Mehrere Gerichte haben entschieden, dass die Staatsanwaltschaft der Presse nicht verraten muss, von wem ein Beschuldigter in einem laufenden Ermittlungsverfahren verteidigt wird. Was wie eine Stärkung des Anwaltsgeheimnisses klingt, benachteiligt vor allem die Presse und den Tatverdächtigen.
Es ist ein leider alltägliches Szenario: Irgendwo in Deutschland findet eine Tötung oder ein anderes schweres Gewaltverbrechen statt. Während Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln, fängt auch die Presse an zu recherchieren – zunächst, um einem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit nachzukommen, und manchmal auch, um Fehler in der Ermittlungsarbeit der Behörden aufzudecken. Prominentestes Beispiel in der jüngeren Vergangenheit sind etwa die vielen Pannen im Vorfeld des Anschlags am Breitscheidplatz.
Doch schnell steht man als Journalist vor einem Dilemma: Bis auf eine nichtssagende Pressemitteilung am Tag nach der Tat weigern sich die Pressestellen der Behörden, detaillierte Fragen zu beantworten. Gleichzeitig dürfte man die wenigen Informationen über die Tatverdächtigen, die man oft aus inoffiziellen Quellen erhalten hat, eigentlich nicht veröffentlichen, bevor man dem Tatverdächtigen nicht Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat – sonst droht bei einer identifizierenden Berichterstattung eine Klage im Nachgang. Wie aber soll man den mutmaßlichen Täter erreichen, wenn dieser gerade in Untersuchungshaft sitzt?
In dieser Situation wäre sein Verteidiger als einziges Bindeglied zwischen ihm und der Außenwelt ein willkommener Ansprechpartner. Aber sofern dieser nicht proaktiv Öffentlichkeitsarbeit betreibt, kennt man dessen Name nicht. Den wollen Staatsanwaltschaften aber ebenfalls nicht herausgeben, aus Respekt vor dem Anwaltsgeheimnis. Zu Recht?
Jedenfalls schlagen sich nach Klagen von Medien, vor allem der BILD-Zeitung (gehört wie WELT zu Axel Springer), bundesweit immer mehr Verwaltungsgerichte auf Seite der Ermittler. Selbst das Bundesverfassungsgericht sieht bislang keinen Grund einzugreifen. Am 4. September entschied die 1. Kammer des Ersten Senats unter Gerichtspräsident Stephan Harbarth, die Verfassungsbeschwerde eines BILD-Reporters nicht zur Entscheidung anzunehmen – ohne Begründung.
In diesem Fall hatten zuvor der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) und das Verwaltungsgericht München im Eilverfahren der Staatsanwaltschaft den Rücken gestärkt. Der Reporter habe keinen Anspruch, von der Behörde zu erfahren, wer einen Syrer, der in München im Mai einen deutschen Friseur mit mehr als 20 Messerstichen getötet haben soll, verteidigt.
Der BayVGH stellt in seinem Beschluss vom 20. August schon in Frage, ob sich der BILD-Mann hier überhaupt auf den presserechtlichen Auskunftsanspruch berufen kann: „Denn die begehrte Auskunft dient nach den Angaben des Antragstellers nicht primär dazu, über den Strafverteidiger, dessen Namen er genannt haben möchte, zu recherchieren und/oder zu berichten. Vielmehr soll der Strafverteidiger als ‚Informant‘ oder ‚Mittelsmann‘ dienen, weil über ihn eine Kontaktaufnahme mit dem Beschuldigten ermöglicht werden soll, um weitere Informationen über die Tat und deren nähere Umstände zu erfahren.“
Jedenfalls überwögen die Geheimhaltungsinteressen des Verteidigers und seines Mandanten. Das Ermittlungsverfahren sei anders als die Hauptverhandlung vor Gericht noch bewusst nicht-öffentlich ausgestaltet, es sei gerade auf die Wahrung der Anonymität aller Beteiligten ausgerichtet.
Wenn bereits die Anbahnung und Ablehnung eines Mandats sowie der Umstand, dass überhaupt ein Anwalt aufgesucht wird, vom Mandantengeheimnis erfasst sei, müsse dies auch für den Namen des Strafverteidigers gelten. Andernfalls könnte das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandat beeinträchtigt werden.
