Gegen hybride Attacken des Kremls kämpfen die Finnen seit Jahrzehnten. Ex-Präsident Niinistö warnte die Bundesregierung früh vor den Absichten des russischen Präsidenten. Finnland selbst rüstet sich - das zeigt ein Besuch an der Grenze zu Russland und auf einem Patrouillenschiff.

Verlassene Shopping-Malls säumen die Europastraße 18, die zum Grenzübergang Vaalimaa im Südosten Finnlands führt. Vor wenigen Jahren herrschte hier noch Trubel. Jeden Tag fuhren Tausende Russen für eine Shoppingtour über die Grenze. An diesem verregneten Dienstag stehen jedoch kaum noch Wagen auf dem Lidl-Parkplatz, der mehrere Fußballfelder groß ist. Beleuchtet wird der Asphalt nur noch von einer Reklame-Tafel, die Werbung für Autos zeigt. Nachdem Finnland seine Grenze zu Russland im November 2023 geschlossen hatte, wurde aus der belebten Gegend eine strukturschwache Region.

Einige Meter von der Europastraße entfernt, zwischen Wäldern und Wiesen, lässt die Regierung in Helsinki einen Zaun mit High-Tech-Überwachungsanlagen aufbauen. 140 Kilometer soll er einmal lang werden, die Hälfte davon ist schon fertig. 400 Millionen Euro kostet das Projekt. Finnland schützt sich, weil Russland Flüchtlinge über die Grenze schickte, als sie noch offen war - im Sommer 2023 etwa 1500 von ihnen. Die finnische Regierung witterte dahinter eine Strategie der hybriden Kriegsführung. Die Verantwortlichen im Kreml setzten Migranten als Waffe ein, um den EU-Mitgliedstaat zu stabilisieren, lautete der Vorwurf.

"Der Zaun ist nur ein Werkzeug unserer Überwachung an der Grenze. Wir können illegale Einwanderung nicht vollständig stoppen. Aber wir können sie zumindest verlangsamen und umleiten, damit wir besser reagieren können", sagt der stellvertretende Kommandant der Grenzstation, Antti Virta. Die Befestigungen werden nur an taktisch notwendigen Punkten hochgezogen. Ein großer Teil der 1300 Kilometer langen Grenze zu Russland ist nicht durch Absperrungen gesichert, weil das zu teuer wäre.

Zum Werkzeugkasten des Grenzschutzes gehören viele weitere Maßnahmen, von KI-Sensoren über Patrouillen mit Spürhunden bis hin zu Luftüberwachungsdrohnen. Falls er und seine Kollegen die Überwachung einstellten, würde Russland sofort wieder Migranten über die Grenze lotsen, sagt Virta. Die Instrumentalisierung von Flüchtlingen sei nur ein Aspekt von Moskaus hybriden Attacken.

Jeder sechste Finne in Reservisten-Armee

Finnland gehört zu jenen EU-Mitgliedstaaten, die lange vor der Invasion in die Ukraine vor der russischen Aggression gewarnt und sich dagegen gerüstet haben. Mit Russlands Versuchen, seine Nachbarstaaten zu destabilisieren, haben das Land über Jahrzehnte Erfahrungen gesammelt. Bereits 1939 hatten finnische Truppen eine Invasion der Sowjetunion abgewehrt. Viele Finnen rühmen sich, sie hätten den Kampf gegen die hybriden Attacken Russlands verinnerlicht - er gehöre zu ihrer DNA. Desinformationskampagnen fallen hier kaum auf fruchtbaren Boden; die Menschen haben die verschiedenen Variationen schon zu oft gehört. Ein Schwerpunkt in der Schulbildung liegt darauf, Kinder für die Propaganda aus Moskau zu sensibilisieren.

Durch die Wehrpflicht für männliche Staatsbürger wurde eine Armee von 900.000 Reservisten aufgebaut - zu ihr gehört bei einer Einwohnerzahl von 5,6 Millionen also jeder sechste Finne. Verteidigung verstehen die Finnen im weitesten Sinne. Sie bauen nicht nur auf Waffen und Soldaten, sondern auf ein Konzept, das die Resilienz ihrer Zivilgesellschaft stärkt - durch gemeinsame Sicherheitsübungen, funktionierende Infrastruktur und ein robustes Sozialsystem. Aufgrund von Putins Invasion in die Ukraine trat Finnland 2023 der Nato bei. Daraufhin verschärfte sich die Rhetorik im Kreml. In den vergangenen Wochen übten sich sowohl der ehemalige Kremlchef Dmitri Medwedew als auch der russische Außenminister Sergej Lawrow in Drohgebärden gegenüber Finnland. Die Provokationen sollen die Finnen einschüchtern und die eigene Bevölkerung aufstacheln - auch das ist Teil des hybriden Kriegs.

"Wir Europäer haben Putin gute Gründe gegeben, zu denken, der Westen sei schwach, da wir nach dem Ende des Kalten Kriegs die Aufrüstung aufgegeben haben. Die meisten von uns haben gelernt, in einem Rosengarten zu leben, in dem Sicherheit und Frieden herrschen", sagt der finnische Ex-Präsident Sauli Niinistö. Er sei sich noch immer nicht sicher, ob jeder in Europa den Weckruf gehört habe. Über Putins Absichten war sich Niinistö schon früh bewusst. Putin habe in Gesprächen immer wieder vom Wiederaufbau Großrusslands fantasiert. Zudem stellte Niinistö beim russischen Präsidenten über die Jahre eine zunehmende Frustration in Bezug auf die Situation in der Ukraine fest. Das habe er auch gegenüber der früheren Bundeskanzlerin zum Ausdruck gebracht. "Wir hatten die Angewohnheit, dass ich Angela Merkel vor und nach einem Telefonat mit Putin angerufen hatte. Ich hatte das Gefühl, dass Putin von der Ukraine besessen war. Und nichts hätte ihn aufgehalten", sagt Niinistö.

