Der frühere SPD-Generalsekretär ist von Wien zum Bodensee gewandert. Begeistert erzählt er davon auf Instagram. Kevin Kühnert schreibt aber auch: "Nein, das Wandern ist natürlich kein Zaubertrank gegen alles Mögliche." Ob er über den Berg ist, weiß nur er.

Misst man den Grad der Beliebtheit am Beifall des Publikums, ist Kevin Kühnert nach wie vor ungemein populär. In der schrulligen ZDF-Show des Comedians Till Reiners wird er mit tosendem Applaus empfangen. Kühnert ist, wie der Gastgeber sagt, "erst einen Tag zurück" von seiner siebenwöchigen Wanderung. Mehr als eintausend Kilometer allein von Wien zum Bodensee hat er in den Knochen - ohne Frage eine sportliche Leistung. Der frühere SPD-Generalsekretär wirkt entspannt.

Der 36-Jährige erzählt vom Hüttenleben, wie es ist, wenn ungefähr 100 Wanderer, die durch glitschige Wiesen, Hinterlassenschaften von Kühen und Matsch gelaufen sind, ihre Klamotten gleich im Raum hinter dem Eingang einer Herberge zum Trocknen und Auslüften aushängen. Eines der Erlebnisse, "die man so in der Politik nicht erlebt hat". Kühnert, der sehr witzig sein kann, berichtet von Leuten, die nicht mitbekommen haben, dass er das Raumschiff Bundestag verlassen hat. "Oh, die Regierung", ahmt Kühnert das Aufplustern eines Hüttenbewohners nach. Er nennt das "'ne Boomer-Begrüßung". In höherer Tonlage gibt er eine gediegenere Variante zum Besten: "Der feine Herr hier auf der Hütte."

Reiners will wissen, wie es ist, als Generalsekretär Einigungen zu verkünden, "die du nicht immer super fandest". Kurz wird der Gast wieder der Politiker, der er jahrelang war: "Vom Grundsatz gehört das natürlich zur Demokratie dazu. Das halte ich auch hoch." Doch dann macht Kühnert klar, wie sehr es ihn genervt hat, Ergebnisse zu verkünden, die kurz danach in den eigenen Reihen zerredet und bestritten worden sind. Selbst als einer, der nah am Geschehen der Regierung war, "hast du nicht die letzte Information und stehst morgens im Fernsehen und verkündest mit so fester Stimme, wie du sie um 6.30 Uhr halt haben kannst - und erfährst Dinge, von denen du um 8 Uhr selber lernst: Ist ganz anders."

Mächtigste Zeit nicht als Generalsekretär

Das Publikum lacht, was nachvollziehbar ist. Dabei beschreibt Kühnert eine Misere der Politik im Zeitalter medialer Dauerbeschallung samt endloser Debatten im Internet. Er nennt ein Beispiel - und spätestens jetzt ahnt man, warum Kühnert hingeschmissen hat. "Gepard-Panzerlieferung - nein auf keinen Fall, das machen wir nicht. Anderthalb Stunden später waren sie quasi schon in der Ukraine." Seine "mächtigste Zeit ist die als Juso-Vorsitzender gewesen", als er noch kein Bundestagsmandat und keinen Posten in der SPD-Führung, "aber enorm hohe Diskursmacht in der Gesellschaft" gehabt habe. Auch das ist bitter, weil es die Zwänge zeigt, denen sich ein Politiker ausliefert, der in der obersten Liga spielt.

Am Ende spielen Reiners und Kühnert, die politisch auf einer Wellenlänge sind, "Bundespressekonferenz". Beide sollen in die Rolle der Regierungssprecher schlüpfen und absurde Einigungen - natürlich erfunden - in der aktuellen Koalition dem Volk verkaufen, etwa Friedrich Merz "als neues Gesicht auf der Zwei-Euro-Münze". "Fotos von offenen Beinen und Raucherlungen haben erfolgreich bewiesen, dass man mit Horrorbildern das Nutzungsverhalten verändern kann", scherzt Kühnert. "Insofern erhoffen wir uns von der neuen Merz-Münze eine Stärkung der digitalen Zahlungsmethoden im Land".

Den Ausschnitt der Sendung postete der 36-Jährige bei Instagram. Am Wochenende folgte eine Serie von Fotos von seiner Alpenüberquerung, darunter ein Videoclip, in dem Kühnert sehr glücklich wirkt. Seine Augen leuchten. Der müde, fast traurige Kevin-Kühnert-Blick, mit dem er auf der politischen Bühne sehr häufig zu sehen war, ist verschwunden. Das Zwinkern am Ende des kurzen Films lässt sich vielfach deuten. In jedem Fall kommt er unbeschwert rüber, frei von Druck.

