKW ab, aus Solidarität zu Chefket.
Was für ein Desaster! Böhmermann wird nun von rechts als Bühnenbereiter für Antisemiten geschmäht, während er von links als "Heuchler" dämonisiert wird, der Weimers rechte Politik exekutiere. Der Kulturstaatsminister wiederum konnte nach dem Antisemitismus-Skandal während der Documenta unter Vorgängerin Claudia Roth die Sache im HKW unmöglich vor sich hinlaufen lassen. Beabsichtigt oder nicht, hat er sich so aber auf die Seite jener gestellt, die die vergleichsweise kleinen Künstler Chefket und Ebow auf ganz großer Bühne als Menschenfeinde diffamieren - und Böhmermann als deren Paten. Wer sich mit dem Werk der drei Künstler beschäftigt, mag die politischen Schlüsse aus ihrer humanistischen Grundhaltung nicht teilen. Aber Menschenfeindlichkeit, Hass gegen bestimmte Volksgruppen, Ethnien oder Nationen zählt bei keinem der drei zur DNA.
Wem nutzt die Unversöhnlichkeit?
Man kann sehr dumme Dinge machen, sagen und tun, ohne es böse zu meinen. Nicht jeder, der seiner Kritik an Israels Regierung ein Bekenntnis zu Israels Existenzrecht voranstellt, will Israel von der Landkarte tilgen. Und natürlich sind die Gaza-solidarischen Posen, Sprüche und "Fanartikel" in Palästina-Farben von teils himmelschreiender Einseitigkeit und Dummheit. Menschen erklären sich teils maximal unwissend solidarisch mit Palästina, einfach weil sie es ihrem Selbstverständnis nach immer mit den Schwächeren halten. So wie andere Israel aus Sympathie und Mitgefühl mit dem jüdischen Volk zu einem Hort von Demokratie, Freiheit und anderen "westlichen Werten" verklären, der das Land nicht ist und vielleicht auch nie war.
Die gewaltbetroffenen Menschen in Israel und Palästina dürften sich - wenn sie dafür denn Raum und Zeit hätten -verwundert die Augen reiben über diese Deutschen. Über Deutsche und hier lebende Migranten, die einander rhetorisch übertrumpfen in ihrer demonstrativen Menschlichkeit, ohne damit auch nur einem Menschen in Not konkret zu helfen. Andererseits geht es den "Polarisierungsunternehmern" (ein Begriff des Soziologen Steffen Mau) auf beiden Seiten auch nur zum Teil um das Leid von Israelis und Palästinensern. Teilen der Linkspartei etwa ist der Konflikt natürlich auch willkommenes Instrument zur Mobilisierung, so wie es für die politische Rechte in Deutschland und Israel Bilder antisemitischer Ausfälle auf Palästina-Demos sind. Die in verschwörungsaffinen Kreisen beliebte Frage "cui bono?" ("wem nützt es?") darf man an dieser Stelle ausnahmsweise gerne zurückstellen.
In diesem Modus verlieren alle
Natürlich muss sich ein ohnehin umstrittener Polit-Showman wie Jan Böhmermann fragen lassen, warum er ausgerechnet am 7. Oktober dieses Konzert veranstalten musste. Zumindest Ebow war und ist als pro-palästinensische Künstlerin bekannt. Andererseits: Wäre an einem anderen Datum der Furor von interessierter Seite kleiner gewesen? Und: Hätten die Künstler, die nun munter den Stab brechen über Böhmermann wegen der Chefket-Absage, sich nicht informieren müssen? Über Böhmermanns Überlegungen und die der HKW-Leitung? Wieso ist die Sympathie für die Lage der Palästinenser in diesen Kreisen so ausgeprägt, nicht aber das Mitgefühl für die zunehmenden Bedrohungserfahrungen in Deutschland lebender Juden (oft Israelis, die nicht unter der Netanjahu-Regierung leben wollen)?
Hätte Weimer lieber diskret hinter den Kulissen intervenieren sollen, statt sich scheinbar gemein zu machen, die die "Antisemitismus"-Keule mit auffälliger Wonne schwingen? Im Podcast "ntv Salon" hatte sich der Kulturstaatsminister noch vor einer Woche als bürgerlicher Liberaler gezeigt: Mit Blick auf umstrittene Kulturveranstaltungen plädierte er im Zweifel durchweg für "muss man aushalten". Das ist (Kultur-)Politik mit Verstand: Aushalten im Sinne von Vertrauen, dass sich mündige Bürger selbst ein Bild machen und im offenen Diskurs Argumente verfangen. Dazu ist nun im Haus der Kulturen der Welt nicht gekommen, während die "Polarisierungsunternehmer" auf beiden Seiten dem Affen weiter Zucker geben. In Deutschland siegt immer öfter Empörung über Verstand - und in Gaza wird weiter gestorben.
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