Patrouillenschiff Turva half beim Entern der Eagle S

Alle europäischen Länder sollten sich darüber bewusst sein: Die nationale Sicherheit sei nicht Gott gegeben, sondern harte Arbeit. Finnland sei wehrhaft gegen hybride Angriffe, weil es den sozialen Zusammenhalt stärke, sagt Niinistö. Das gegenseitige Vertrauen der Bürger wachse etwa durch drei Kurse, die das finnische Militär jedes Jahr durchführt, mit Menschen aus der freien Wirtschaft, den Universitäten und der Verwaltung. Eine besondere Rolle bei der Vertrauensbildung spielt aus Niinistös Sicht die Wehrpflicht, die in Finnland eine hohe Akzeptanz hat. Junge Menschen lernten dadurch, wie notwendig die Kooperation im Krisenfall sei. "Bei der hybriden Kriegsführung müssen wir in der Lage sein, den Feind zu überlisten", sagt Niinistö.

Russlands hybride Attacken halten die finnische Grenzschutzbehörde nicht nur an der Landesgrenze auf Trab. Ihre Einheiten müssen auch mit Argusaugen den Finnischen Meerbusen überwachen, der sich bis nach Estland und Russland erstreckt. Die Mannschaft des Patrouillenschiffes Turva hatte am ersten Weihnachtsfeiertag vergangenen Jahres alle Hände voll zu tun. Die Turva wurde als erstes Schiff vor Ort beordert, als der Netzbetreiber Fingrid am 25. Dezember einen Ausfall meldete beim Stromkabel Estlink 2, das Finnland mit Estland verbindet. Der russische Öltanker Eagel S hatte das Kabel beschädigt, indem er seinen Anker über eine Strecke von etwa 90 Kilometern über den Meeresboden schleifen ließ.

Der Tanker wurde von finnischen Spezialeinheiten geentert und die Besatzung verhaftet. In Helsinki wird dem Kapitän und drei Besatzungsmitgliedern der Eagle S momentan der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft fordert Haftstrafen wegen "schwerer Sachbeschädigung und schwerer Behinderung von Kommunikation". Der Crew des Öltankers wird vorgeworfen, das Kabel auf Weisung aus dem Kreml hin absichtlich sabotiert zu haben. Die Eagle S ist Teil der Schattenflotte, die Russland nutzt, um trotz des Embargos der G7-Staaten weiter Öl zu verschiffen. Der Vorfall an Estlink 2 zeigt, dass der Kreml die Flotte mutmaßlich auch für Sabotageakte nutzt, um die Energie- und Kommunikationsinfrastruktur westlicher Länder zu beschädigen.

Russischer Öltransport vor Finnlands Küste stabil

Als die Verbindung von Estlink 2 unterbrochen wurde, war Kommandant Mikko Simola der Befehlshabende. Simola ist Leiter der Abteilung für Seeverkehrssicherheit im Hauptquartier der finnischen Grenzschutzbehörde. Er steht im Kommandoraum der Turva, die gerade vor Helsinki angelegt hat. Rund um ihn herum zeigen Bildschirme Informationen, die Radargeräte übermitteln. Die Turva überwacht auf See ein Gebiet, das sich über 300 Kilometer erstreckt.

Simola beschreibt die ersten Stunden auf der Turva nach der Meldung des Ausfalls an Estlink 2. Als das Patrouillenschiff am Kabel ankam, sah der Kapitän direkt, dass die Ankerkette von Eagle S noch immer im Wasser liegt. Mithilfe verschiedener High-Tech-Systeme und dem Einsatz von Tauchern wurden anschließend Daten über den Öltanker und die Schäden am Kabel gesammelt. Das Schiff ist unter anderem mit Sidescan-Sonar ausgestattet. Das System sendet Schallwellen aus, um den Meeresboden und die Gegenstände dort zu kartieren und anschließend detaillierte Bilder zu erstellen. "Als die Entscheidung getroffen wurde, an Bord der Eagle S zu gehen, waren wir vom finnischen Grenzschutz gemeinsam mit der Polizei und Spezialeinheit in einer Kommandozentrale", sagt Simola. Schließlich wurde eine Spezialeinheit der Polizei zum Entern des Öltankers ausgesendet.

Anschließend wurde der Öltanker in einem koordinierten Vorgehen von Grenzschutz und Polizei mehr als zwei Monate lang beschlagnahmt und überwacht. "Ich weiß nicht, wie es um den aktuellen Zustand des Schiffes bestellt ist. Ich weiß nur, dass wir es aus den Gewässern der finnischen Wirtschaftszone herausgeführt haben, nachdem das Schiff alle Kriterien der Hafenstaatskontrolle durch die finnische Agentur für Verkehr und Kommunikation erfüllt hatte", so Simola. Das war am 2. März.

Aus dem Vorfall habe der Grenzschutz gelernt, künftig noch schneller zu reagieren, falls ein Schiff vom Kurs abkommt oder anderweitig auffällt. Gut möglich, dass die Turva bald wieder ausrücken muss. Trotz des Embargos sind die russischen Öltransports über den Finnischen Meerbusen seit 2022 stabil, sagt Simola. Putins Schattenflotte laufe weiter auf Hochtouren: "Jetzt gibt es noch mehr alte Schiffe. Wir kennen weder ihre Besitzer noch den möglichen Versicherungsschutz." Beim Katz-und-Maus-Spiel im hybriden Krieg gegen Russland ist also kein Ende abzusehen.

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