„Hinzu kommt, dass der Strafverteidiger als Organ der Rechtspflege ein schutzwürdiges Interesse daran hat, ungestört von Presseanfragen seinen Pflichten im Ermittlungsverfahren nachgehen zu können“, schreibt das Gericht. Es sei nicht auszuschließen, dass die Presse versuche, durch eine entsprechende Berichterstattung Einfluss auf den Strafverteidiger zu nehmen, wenn dieser eine Zusammenarbeit mit den Medien ablehnt.
Da im Münchener Fall Anwalt und Mandant noch nicht im Wege der „Selbstöffnung“ an die Presse herangetreten seien, läge auch nahe, dass sie anonym bleiben wollen. Das Informationsinteresse der Allgemeinheit sei auch schon dadurch geringer, dass die Strafverfolgungsbehörden bereits mittels Pressemitteilung und Pressekonferenz über die Tat und die wichtigsten Tatumstände berichtet hätten.
Auch die publizistische Sorgfaltspflicht führe zu keinem anderen Ergebnis: „Die grundsätzlich bestehende ‚Anhörungspflicht‘ des Verdächtigen vor einer Verdachtsberichterstattung kann naturgemäß nur zum Zug kommen, wenn der Verdächtige bekannt bzw. kontaktierbar ist.“
Abschließend haben die Richter noch einen Tipp: Der Reporter hätte es „im Sinne eines schonenden Interessenausgleichs selbst in der Hand gehabt, die Staatsanwaltschaft zu bitten, dem Strafverteidiger seine Kontaktdaten verbunden mit dem Hinweis zu übermitteln, er wolle Kontakt aufnehmen, um über die Tat und deren Umstände weiter zu recherchieren und zu berichten.“
In der Verfassungsbeschwerde der BILD gegen diesen Beschluss kritisierte Anwalt Christoph Partsch, dass „rechtmäßige Pressearbeit“ dadurch „erheblich erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht werde“. Die obersten Gerichte würden nun mal in ständiger Rechtsprechung eine Verdachtsberichterstattung, ohne dass sich zuvor eine Stellungnahme des Beschuldigten eingeholt wurde, verbieten.
Die Presse müsse aber ihre verfassungsrechtlich geschützte Informations- und Kontrollfunktion ausüben können, die im Ermittlungsverfahren auch dem Schutz des Beschuldigten beispielsweise vor Misshandlungen in der Untersuchungshaft diene. Teil der Recherche sei ebenfalls die Beschaffung von Informationen, die Folgerecherchen ermöglichen.
Welche Information von Belang sei und ob und wie eine Informierung der Öffentlichkeit erfolge, liege in der Entscheidungsverantwortung der Presse. Das heißt: Der Name des Verteidigers wird durch die Presse womöglich gar nicht erst veröffentlicht, sondern dient wirklich nur der Kontaktaufnahme. Die Aufgabe der Presse könne aber nicht durch staatliche Pressemitteilungen ersetzt werden, so Partsch weiter.
Der BayVGH habe auch nicht berücksichtigt, dass bei schweren Straftaten das Mandat nicht einmal aufgrund eines freien Willensentschlusses entstehe, sondern ein Pflichtverteidiger gerichtlich bestellt werde. Die Frage, ob der Verdächtige einen Anwalt aufgesucht habe, stelle sich daher der Öffentlichkeit gar nicht mehr. Außerdem sei nichts dafür ersichtlich, dass dem Verteidiger erhebliche Belästigungen drohten; er könne eine Presseanfrage schlicht ablehnen. Das anwaltliche Schweigerecht bestehe unabhängig von der Offenlegung des Namens fort.
Nachdem das Bundesverfassungsgericht nicht die Chance ergriffen hat, mit einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde bundesweit für Klarheit zu sorgen, droht nun ein Flickenteppich: Im April hatte das Oberverwaltungsgericht in Hamburg die Justiz noch verpflichtet, Springer den Namen eines Strafverteidigers zu nennen. Verwaltungsgerichte in Schleswig und Dresden haben sich nun dagegen der Ansicht aus München angeschlossen und ähnliche Eilanträge abgelehnt. Entscheidungen in der Hauptsache stehen noch aus.
Bis dahin kennt die Geschichte nur Verlierer: Journalisten wissen nicht mehr, was sie machen müssen, Beschuldigte bekommen keine Chance mehr zur Stellungnahme und die Öffentlichkeit wird schlechter informiert.
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