Zwei große Reden im Bundestag binnen acht Tagen, doch das wichtigste Thema lässt Merz aus: Russland legt es mehr denn je auf eine direkte militärische Konfrontation mit der Nato an. Im Ernstfall stünde Deutschland an vorderster Front. Des Kanzlers Schweigen dazu vertieft berechtigte Sorgen.
Wenn es noch eines Ausweises bedurft hätte, dass der Bundeskanzler innenpolitischen Druck verspürt, hat Friedrich Merz diesen am Mittwoch geliefert. In einer durchaus launigen Rede im Rahmen der Haushaltsdebatte hat sich der CDU-Vorsitzende gegen sämtliche Anwürfe der Opposition zur Wehr gesetzt, seine schwarz-rote Bundesregierung liefere nicht das von ihr Versprochene. Wenn die AfD im RTL/ntv-Trendbarometer bei 27 Prozent liegt, zwei Punkte vor der Union, und Merz' persönliche Zustimmungswerte abschmieren, muss ein Regierungschef darauf reagieren. So weit, so nachvollziehbar. Dass der Bundeskanzler aber in zwei Generaldebatten binnen acht Tagen keine Zeit für Ausführungen zur akut drohenden Konfrontation zwischen Russland und den Nato-Staaten findet, ist dem Ernst der Lage nicht angemessen.
Russland legt es dieser Tage mehr denn je auf eine militärische Auseinandersetzung mit der Nato an, mindestens aber nimmt der Kreml eine direkte Konfrontation billigend in Kauf. Eine andere Lesart lassen die jüngsten, von Wladimir Putin orchestrierten Provokationen nicht mehr zu. Da hilft auch kein Wunschdenken. Die Provokationen beschränken sich bei weitem nicht auf das Eindringen einer zweistelligen Anzahl von Drohnen in den polnischen Luftraum oder den ausgedehnten Flug dreier bewaffneter russischer Kampfflugzeuge über Estland.
Putin eskaliert und Deutschland kann sich nicht wegducken
Europaweit wurden zuletzt Flughäfen durch Hackerangriffe lahmgelegt. Derweil spricht die dänische Regierung nach dem Auftauchen von Drohnen über Kopenhagens Flughafen vom "bislang schwersten Anschlag auf dänische kritische Infrastruktur". Auch über Norwegen wurden die unbemannten Fluggeräte mutmaßlich russischer Herkunft gesichtet. Die sich zuletzt häufenden Sabotageakte in Deutschland gegen Stromversorgung und Schienenverkehr gehören ebenfalls potenziell in diese Kategorie. Kursierende linksextremistische Bekennerschreiben sind bislang jedenfalls nicht verifiziert.
Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Nato-Staaten gegen Russlands hybride Kriegsführung robust zur Wehr setzen werden, steigt damit beinahe täglich. Beim nächsten Einflug einer russischen Militärmaschine in den Nato-Luftraum könnte der zuständige Nato-Kommandeur den Abschussbefehl erteilen - womöglich an einen gerade in der Luft befindlichen Eurofighter der deutschen Luftwaffe. Die Mitsprache darüber liegt nur noch mittelbar bei Berlin. Wie aber der Kreml auf solch einen rechtlich einwandfreien Abschuss reagieren würde, weiß niemand mit Sicherheit zu sagen.
Wladimir Putin will Krieg. Er will ihn so unbedingt, dass es sogar US-Präsident Donald Trump in seinen lichteren Momenten nicht mehr leugnen kann. Derweil brüsten sich Merz und die Bundesregierung zwar gerne mit Deutschlands neuer Führungsrolle in der Nato, reden aber erstaunlich ungern darüber, was daraus folgt: Deutschland wird im Ernstfall mehr denn je vorangehen müssen - finanziell, politisch, aber eben auch militärisch. Gegen Russland und womöglich ohne US-Militärmacht im Rücken, weil man mit ihrem wankelmütigen Anführer militärisch nicht sicher planen kann.
Ist da noch mehr als Hoffen?
Deutschland ist zum zentralen Stützpfeiler der europäischen Sicherheit vor Russland avanciert. Und zwar nicht, weil Merz es so wollte, sondern weil Trump ihm keine Wahl ließ. Als Alternative stand im Frühjahr das faktische Auseinanderbrechen der Nato im Raum, ganz ohne militärisches Zutun von Putin. Olaf Scholz hat - oft zum Entsetzen des damaligen Oppositionsführers Merz- wiederholt die atomare Bedrohung durch Russland an die Wand gemalt. Das Schreckensbild sollte Berlins Lavieren zwischen entschlossener Unterstützung der Ukraine und etwaigen Rückziehern begründen. Scholz' Nachfolger setzt nun auf beredtes Schweigen, seit auch die eigenen Bemühungen um eine Waffenruhe in der Ukraine an Putins Verweigerungshaltung gescheitert sind.
Das Schweigen des Kanzlers mag dieser als strategische Ambivalenz verkaufen, und es schadet sicher nicht, dass der öffentliche Zank über Details der militärischen Unterstützung Kiews vorerst beendet ist. Was der Kanzler angesichts der zuletzt noch einmal gewachsenen Konfrontationsgefahr aber zu tun gedenkt, lässt Merz offen. Im schlechtesten Falle beschränkt sich die Strategie der Bundesregierung momentan auf die Hoffnung, die Aufrüstung Deutschlands und seiner Alliierten komme möglichst weit voran, bevor der Ernstfall eintritt. Wenn das aber alles sein sollte, was man im Kanzleramt denkt und sich öffentlich nicht zu sagen traut, ist die Lage besorgniserregend. Mindestens.
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