Am frühen Morgen des 7. September 2025 schlagen Einsatzkräfte des pakistanischen Counter Terrorism Department (CTD) die Badezimmertür eines von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) angemieteten Gästehauses in Islamabad ein. Drinnen hatten sich Angehörige einer afghanischen Familie verschanzt, die auf eine Ausreise nach Deutschland hofften – im Rahmen eines der Afghanistan-Aufnahmeprogramme der Bundesregierung, das seit Monaten für Aufregung sorgt.
Mehrere der Menschen verlieren bei jenem Einsatz in Panik das Bewusstsein. Später bringen Helfer sie in ein Krankenhaus. „Stabiler Zustand“, vermerkt ein behandelnder Mediziner.
Solche Szenen sind keine Ausnahmen – das zeigen vertrauliche deutsche Regierungsunterlagen, die WELT exklusiv vorliegen. Die Sicherheitslage für die Menschen, die mit einer Aufnahmezusage für Deutschland aus ihrer Heimat nach Pakistan gereist waren und hier von der GIZ betreut werden, hat sich gemäß der Dokumente seit Mitte August „erhebliche verschärft“. Demnach gibt es seitdem immer mehr willkürliche, teils gewaltsame Razzien in Gästehäusern, Festnahmen und Abschiebungen.
Das Ausmaß ist weitaus größer, als bislang öffentlich bekannt war. Mit Stand 7. September wurden allein in den drei Wochen zuvor deutlich mehr als 500 Personen von pakistanischen Behörden festgenommen. Der Grund: Weil Berlin trotz erteilter Aufnahmezusagen vielen Menschen die Weiterreise nach Deutschland nicht erlaubt, verlieren deren Visa für Pakistan ihre Gültigkeit.
Immer wieder hat Islamabad der Bundesregierung ihr Missfallen über das zögerliche Vorgehen bei der Bearbeitung der offenen Fälle ausgedrückt und Razzien sowie Massenabschiebungen mehrfach angekündigt – passiert ist trotzdem nichts, außer eine missglückte Intervention von Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) bei seinem pakistanischen Amtskollegen.
Gemäß der WELT vorliegenden Unterlagen wurde knapp die Hälfte der Festgenommenen bereits in ihre Heimat abgeschoben – was deutsche Stellen in helle Aufregung versetzt hat. Das Auswärtige Amt (AA) versucht, die pakistanischen Behörden davon zu überzeugen, die Afghanen zurück ins Land zu lassen. Teilweise gelingt das sogar.
Fakt ist: Rund ein Drittel der rund 2000 offenen Fälle kann aktuell nicht einmal bearbeitet werden, weil die Antragssteller aus Islamabad verschleppt worden sind – nach Afghanistan, nach Peshawar weiter im Westen Pakistans, in Abschiebegefängnisse. Das vom AA verkündete Ziel, die Bundesaufnahmeprogramme schnellstmöglich zu beenden, wird dadurch zusätzlich erschwert.
Die vertraulichen Protokolle zeugen von nächtlichen Razzien, Misshandlungen und psychischem Druck. WELT dokumentiert Auszüge, die Namen der Betroffenen wurden aus Gründen des Persönlichkeitsrechts abgekürzt:
- Frau M., hochschwanger, wird Ende August festgenommen und nach Peshawar verlegt. Kurz darauf erleidet sie eine Fehlgeburt
- Familie A., 7. September: Als CTD-Beamte die Tür eintreten, geraten Angehörige in Panik, mehrere Ohnmachtsanfälle; Krankenhausbehandlung
- Herr H. schildert, wie Beamte Gäste aus einem Haus zerren; seine schwangere Frau bekommt Panikattacken; „ständige Angst vor Verhaftung“ heißt es
- Frau Z. verbarrikadiert sich mit ihren Töchtern auf einem Balkon, während eine Razzia läuft; danach starke Angst- und Depressionssymptome
- In einem weiteren Einsatz mit rund 25 Polizisten werden 29 Gäste festgenommen; andere berichten von Schlägen und massiven Drohungen – auch gegenüber Kindern
- Herr S. wird während einer Kontrolle geschlagen, seine Kinder bleiben eingesperrt im Auto; später „klinische Symptome“ von Angststörungen
- Im August gebärt eine junge Mutter ihr Kind; gemeinsam mit ihrem Neugeborenen versteckt sie sich in einem Park
Die Fallberichte vermerken zudem verweigerte medizinische Hilfe: Aus dem Haji Camp wird am 5. September eine Zweijährige mit Fieber und Erbrechen gemeldet; einem 77-Jährigen fehlen dringend benötigte Herzmedikamente. Zugang ins Camp „derzeit strikt untersagt“, notieren deutsche Beamte.
Mehrere Betroffene äußerten in den vergangenen Wochen gegenüber Beamten Furcht vor Rückführungen an die Taliban. In einem Fall schilderte ein Mann frühere Folter und Mordversuche in Afghanistan und übermittelte Beweisfotos.
Zusammenfassend heißt es in den Papieren, „wiederholte Polizeirazzien, Verhaftungen und Deportationen“ hätten „zu einer massiven Zunahme von Unsicherheit, psychischen Belastungen und physischen Risiken geführt“. Besonders vulnerabel seien schwangere und alleinstehende Frauen ohne männliche Begleitung, Kinder sowie bereits traumatisierte Personen.
„Die Vorfälle verdeutlichen, dass das Vorgehen der pakistanischen Sicherheitskräfte willkürlich, mitunter gewalttätig und ohne Rücksicht auf den Gesundheitszustand oder die familiäre Situation der Betroffenen erfolgt. Die Folgen reichen von physischen Verletzungen bis hin zu retraumatisierenden Erlebnissen, die die psychische Gesundheit der Schutzbefohlenen schwer beeinträchtigen.“
Die internen Berichte widersprechen dem Narrativ, die Lage in Islamabad sei beruhigt. Zwar flog die Bundesregierung – auf Anordnung von Verwaltungsrichtern – vor einer Woche 47 Afghanen mit Aufnahmezusage nach Hannover aus; gleichzeitig verstärken die Pakistaner das Vorgehen gegen Afghanen.
Vergangene Woche hatte WELT berichtet, dass die diplomatischen Bemühungen von Außenminister Wadephul, Abschiebungen zu stoppen, ohne Wirkung blieben. Eine mit der Lage vor Ort beschäftigte Person sagte dieser Redaktion am Wochenende: „Die pakistanische Regierung hat schlicht die Geduld mit den Deutschen verloren. Das bekommen die Menschen in den Aufnahmeprogrammen jetzt auf sehr harte Weise zu spüren.“
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