Der Schriftsteller Domenico Müllensiefen hat sich mit den Christdemokraten seiner Heimatregion in Sachsen-Anhalt angelegt. Diese hatten mit der AfD die Beteiligung der Stadt Salzwedel an "Demokratie leben!" verhindert. Für den Autor ein Indiz, dass die CDU die Dimension des tobenden Kulturkampfes unterschätzt.
Das Büro der CDU in Salzwedel im Norden von Sachsen-Anhalt hat offenkundig technische oder organisatorische Probleme, vielleicht auch beides. Der Leipziger Schriftsteller Domenico Müllensiefen schrieb Anfang Mai eine Mail an die Christdemokaten und lud sie zu einer Lesung von ihm ein. "Bis heute habe ich keine Antwort erhalten", sagt der 38-Jährige nach wie vor nicht frei von Zorn. "Die CDU sitzt die Sache einfach aus." Er meint damit eine Abstimmung im Stadtrat von Salzwedel und ihre Folgen.
Das Parlament hatte auch mit den Stimmen von AfD und CDU gegen eine finanzielle Beteiligung von Salzwedel am Programm "Demokratie leben!" votiert, was Voraussetzung gewesen wäre, dass Bund und Land Geld überweisen. Nach der Entscheidung brach Jubel aus, wie ein Video dokumentiert. Der Region gingen für die kommenden acht Jahre mehrere Hunderttausend Euro zur - wie es offiziell heißt - "Demokratieförderung" verloren. Der Verein Miteinander musste eine schon länger geplante Lesung mit Müllensiefen absagen, da Geld aus eben dem Topf kommen sollte, das der Stadtrat mit knapper Mehrheit ablehnte.
"Okay, dachte ich, dann mache ich es halt ohne Honorar", erzählt Müllensiefen ntv.de. Die Veranstaltung fand statt, in der er Auszüge aus seinem Roman "Schnall dich an, es geht los" vortrug. Das Buch erzählt von unerfüllten Träumen im real existierenden Kapitalismus in den ersten Jahren nach der Wende in der Altmark, zu der Salzwedel gehört. Müllensiefen verbrachte in der Region Kindheit und Jugend. Als einen "wichtigen Inhaltspunkt" nennt er das Nachdenken über die Frage: "Was passiert, wenn Neonazis die Deutungshoheit auch über die Kultur bekommen?" Deshalb habe er "die CDU eingeladen, mit mir zu diskutieren".
Verein Miteinander beklagt "Vertrauensbruch"
Deren Fraktionschef im Stadtrat, Thomas Böder, will die Einladung nie zu Gesicht bekommen haben, sie sei ihm nicht bekannt. In einem Gespräch mit der "Zeit" distanzierte er sich klar von der Alternative für Deutschland: "Wenn die CDU mit der AfD koaliert, dann trete ich aus." Und warum dann das gemeinsame Votum? Böder, der auf Anfrage von ntv.de nicht reagierte, nannte neben seiner Meinung nach mangelnde Informationen und Transparenz zur Verwendung der Gelder: "Der Verein Miteinander ist sehr weit links", engagiere sich vor allem gegen Rechts- statt Linksextremismus und Islamismus. Er wisse nicht, ob die Mittel "neutral" vergeben würden.
Der Verein kann Vorschläge machen, aber nicht allein bestimmen, wohin Beträge gehen. An der Entscheidung sind Akteure etwa im Rathaus und der Wirtschaft beteiligt. Miteinander betrachtet das Votum im Stadtrat als "Vertrauensbruch". Seine stellvertretende Geschäftsführerin Ricarda Milke sagt: "Wir engagieren uns seit 26 Jahren für eine offene, plurale und demokratische Gesellschaft." Auch wenn Geld aus anderen öffentlichen Töpfen fließe, sei längst nicht mehr alles möglich. Vollständig zu kompensieren sei der Mittel-Ausfall nicht.
Dass sich Müllensiefen nicht mit der AfD, sondern der CDU angelegt hat und nicht klein beigibt, hat mit den politischen Umständen in Sachsen-Anhalt zu tun. Der populäre Ministerpräsident Haseloff wird bei der Landtagswahl im September kommenden Jahres nicht wieder als CDU-Spitzenkandidat antreten. Die AfD liegt in Umfragen knapp hinter den Christdemokraten. Wenn es ganz schlecht läuft für die anderen Parteien, könnte die AfD allein regieren.