Gesund ist das nicht

Da fällt einem Ricarda Lang ein, die nach ihrem Rücktritt vom Vorsitz der Grünen Einblicke in ihre innere Müdigkeit gewährte. Auch sie erschien plötzlich nicht mehr als die aalglatte Berufspolitikerin, als die sie von vielen Menschen, nicht nur Grünen-Verächtern, wahrgenommen worden war. Befreit von der Last, permanent funktionieren zu müssen, erzählte sie in einer Doku davon, wie es ist, dem eigenen Team zu sagen: "Ganz ehrlich: Ich habe keinen Bock, mich hier jetzt hinzustellen und zu sagen: 'Wir müssen nur eins, zwei, drei machen und dann wird alles wieder gut.'" Jedem musste klar sein: Gesund ist das nicht.

Spekuliert worden war, ob Kühnert einen Burn-out oder gar eine Depression gehabt habe, weshalb er die Politik verließ. Das Suchen nach dem Motiv hatte mit ehrlichem Mitgefühl zu tun, aber auch mit dem Hang zur Pathologisierung und dem Trend, alles oder jedenfalls vieles mit Hilfe der Psychologie ergründen zu wollen. Der 36-Jährige gab bei seinem Rücktritt vergangenen Oktober an, Zeit zu brauchen, "um wieder gesund zu werden". Mehr sagte er nicht. Im April begründete er seinen Schritt mit wachsender Sorge um seine persönliche Sicherheit. Er berichtete von drei Männern in der Straßenbahn: "Sie haben darüber geredet, wie sie mir die Fresse polieren."

Als in Bregenz die Sonne durchbrach

Wahrscheinlich kam einiges zusammen. Kühnert hatte einfach die Schnauze voll. Nun geht es ihm besser. Ob er über dem Berg ist, weiß nur er. Auf Instagram schreibt Kühnert: "Nein, das Wandern ist natürlich kein Zaubertrank gegen alles Mögliche. Aber es schafft Raum und Zeit zum Nachdenken, Sortieren, Orientieren. Unterwegs verschieben sich die Maßstäbe schnell. Regen, Wind, Kälte und sogar Neuschnee verlieren beim stoischen Wandern des Tagespensums schon bald an Bedeutung." Kühnert scheint geerdet zu sein. "Unter extremen Bedingungen ist es die Einfachheit, die den guten Moment ermöglicht", lässt er seine Follower wissen. "Der Blick über Bregenz, während die Sonne durchbrach und die Kuhglocken bimmelten, war ein einmaliger Moment des Glücks und der tiefen Zufriedenheit. Und den werde ich nie vergessen."

Man kommt nicht umhin, an Hape Kerkeling zu denken, der wie Kühnert zwei Seiten hat: eine sehr lustige und eine sehr ernste. Nach einem Hörsturz und einer Operation ging der Berufskomiker den Jakobsweg bis nach Santiago de Compostela, was er als "spirituelle Herausforderung" bezeichnete. Das Religiöse ist nichts für jemanden wie Kevin Kühnert, oder? Anlässlich des Katholikentages in Erfurt im Mai 2024 erzählte er noch als SPD-Generalsekretär: "Ich habe mit meiner Oma bis heute die unausgesprochene Spielregel: Wenn wir irgendwo im Urlaub sind, gehen wir immer in Kirchen rein, das gehört einfach zu dem, was ich gerne besichtige. Und wenn es eine katholische Kirche ist, gehe ich immer in die Ecke, wo man eine Kerze anzünden kann. Das ist unser Ritual - und da denken wir aneinander."

Den Gläubigen riet Kühnert: "Laufen Sie nicht davon, wenn Sie das Gefühl haben, das zweite oder dritte Mal gegen eine Mauer gelaufen zu sein." Wer weiß, gegen wie viele Mauern der Berliner schon gerannt ist. Reiners fragte ihn in seiner Sendung: "Würdest du heute nochmal Generalsekretär machen?" Kühnert schnauft und zeigt sich nachdenklich: "Kommt sehr auf die Umstände tatsächlich an." Klingt wie: Die Alpenüberquerung ist geschafft - aber die nächste Mauer wartet schon.

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