Noch liegt das State Farm Stadium westlich von Phoenix verlassen da. Dutzende Autos versuchen am Samstagabend, auf die Parkplätze vor der Heimatarena der American-Football-Mannschaft Arizona Cardinals zu gelangen, doch die Polizei lässt niemanden auf das Gelände. „Wir öffnen die Parkplätze um sieben Uhr morgens“, sagt ein Beamter. „Oder vielleicht auch früher.“
Fans des erschossenen Aktivisten Charlie Kirk, die für die Trauerfeier aus Florida, aus Virginia und selbst aus Kanada angereist sind, schütteln die Köpfe. Obwohl 73.000 Menschen in das Stadion passen, wollen sie die Nacht bereits auf den Bürgersteigen campieren.
„Ich bin so viele Stunden mit dem Auto gefahren, jetzt mache ich auch noch die Nacht durch. Hauptsache, ich komme ins Stadion“, sagt Claire, die im Bundesstaat Idaho lebt. Neben der Witwe Erika Kirk sollen am Sonntagabend deutscher Zeit US-Präsident Donald Trump, sein Vizepräsident J.D. Vance, Gesundheitsminister Robert F. Kennedy Jr. und der Fernsehmoderator Tucker Carlson sprechen.
Die 41-jährige Claire, die ihren Nachnamen für sich behält, ist in Oregon an der US-Westküste aufgewachsen, ein traditionell demokratisches Pflaster. „In der Schule haben mir die anderen Kids das Gefühl gegeben, dass ich dumm bin, weil ich vom Land kam und religiös aufwuchs, weil ich konservative Werte habe“, erklärt die Mutter von zwei Kindern. „Charlie hat Leuten wir mir die Selbstsicherheit gegeben, dass wir unsere Ansichten offen aussprechen können.“
In den 13 Jahren seit der Gründung von „Turning Point USA“ (TPUS) hatte Kirks konservative Organisation 3500 Gruppen mit mehr als 250.000 Mitgliedern an Schulen und Universitäten eröffnet. Nach Angaben von TPUS vom Donnerstag haben sich seit dem Mord an dem Gründer am 10. September mehr als 62.000 Interessenten registriert, um weitere „chapters“ zu initiieren oder sich zu engagieren.
Im ganzen Land finden Mahnwachen statt
Diese „chapters“ trugen dazu bei, dass Donald Trump im November 2024 seinen Rückstand zu den Demokraten in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen von 24 Punkten im Jahr 2020 auf elf Punkte hatte reduzieren können. Der wichtige Zuwachs sei TikTok zu verdanken gewesen, „aber auch Charlie Kirk“, hatte Trump nach seinem Sieg erklärt.
Mit Kirks Ermordung hat Turning Point zwar ihre Führungsfigur verloren. Doch der Aktivist hat für viele Konservative den Status eines Märtyrers bekommen, der wie ein Magnet wirkt. Im ganzen Land finden Mahnwachen statt, die seit seinem Tod von Freiwilligen organisiert wurden.
Eine von ihnen richtet Scott Presler am Vorabend der offiziellen Trauerfeier in einem Vorort von Phoenix aus. Presler trägt ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck „I Support ICE“ („Ich unterstütze ICE“). Gemeint ist die amerikanische Einwanderungsbehörde, die seit Trumps Wahlsieg Schlagzeilen macht mit Zugriffen auf Migranten, die sich illegal im Land aufhalten sollen.
Der Republikaner konzentriert sich mit der Initiative „Early Vote Action“ auf die Mobilisierung von Wählern und reklamiert für sich, eine wichtige Rolle bei Trumps vergangenem Wahlerfolg in Pennsylvania gespielt zu haben. „Ich bin am Sonntag nicht nur dabei, um Charlie Kirk zu ehren. Ich will auch so viele Leute wie menschenmöglich dazu bringen, sich als Wähler zu registrieren“, erklärt der 37-jährige Pressler. Und fügt hinzu: „Mit diesem Wendepunkt ist das Zuschauen vorbei. Jetzt müssen wir alle handeln.“
Die „Make America Great Again“-Bewegung denkt am Tag des Gedenkens zweifellos an die Zukunft. „Charlie und Scott haben einen großen Anteil daran, dass Trump dort ist, wo er heute ist. Sie haben viele jungen Wähler mobilisiert – auch diejenigen, die eigentlich gar nicht wählen wollten“, bestätigt Becca.
Die 33-jährige Politik- und Jurastudentin aus Colorado, nur zwei Jahre älter als Charlie Kirk, gehört zu jenen, die Kirk seit seinen Anfangszeiten folgen – seit 2016, als Donald Trump zum ersten Mal antrat und die Wahl gewann. Wie ihr Idol ist sie Trump und der MAGA-Bewegung treu geblieben, als Trump 2020 die Wahl verlor.
Seit Kirks Ermordung, sagt Becca, sei klar: Amerika stehe an einem Scheideweg. Was nun passiere, werde über die Zukunft des Landes bestimmen.
Sie sieht in Kirk einen Märtyrer, der dafür getötet wurde, dass er in den Wettstreit der Ideen ging und das in der Verfassung verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung hochhielt. „Wenn in Amerika, dem Land der Meinungsfreiheit, 2025 ein Mensch erschossen wird, nur weil er seine Gedanken ausspricht – wohin soll das führen?“
Schärfer klingt es bei Melissa Hamilton. Als die Sonne untergegangen ist, ruft sie gemeinsam mit Presler die Gruppe nach draußen, um Kerzen für Kirk anzuzünden. In der schwülen Hitze versammelt sich die Gruppe von Anhängern in der Dunkelheit auf einem Parkplatz. „Wenn wir uns nicht gegen die Tyrannei wehren, wird die Demokratie sterben“, sagt Hamilton. „Die Bewegung, die Charlie angeführt hat, wird größer sein als je zuvor.“
Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel.
Diana Pieper ist Redakteurin im Ressort Außenpolitik. Für WELT berichtet sie über internationale Politik mit einem besonderen Fokus auf Europa.
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