Müllensiefen wirft der CDU Salzwedel mangelndes Bewusstsein dafür vor, wie nah die weit rechts stehende Partei der Macht sei. "Die CDU war bereit, mit der AfD Demokratieprojekte plattzumachen und steckte danach den Kopf in den Sand." Zudem spricht der Autor aus, was viele Künstlerinnen und Künstler umtreibt: "Die AfD will die Deutungshoheit über Kunst und Kultur bekommen. Sie will kontrollieren, was auf Bühnen aufgeführt und gesagt werden darf - und was nicht."
Warum die Kultur für die AfD so relevant ist
So gut wie alle Theater, Opernhäuser und Museen würden - ebenso wie zivilgesellschaftliche Vereine - ohne die Millionen der öffentlichen Hand nicht überleben. Die Partei, die in Sachsen-Anhalt Ende 2023 vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft worden ist, kritisiert, dass alles, was politisch rechts oder "nicht woke genug" sei, bei den Subventionen leer ausgehe. Sie erklärt: "Die staatliche Kulturförderung darf nicht dazu missbraucht werden, die politische Willensbildung zu beeinflussen." In der Lesart der AfD soll das heißen: "Die Umerziehung" der Bevölkerung müsse ein Ende finden.
Der Deutsche Kulturrat begreift das vor allem als Drohung. Die Dachorganisation der Bundeskulturverbände verweist auf Länder mit Regierungen, die von Parteien geführt werden, die der AfD nahe stehen, etwa Ungarn. Geschäftsführer Olaf Zimmermann sagt: "Die extreme Rechte hat den Kulturbereich als ihr gesellschaftspolitisches Experimentierfeld auserkoren." Motto: "Da müssen wir sofort aufräumen". Was Zimmermann damit meint: Die AfD strebt in der Kultur Homogenität und nationale Identität an, also genau das, was künstlerischer Freiheit entgegenstehen würde.
"Die Bandmauer ist eine Hecke"
Ein Theater müsse sich "neutral" verhalten und "unsere Nationalkultur pflegen, die über alle politischen Richtungen stehen soll", sagte der stellvertretende Landesvorsitzende der AfD Sachsen-Anhalt, Hans-Thomas Tillschneider, im Februar 2024 dem Deutschlandfunk. Der in Rumänien geborene Kulturpolitiker äußerte sich damals zur AfD-Forderung, dem Theater in Eisleben, rund 80 Kilometer südlich von Magdeburg, den Geldhahn zuzudrehen - es hätte den Spielbetrieb einstellen müssen. Mitarbeiter der Einrichtung hatten "für Vielfalt, Demokratie, Menschenwürde, Toleranz" demonstriert. Einer trug ein T-Shirt "Fuck Nazis" und ein Schild mit "'Nein' zur AfD". Davon fühlte sich die Partei "diskriminiert".
Tillschneider war es auch, der Ende vergangenen Jahres einen Antrag initiierte, der sich gegen das Bauhaus in Dessau und seine revolutionären Ideen richtete. Die Rede war vom "Irrweg der Moderne" und "Einheitsbrei", der "bewusst nicht deutsch" sei. Nationalsozialisten und andere Rechtsextremisten hatten dafür gesorgt, dass die Einrichtung 1925 Weimar verlassen musste. 1933 zwangen die Nazis das Bauhaus zur Aufgabe.
Alle Parteien im Parlament kritisierten die AfD-Initiative scharf. Für die CDU sagte der Abgeordnete Detlef Gürth: "Nach dem Dritten Reich gibt es nun eine zweite politische Kraft, die das Bauhaus verbieten, niedermachen oder schikanieren will. Sie hat drei Buchstaben und heißt AfD." Trotz solcher distanzierenden Äußerungen aus der CDU gegenüber der AfD glaubt Müllensiefen, dass kulturelle und zivilgesellschaftliche Einrichtungen künftig noch stärker unter Druck geraten. "Es gibt längst eine aktive Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD im Bereich der Kultur und ihrer Finanzierung", sagt der Schriftsteller mit Blick auf andere Kommunen in Ostdeutschland. "Die Brandmauer ist eine Hecke, nicht nur in Salzwedel."
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