Als Johann Wadephul in Berlin auf dem Rollfeld des Regierungsflughafens vorfährt, ist es noch nicht mal sieben Uhr am Morgen, und gerade scheint das erste graue Tageslicht am Himmel auf. Es wird keine einfache Reise. Wadephul muss den Spagat leisten, den Deutschland seit dem Beginn des Krieges in Gaza versucht, und das wird immer schwerer. Wadephul versucht es so auszudrücken: „Was die Region jetzt braucht, ist ein umgehender Waffenstillstand, deutlich mehr humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza und die sofortige, bedingungslose Freilassung der Geiseln“, sagt er im Nieselregen vor dem Regierungsflieger. Er versucht immer an beide Seiten zu appellieren, an die Israelis und an die Terrororganisation Hamas. Aber an diesem Morgen bereitet ihm die Entwicklung auf der israelischen Seite offenbar mehr Sorgen.

„Die Offensive auf Gaza-Stadt ist der völlig falsche Weg“, sagt Wadephul. „Jegliche Schritte zu einer völkerrechtswidrigen Annexion von besetzten Gebieten untergraben zudem die Chance, den Konflikt nachhaltig zu lösen: So fern sie auch gerade in diesen Stunden ist, eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung ist der Weg, der Israelis wie Palästinensern ein Leben in Frieden, Sicherheit und Würde ermöglichen kann.“ Da ist er ganz nah am Mainstream der Staaten in Europa und im globalen Süden, die später an diesem Tag am Rande der UN-Generalversammlung eine Zwei-Staaten-Lösung befördern wollen. Dann muss Wadephul seine Berliner Einschränkung machen: „Für Deutschland steht die Anerkennung eines palästinensischen Staats eher am Ende des Prozesses. Aber ein solcher Prozess muss jetzt beginnen.“

Mit seinen wohlüberlegten Sätzen versucht der Minister die wachsende Kluft zwischen Prinzipien zu überbrücken, die immer schwerer zusammenzubringen sind. Da ist einerseits die historische Verantwortung für die Existenz des Staates Israel und darum die prinzipielle Unterstützung seiner Selbstverteidigung. Und da sind andererseits die Menschenrechte der Palästinenser, die immer mehr infrage gestellt werden, je härter Israel den Krieg führt. Natürlich ist Deutschland für eine Zwei-Staaten-Lösung, mindestens seit den Oslo-Verträgen der 90er-Jahre, als die Führungen der Israelis und der Palästinenser noch mehr oder weniger gemeinsam an diesem Ziel arbeiteten. Deshalb ist es nur logisch, dass Wadephul an der Konferenz zur Zwei-Staaten-Lösung teilnimmt. Aber die besondere Rolle Deutschlands verbietet es ihm, so teilzunehmen wie die Vertreter anderer Staaten, die vor allem Druck auf Israel ausüben wollen, indem sie hier und heute Palästina anerkennen. So wirkt Deutschlands Position etwas verloren in der Kluft, die sie überbrücken will, isoliert sei die Bundesrepublik, sagen manche. So mag es scheinen, auf den ersten Blick.

„Das ist eine Belohnung für den Terror“

Israels Vormarsch auf Gaza Stadt geht weiter, während in New York debattiert wird. Der israelische UN-Botschafter Danny Danon hat die Palästina-Konferenz als „Zirkus“ bezeichnet. „Wir glauben nicht, dass das hilfreich ist. Wir finden, das ist eher eine Belohnung für den Terror“, fügte Danon hinzu. Israels Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir fordert, das Westjordanland zu annektieren und verkündet, er werde die Annexion bei der nächsten Kabinettssitzung zur Abstimmung stellen. Genau das ist es, was Regierungen in aller Welt als israelische Reaktion befürchten, die Annexion des neben Gaza anderen großen Palästinensergebietes im Osten des jüdischen Staates, also die Erklärung, dass dieses Gebiet fortan zum Territorium des Staates Israel gehöre. Das könnte der letzte Sargnagel für eine Zwei-Staaten-Lösung sein, also genau das Gegenteil dessen, was Frankreich und Saudi-Arabien angeblich erreichen wollen. Denkbar wären auch teilweise Annexionen, sowohl im Westjordanland als auch in Gaza.

