In der Debatte um Social-Media- oder Handyverbote für Kinder und Jugendliche äußern sich jetzt weitere Experten. Ihre Anregungen reichen von Altersgrenzen bis zu Toleranz der Plattformnutzung. Aber auch ein komplett neuer Vorschlag steht nun zur Diskussion.
Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Hendrik Streeck, setzt sich für "strikt abgestufte Altersvorgaben für soziale Medien" ein, um den hohen digitalen Medienkonsum Minderjähriger zu begrenzen. Nordrhein-Westfalens Medienminister Nathanael Liminski von der CDU hält hingegen nichts von pauschalen Verboten für Jugendliche bei der Nutzung sozialer Medien, während der Sozialverband Deutschland ein ganz anderes Vorgehen in dieser Diskussion fordert.
"Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Kinder und Jugendliche, die in hohem Maße nicht altersgerechte Inhalte konsumieren, anfälliger für riskantes Suchtverhalten und problematischen Drogenkonsum werden", sagte CDU-Politiker Streeck der "Rheinischen Post". Er wies darauf hin, dass Bundesfamilienministerin Karin Prien zu dem Thema eine Kommission beauftragt hat.
Streeck sprach von einer "Verhaltenssucht" vieler Kinder. "Wir sprechen im Schnitt von vier Stunden in sozialen Netzwerken, zwei Stunden mit Computerspielen und zwei Stunden mit Streamingdiensten pro Tag. Das sind bedenklich hohe Werte, gemessen an der Freizeit von Kindern und wie diese idealerweise für soziale, motorische und sensorische Fähigkeiten genutzt werden könnten." Und das sei nur der Durchschnitt. "Es gibt also auch Kinder, die noch länger am Handy sitzen und man fragt sich, wann schlafen sie eigentlich?"
Viel diskutierte Handyverbote für Grundschüler sieht er kritisch. Eine solch schwierige Frage könne man nicht mit Ja oder Nein beantworten und ein Verbot löse auch das Problem nicht. "Denn wir wollen ja, dass junge Menschen mit Medien aufwachsen und die Technologien nutzen. Sie sind schließlich aus dem Alltag im digitalen Zeitalter nicht mehr wegzudenken", gab Streeck zu bedenken. "Aber die Dosis macht das Gift."
"Da läuft etwas aus dem Ruder"
Bei der Eindämmung der Nutzung sieht er zuerst die Kinder und Jugendlichen selbst und insbesondere ihre Eltern gefragt. "Wenn man sich anschaut, dass 42 Prozent der Zehn- bis Elfjährigen einen Tiktok-Account haben, läuft da etwas aus dem Ruder", stellte der CDU-Politiker fest. Denn eigentlich sei die Plattform ohne Zustimmung der Eltern erst ab 16 Jahren frei nutzbar und "voll von gefährlichen und bedenklichen Inhalten für Kinder".
"Völlig weltfremd" sei es, zu glauben, "dass mit einem Social-Media-Pauschalverbot für Jugendliche unter 16 alle Probleme gelöst seien", sagte hingegen Streecks Parteifreund und NRW-Medienminister Liminski. Bei solchen Forderungen sehe er erhebliche Zweifel an der rechtlichen Durchsetzbarkeit, der technischen Umsetzbarkeit und der politischen Vermittelbarkeit.
Liminski betonte, dass er sehr dafür sei, die Gefahren ernst zu nehmen. "Ich kann gut nachvollziehen, dass vor allem Eltern mit Sorge auf die intensive Nutzung von Handys und Social Media durch ihre Kinder blicken", sagte er. Bei einem Pauschalverbot habe er aber handfeste Zweifel.
Der Medienminister sagte, dass soziale Netzwerke für Jugendliche längst mehr seien als bloße Unterhaltung. Sie gehörten "fast so wie Schlafen, Trinken oder Essen" dazu - für Information und gesellschaftliche Teilhabe. Jungen Menschen das zu verwehren wäre daher "ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung". Außerdem sei zu bedenken, dass damit ein "Generationenkonflikt Alt gegen Jung beziehungsweise analog versus digitalaffin" herbeigeführt würde, sagte Liminski. Das müsse verantwortliche Politik mitdenken.
Sozialverband für neues Schulfach
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) schlägt in der Debatte ein verpflichtendes Schulfach Medienkompetenz an allen weiterführenden Schulen vor. "Wir dürfen Kinder mit den Gefahren der digitalen Welt nicht länger alleinlassen", sagte die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Nicht alle Kinder profitierten durch eine Vorbildung im Elternhaus. "Viele sind Desinformation, demokratiefeindlicher Hetze und KI-generierten Inhalten schutzlos ausgesetzt, ohne Anleitung, ohne Einordnung."
Aus Sicht des Verbands ist deshalb ein eigenständiges Schulfach nötig, das über technische Grundkenntnisse hinausgeht. Es solle den kritischen, verantwortungsvollen und datensensiblen Umgang mit digitalen Medien, sozialen Netzwerken und Plattformlogiken vermitteln, erklärte der Verband. Nur so könnten Kinder und Jugendliche die Herausforderungen der digitalisierten Gesellschaft bewältigen. Außerdem würde so ihre Teilhabe an demokratischen Prozessen gesichert.
Der SoVD warnte davor, auf aktuelle Herausforderungen im Schulalltag ausschließlich mit restriktiven Maßnahmen wie Smartphone-Verboten reagieren zu wollen. "Wir sind gegen ein Handyverbot", betonte Engelmeier. Verbote führten ihrer Ansicht nach zu einer heimlichen Handynutzung. Wichtig sei aber ein reflektierter Gebrauch "mit klaren Regeln". "Nur so können Kinder digitale Inhalte verstehen, kritisch hinterfragen und selbstbestimmt nutzen."
Grundsätzlich bewegten sich Kinder und Jugendliche heute selbstverständlich im digitalen Raum, ohne ausreichend auf dessen Risiken vorbereitet zu sein, hieß es vom SoVD weiter. Desinformation, Hassrede, algorithmische Manipulationen und der unreflektierte Umgang mit persönlichen Daten gehörten mittlerweile zum digitalen Alltag.
Zuletzt hatten unter anderem Thüringens CDU-Landeschef Mario Voigt sowie die Aufsichtsratsvorsitzende und Verlegerin der Funke Mediengruppe, Julia Becker, ein Mindestalter für Social Media gefordert. Becker begründete dies mit dem Fall "White Tiger", bei dem ein mutmaßlicher Hamburger Pädokrimineller Kinder missbraucht und in den Tod getrieben haben soll. Die Verlegerin kritisierte die Untätigkeit der Politik und bezeichnete das Internet als "Tummelplatz von Tätern, die es bewusst auf Kinder und Jugendliche abgesehen haben".
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