Im Streit über die Neuordnung der Wahlkreise im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat die Grünen-Fraktion um Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann ihre bisherige Linie überraschend aufgegeben. Bei einer Sondersitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) am Montagabend stimmten die Grünen nun doch für den gemeinsamen Antrag von CDU, SPD und Linken.
Der Beschluss fiel nach Angaben aus dem Bezirksparlament mit 43 Ja-Stimmen bei zwei Nein-Stimmen und keinen Enthaltungen deutlich aus. Zuvor hatten die Grünen wochenlang an einem eigenen Plan für einen Neuzuschnitt festgehalten und diesen noch mit der Stimme der Bezirksbürgermeisterin im Bezirksamt durchgesetzt.
Die Neuordnung der Wahlkreise für die Wahl zum Abgeordnetenhaus der Hauptstadt war notwendig geworden, weil Friedrichshain-Kreuzberg nach den landesweiten Vorgaben wegen seiner Bevölkerungsentwicklung künftig nur noch fünf statt sechs Wahlkreise stellen darf. Besonders umstritten war dabei der bisherige Wahlkreis 4. Er lag bislang vollständig in Friedrichshain, einer Hochburg der Linken. Nach dem ursprünglichen Vorschlag der Grünen sollte er künftig mit großen Teilen von Kreuzberg verschmolzen werden – einem Bezirksteil, in dem die Partei bei der Wahl 2023 teils mehr als 40 Prozent der Stimmen holte.
SPD, Linke und CDU sahen darin den Versuch parteitaktischer Vorteilsnahme und warfen den Grünen „Gerrymandering“ vor, also das gezielte Verschieben von Wahlkreisgrenzen zugunsten einer Partei, wie es vor allem aus den USA bekannt ist.
Der Vorwurf hatte das Potenzial, die Kooperationskultur im Bezirk dauerhaft zu belasten. In der Regel stimmen SPD und Linke im Bezirk mit den Grünen, selbst wenn sie sich damit gegen die Linie der eigenen Landesparteien stellen, etwa beim Streit um die Umzäunung des Görlitzer Parks. Diesmal jedoch kam es zu einer ungewöhnlichen Allianz von SPD, Linker und CDU, die geschlossen gegen den Grünen-Vorschlag mobilisierten.
Die Senatsinnenverwaltung unter Iris Spranger (SPD) hatte schon im Vorfeld signalisiert, dass sie im Zweifel den Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung anerkennen werde – und nicht die Linie des von den Grünen geführten Bezirksamts. Damit stand den Grünen eine klare Niederlage bevor.
„Vorwurf bleibt im Raum bestehen“, sagt die SPD
„Wir haben damit gerechnet, dass die Grünen am Ende nachgeben müssen“, sagte Kurt Wansner, Kreisvorsitzender der CDU Friedrichshain-Kreuzberg. Seine Partei habe von Beginn an deutlich gemacht, den ursprünglichen Vorschlag nicht mitzutragen. „Dass die Grünen gestern eingeknickt sind, ist auch ein Lernprozess – sie haben gemerkt, dass sie in Friedrichshain-Kreuzberg keine automatischen Mehrheiten mehr haben“, so Wansner.
Der SPD-Kreisvorsitzende Frank Vollmert sprach von einem „Rückzug in Raten“. Die Grünen hätten zunächst den Beschluss des Bezirksamts verteidigt und plötzlich die Kehrtwende vollzogen. „Der Vorwurf des Gerrymandering bleibt weiterhin im Raum bestehen, solange der ursprüngliche Zuschnitt nicht endgültig vom Tisch ist“, sagte Vollmert. Zugleich betonte er, dass die Bezirksverordnetenversammlung auf Konsens angelegt sei und die Fraktionen trotz des Konflikts gesprächsfähig bleiben müssten.
Kerstin Wolter, Vorsitzende der Linken in Friedrichshain-Kreuzberg, begrüßte, dass mit dem Beschluss des Bezirksparlaments nun zügig Klarheit über die Wahlkreiszuschnitte geschaffen werde. Zugleich übte sie deutliche Kritik am Verhalten der Grünen: Diese hätten die Mehrheitsentscheidung der Bezirksverordnetenversammlung nicht gleich im ersten Schritt respektiert. „Dass die Grünen Spielchen mit den Wahlkreis-Zuschnitten treiben, während immer mehr Menschen im Bezirk unter den steigenden Mieten leiden, ist absurd“, sagte Wolter.
Der Kreisverband der Grünen erklärte am Dienstag in einer Pressemitteilung, die Bezirksverordnetenversammlung habe „juristisches Neuland“ betreten, indem sie den Bezirksamtsbeschluss durch einen eigenen ersetzt habe. Die Grünen begründeten ihre Zustimmung damit, dass man nun die Bezirksaufsicht anrufe, um Rechtssicherheit herzustellen. „Eine rechtssichere Durchführung der Wahl hat für uns höchste Priorität“, hieß es. Ein Sprecher der Grünen-Fraktion in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg ließ auf WELT-Anfrage verlauten, dass Bürgermeisterin Herrmann für keine weiterführenden Statements zur Verfügung stehe.
Die Frist ist dabei eng. Die neuen Zuschnitte der Wahlkreise müssen spätestens Anfang Oktober feststehen, damit die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wie geplant am 20. September 2026 stattfinden kann.
Maximilian Heimerzheim ist Volontär im Innenpolitik-Ressort.
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