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu wird vermutlich am Freitag auch in New York sprechen, aber er hat schon erklärt, er werde seine Entscheidung über eine Reaktion erst nach seiner Rückkehr von der UN-Generalversammlung und einem anschließenden Treffen mit US-Präsident Donald Trump verkünden. Dieser zeitliche Ablauf spricht dafür, dass der Premier sich erst mit dem Präsidenten der israelischen Schutzmacht Amerika über die Reaktion beraten will. Schließlich hat auch Donald Trump etwas zu verlieren beim Schlagabtausch. Er hat viel investiert in die Stärkung der traditionellen amerikanischen Bündnisse mit arabischen Golfstaaten. Seine erste Auslandsreise führte ihn nach Saudi-Arabien. Katar hat dem US-Präsidenten eine neue Regierungsmaschine geschenkt. Trumps Traum ist angeblich der Friedensnobelpreis und der Weg, den er dorthin sieht, führt über einen Friedensschluss zwischen Israelis und Saudis, die krönende Fortsetzung der Abraham-Verträge, die Israel seit 2021 mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und Marokko geschlossen hat, die Etablierung des jüdischen Staates zumindest in der sunnitisch-islamischen Welt. Doch diesen Plan stellt Netanjahus Kurs existenziell infrage.

Der saudische Kronprinz hat erst jüngst klargestellt, dass es keine Normalisierung der Beziehungen zu Israel ohne die Realisierung einer Zwei-Staaten-Lösung geben kann. Aber Netanjahu hat erst am Sonntag bei einer Pressekonferenz zum Besuch des US-Außenministers Marco Rubio erklärt: „Es wird keinen Palästinenserstaat westlich des Jordan geben.“ Die Vereinigten Arabischen Emirate haben derweil gedroht, sie würden den Abraham-Vertrag mit Israel wieder aussetzen, wenn die Regierung Netanjahu das Westjordanland annektiert. Während Trump die Geschichte der nahöstlichen Friedensschlüsse fortschreiben will, droht sich diese Entwicklung wieder umzukehren. Diejenigen, die – wie Deutschland – die Rechte von Palästinensern wie Israelis berücksichtigt wissen wollen, können derzeit vielleicht nur darauf hoffen, dass ausgerechnet Donald Trump seinem Männerfreund Netanjahu Grenzen setzt. Das ist keine sehr greifbare Hoffnung.

Als am Nachmittag in New York die Konferenz zur Zwei-Staaten-Lösung beginnt, bemühen sich die Macher, den Eindruck von Ausgewogenheit zu vermitteln. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erzählt ausführlich, wie er auch mit den Familien der israelischen Geiseln im Gaza-Streifen gelitten hat. Nachdem er offiziell Frankreichs Anerkennung des Staates Palästina erklärt hat, fügt er hinzu: „Anerkennung für die Rechte der Palästinenser nimmt nichts von den Rechten der Israelis.“ Annalena Baerbock als Präsidentin der Generalversammlung fordert, das Leid der palästinensischen wie der israelischen Kinder müsse enden. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas schildert einigermaßen detailliert, wie der Aufbau des palästinensischen Staates vonstattengehen werde, inklusive demokratischer Wahlen, wie sie die Palästinenser seit fast 20 Jahren nicht erlebt haben. Er spricht auch von einer Friedenskonferenz mit Israel und wünscht am Ende den Juden in aller Welt ein frohes neues Jahr. Schließlich hat an diesem Tag Rosch ha-Schanah begonnen, das jüdische Neujahr.

Als könnte diese Beschwörung den Krieg beenden

Alles das macht den Anschein, als erschaffe die Anerkennung eines Staates Palästina, die Frankreich und andere Staaten hier erklären, wirklich einen lebensfähigen palästinensischen Staat. So, als sei diese Erklärung wirklich der erste Schritt zum Frieden. So als könnte diese Beschwörung allein den Krieg beenden, der noch immer tobt. Aber damit sind die Palästinenser ihrer Selbstbestimmung in Wahrheit kaum näher gekommen. Und damit der Frieden Realität bleibt, bräuchte es auch das Zutun der israelischen Regierung. Alle im Saal wissen, dass es Israels Beitrag zu dieser Zwei-Staaten-Lösung an diesem Tag und unter dieser Regierung nicht gibt. So klingt die Rhetorik am East River leicht surreal. Im Vergleich dazu ist Wadephuls Ansatz geradezu nüchtern. Deutschland mag nicht im Mainstream schwimmen, aber es bewegt sich womöglich näher an der Wirklichkeit, als viele seiner Partner.

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