Militärisch sind die Europäer von den USA abhängig. Sie haben aber viele wirtschaftliche Druckmittel gegenüber dem US-Präsidenten. Die US-Industrie sei auf Produkte aus der EU angewiesen, sagt Samina Sultan, Expertin des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). Das könne Brüssel in künftigen Zollverhandlungen mit Donald Trump helfen.
ntv.de: Ihre Studie zeigt: Die Vereinigten Staaten sind stark von Importen aus der Europäischen Union abhängig. Bei 3120 Warengruppen in den USA gibt es einen Importanteil aus der EU von mindestens 50 Prozent. Dahinter steht ein Importwert von rund 290 Milliarden US-Dollar. Ihr Co-Autor Jürgen Matthes zeigte sich vom Ergebnis "überrascht" - Sie auch?
Samina Sultan: Wir waren beide überrascht - einerseits von der Größenordnung und andererseits davon, dass die Abhängigkeit der USA von europäischen Importen vergangenes Jahr größer war als die von chinesischen. Peking kommt 2024 nur noch auf 2925 Waren mit einem US-Importwert von 247 Milliarden US-Dollar. Wenn wir einen Blick in die nicht allzu ferne Vergangenheit werfen, war Chinas Anteil an den US-Einfuhren 2015 noch deutlich größer als derjenige der EU. Die Ergebnisse der Studie spiegeln die Bemühungen der USA wider, wirtschaftlich unabhängiger von China zu werden.
Schwer ersetzbare Waren aus der EU sind laut der Studie vor allem chemische Produkte, Maschinen, elektrotechnische Waren und unedle Metalle. Warum sind diese Produktgruppen so wichtig?
Wir haben uns die Importe über die vergangenen fünf Jahre angeschaut. Wenn der Importanteil eines bestimmten Produkts über diesen langen Zeitraum stabil über 50 Prozent blieb, war das ein Hinweis darauf, dass es nur schwer ersetzt werden kann. Wir müssen als Forschende ein bisschen Demut zeigen, weil wir nicht über das Knowhow der einzelnen Unternehmen verfügen, um zu wissen: Okay, das ist jetzt überhaupt nicht ersetzbar. Aber vor allem in der Pharmaindustrie und im Maschinenbau liefern die EU-Mitgliedstaaten industrielle Investitions- und Vorleistungsgüter, die in den USA dringend gebraucht werden. Das heißt: Falls Firmen in der EU die Lieferung anhalten, drohen Produktionsstopps oder -verzögerungen in den USA.
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Im Maschinenbau etwa gibt es spezielle Produkte, die sich zunächst etwas komisch anhören, wie Betonpumpen oder Frontschaufellader. Auch ich habe während der Untersuchung dazugelernt. Es gibt zum Beispiel sogenannte Bearbeitungszentren, das sind computergesteuerte, meist mehrachsige Werkzeugmaschinen. Im Maschinenbau ist vor allem Deutschland stark und stellt Produkte her, die nicht so einfach nachzubauen sind.
Wie abhängig sind die USA von Importen aus Deutschland?
Bei 466 Produktgruppen in den USA gibt es einen Importanteil aus Deutschland von mindestens 50 Prozent. Auf den ersten Blick mag das gering erscheinen, aber Deutschland ist nur einer von 27 Mitgliedstaaten der EU. Der deutsche Anteil ist beachtlich für ein Land mittlerer Größe. Außerdem blieben die US-Importe aus Deutschland in den vergangenen Jahren stabil - das spricht für eine deutsche Dominanz bei speziellen Produktgruppen.
Kann die EU bei künftigen Zollverhandlungen mit Präsident Trump Kapital aus der Abhängigkeit der USA schlagen?
Diese Zahlen und Fakten könnten dazu genutzt werden, uns Europäern den Rücken zu stärken. Wir haben Waren, die in der Industrie strategisch relevant sind und bei denen die USA eine hohe Importabhängigkeit von uns haben. Wir müssen uns diese Tatsache selbst bewusst machen. Vor diesem Hintergrund sollte die EU die empirischen Fakten über die hohe Importabhängigkeit der USA von der EU mit Nachdruck in die Verhandlungen einbringen. Damit kann sie deutlich machen, dass sich die USA mit hohen Zöllen auf EU-Produkte auch selbst stark schaden - und zwar über das Maß hinaus, das bei Zöllen üblich ist. Zudem gilt: Die Wirtschaftsvertreter in den USA dürften ein großes Eigeninteresse daran haben, die Lieferketten nicht zu zerstören. Die Stahl- und Aluminiumindustrie in den USA schreit bereits auf wegen Trumps Zöllen. Den US-Firmen fehlen die europäischen Zulieferungen für ihre Produktion.
Wird Trump auf diese Unternehmen hören?
Das ist die Frage. Für rationale Argumente ist Trump nicht immer zugänglich. Aber die Hoffnung bleibt: Wenn die Industrie in den USA aufschreit, könnte sie etwas bei Trump bewirken. Wir haben das schon gesehen nach dem Liberation Day, als die Börsen und Anleihemärkte eingebrochen sind. Das hat damals Eindruck auf Trump gemacht.
Trump konnte Brüssel auch mit der Drohung erpressen, Europa und die Ukraine militärisch fallen zu lassen. Kann die EU ein Gegengewicht mit rein wirtschaftlichen Argumenten schaffen, falls sie wieder mit ihm verhandeln muss?
Falls Trump auf stur stellt und die Konfrontation sucht, wird es schwer sein, gegen seine sicherheitspolitischen Drohungen anzukommen. Falls er aber offen ist für das Argument, wie fundamental weitere Zölle der US-Wirtschaft schaden würden, gibt es Chancen. Die EU kann die Abhängigkeit der USA als Munition nutzen, falls es nochmal Verhandlungen gibt. Aber ganz klar: Wir müssen unsere Verteidigungsfähigkeit stärken, um unabhängiger von den USA zu werden.
Wenn die USA ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von China weiter verringern wollen - müssen sie sich dann unbedingt an die Europäer wenden?
Zumindest mittelfristig brauchen die USA die Europäer. Man kann zwar fast jede Lieferkette über eine lange Frist auch woanders aufbauen, wenn man bereit ist, die Kosten dafür aufzubringen. Das passiert aber nicht in zwei Jahren und auch nicht in vier. Außerdem verprellen die USA momentan viele andere Handelspartner, zuletzt Indien mit Zöllen in Höhe von 50 Prozent. Dass die USA die Beziehungen zu ihren früheren Verbündeten schwächen, wird sich künftig als ein Nachteil für sie herausstellen. Trump untergräbt das Vertrauen in die Vereinigten Staaten fundamental.
Treibt Trump seine einstigen Handelspartner also weiter in die Arme der EU?
Die EU kann von dem Vertrauensverlust in die USA profitieren. Die USA verspielen gerade ihre soft power, also ihre Attraktivität auf der Weltbühne aufgrund politischer und kultureller Werte. Das wird auch wirtschaftliche Auswirkungen für die USA haben. Die verprellten Handelspartner suchen dann vermehrt die Nähe zur EU, wenn die als verlässlich gilt. Neue Abkommen etwa mit den Mercosur-Staaten, Malaysia und Indien sind deshalb wichtig. Trump setzt jetzt die EU unter Druck, ebenfalls hohe Zölle gegen Indien zu erheben. In Brüssel stößt das auf Widerstand. Es ist klug, sich die europäische Außenpolitik nicht von Trump diktieren zu lassen.
Mit Samina Sultan sprach Lea Verstl
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