Der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff fordert, Migration nicht als Ursache für zentrale Herausforderungen in Deutschland zu sehen. „Lasst uns über die wirklichen Probleme sprechen“, betonte der 66-Jährige in dem Interview-Podcast „Jung in der Gesellschaft“. „Migration ist nicht das zentrale Thema, aber der Eindruck wird erweckt – und darunter leide ich als Staatsbürger“, sagte er. Wichtiger sei, dass zu viele ältere Menschen aus dem Arbeitsmarkt ausschieden und zu gleichzeitig zu wenige Jüngere nachrückten.

Zugleich stellte Wulff eine Ungleichbehandlung im Arbeitsmarkt fest: Bewerber mit deutschen Namen hätten bessere Aussicht, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, als Bewerber mit türkischen Namen, auch bei gleicher Qualifikation. „Diese Art von verdecktem strukturellem Rassismus müssen wir überwinden“, fordert der Altbundespräsident.

In seiner Rede zum 20. Tag der Deutschen Einheit im Jahr 2010 hatte Wulff als Staatsoberhaupt gesagt: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ In dem Podcast sprach er sich nun für Islam-Unterricht an deutschen Schulen aus. „Wenn wir Millionen deutsche Muslime haben, dann muss islamischer Religionsunterricht an den Schulen stattfinden.“

Darin sehe er eine Chance, um den Einfluss ausländisch finanzierter Imame auf die deutsche muslimische Gemeinschaft zu verringern, vor allem, indem sie in Deutschland ausgebildet werden. „Muslime sind friedliebend, mit Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Einsatzbereitschaft für Schwächere – das wird dort gepredigt.“ Diese Eigenschaften solle Deutschland für sich nutzen. „Aber wenn man denen sagt, ‚Ihr gehört nicht dazu, ihr seid ein Problem‘, dann muss man sich nicht wundern, wenn die sich in eine Parallelgesellschaft zurückziehen“, warnt Wulff.

Missfallen äußerte der Ex-Bundespräsident über den Umgang mit dem Thema Migration in seiner eigenen Partei. „Bestimmte demokratische Parteien reagieren halt auf das Phänomen AfD nicht in dem Sinne, klar zu sagen: ‚Das gefährdet den Wohlstand Deutschlands‘, sondern mit ‚Ist ja auch zu weit gegangen, hätten wir nicht machen dürfen‘“, kritisierte er.

Als Fehler attestierte er der Union, dass sie nach Angela Merkels (CDU) Credo „Wir schaffen das“ nicht mehr geschlossen eine solche Haltung zur Migration vertreten habe. Gleichzeitig hätte damals klarer kommuniziert werden müssen, dass die Lage an den deutschen Grenzen im Herbst 2015 nur eine „einmalige Situation“ gewesen sei.

Julius Stockheim ist Moderator des Interview-Podcasts „Jung in der Gesellschaft“. Zurzeit hospitiert der Schüler der Kölner Journalistenschule im Innenpolitik-Ressort von WELT.

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