Jesús Pacios, 48, steht vor seinem Haus in Rubiá im spanischen Weinanbaugebiet Valdeorras und blickt auf die schwarz verkohlten Hänge der galicischen Landschaft. „Das war keine Brandkatastrophe“, sagt er mit rauer Stimme, „das war die Hölle.“ Vier Tage und Nächte hat er mit dem Gartenschlauch gegen das Feuer gekämpft. Pacios und seine Nachbarn erlebten, was Spaniens Innenminister Fernando Grande-Marlaska als Brand der „sechsten Generation“ bezeichnete. Ein Flammenmeer, bei dem so viel Hitze freigesetzt wurde, dass sich die oberen Atmosphärenschichten veränderten, Stürme entstanden und neue Feuer entfachten.
In der bisher schlimmsten Waldbrandsaison Spaniens sind seit Jahresbeginn 373.000 Hektar Land verbrannt – eine Fläche größer als Mallorca. Besonders betroffen sind die sogenannten Autonomen Gemeinschaften Kastilien und León sowie Galicien im Nordwesten, Asturien im Norden und Extremadura im Westen. Es sind vor allem dünn besiedelte Gebiete. Vier Menschen starben durch die Brandkatastrophe, darunter ein 57-jähriger Feuerwehrmann aus Ourense. Er kam ums Leben, als sein Fahrzeug auf einem steilen Waldweg in der Nähe der Ortschaft Espinoso de Compludo während einer Rückzugsoperation umkippte.
Mehr als 33.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Der Schaden für Land- und Viehwirtschaft wird auf mindestens 600 Millionen Euro geschätzt. Dass der sozialistische Ministerpräsident Pedro Sánchez trotz der katastrophalen Zustände am Strand von Lanzarote Urlaub machte, sorgte nicht gerade für gute Stimmung. Erst nach massiver öffentlicher Kritik und politischem Druck unterbrach er am 17. August die Reise für einen Besuch in den Brandgebieten. Anschließend ging es wieder zurück auf die Insel.
„Die Politiker in Spanien leben nur dafür, ihren Arsch zu retten“, sagt Jesús Pacios unverblümt. Doch seine Kritik richtet sich nicht nur an den Ministerpräsidenten und dessen Imagepflege durch öffentlichkeitswirksame Auftritte in Katastrophengebieten. Er moniert auch die rigiden Evakuierungsmaßnahmen. Dahinter stehe zwar das ehrenwerte Motiv, Leben zu retten. Sie würden aber auch dazu führen, dass Häuser abbrennen, die ihre Eigentümer selbst mit Gartenschläuchen hätten retten können. „Es ist mein Haus“, sagt Pacios, „also sollte das auch meine Entscheidung sein.“
Bei Evakuierungsverweigerung drohen drastische Strafen von bis zu 600.000 Euro. Doch dass die Maßnahmen, die häufig als Bevormundung empfunden werden, durchaus sinnvoll sein können, zeigen Vorfälle wie die von Abejera, einem Dorf in der Provinz Zamora. Dort erlitten sechs Bewohner schwere Brandverletzungen, nachdem sie trotz polizeilicher Aufforderung geblieben waren, um ihr Eigentum zu verteidigen. Ein Dilemma.
Wie konnte es zu den verheerenden Mega-Bränden kommen, die so viele Menschen verzweifeln lassen? Die Trockenheit durch Spaniens drittlängste Hitzewelle der letzten 50 Jahre – mit Tagestemperaturen zwischen 40 und 44 Grad, die über 16 Tage anhielten – spielt eine wesentliche Rolle. Doch die im Zuge des Klimawandels steigende und länger andauernde Hitze ist nur der dramatische Verstärker einer Feuerkatastrophe, die durch verschiedene Ursachen bedingt ist. Fahrlässig weggeworfene Zigaretten spielen ebenso eine Rolle wie defekte landwirtschaftliche Maschinen. Dazu kommt eine sich wandelnde Agrarwirtschaft.
Gefährliches Gestrüpp
„Früher hatten alle Kühe und Schafe, bewirtschafteten das Land“, sagt Jesús Pacios. „Es gab gepflegte Weiden und Äcker zwischen den Waldstücken. Jetzt findet das Feuer nur noch Gestrüpp.“ Es brennt wie Zunder. Der demografische Wandel, den Spanien erlebt, die massive Abwanderung aus den ländlichen Gebieten – all das trägt zu dieser Landschaftsentwicklung entscheidend bei. Das Dorf, in dem Jesús Pacios lebt, hat nur noch 40 Einwohner. Mittlerweile konzentrieren sich in Spanien 85 Prozent der Bevölkerung auf weniger als 20 Prozent des Territoriums – auf Städte und ihre Speckgürtel. Die verlassenen ländlichen Gebiete verwildern. Strikte Schutzmaßnahmen verschärfen das Problem. „Wir haben den Naturpark Serra da Enciña, in dem man nichts anfassen darf“, sagt Pacios. Wer auf die Idee kommt, Anhäufungen von trockenem Holz zu beseitigen, muss mit Bußgeldern rechnen.
„Naturschutz wird oft mit Naturvernachlässigung verwechselt“, sagt Brandschutzexperte Federico Grillo, Sprecher des Colegio Oficial de Ingenieros Técnicos Forestales, der Hochschule für Forsttechnik in Madrid. „Gepflegte Landschaften aber brennen weniger intensiv.“ Die Vernachlässigung habe dazu geführt, dass „Autobahnen für Feuer“ entstanden, eine durchgehende leicht entzündbare Vegetation ohne natürliche Barrieren.
Marc Castellnou, Inspektor-Chef der katalanischen Waldbrand-Spezialeinheit GRAF (Grup de Recolzament d‘Actuacions Forestals), warnt vor neuen ökologischen Entwicklungen: „Die Wälder, die wir jetzt haben, werden sich ändern. Sie müssen höher in die Berge steigen, um zu überleben, und ihren angestammten Platz werden andere Vegetationsformen einnehmen.“ Pflanzen, die in der Trockenheit zu Brandbeschleunigern werden können.
Seit 2009 wurden die Mittel für Brandprävention in Spanien um mehr als die Hälfte gekürzt. Das bedeutet allerdings nicht, dass zu wenig Geld zur Verfügung steht: In den vergangenen Jahren wurden nur 80 Prozent der Präventionsbudgets ausgegeben – etwa hundert Millionen Euro blieben ungenutzt. Die Folgen der Einsparungen sind Kostenexplosionen bei der Brandbekämpfung. Jeder in Prävention investierte Euro könnte rund zehn Euro an Bekämpfungskosten einsparen, so die einhellige Meinung von Brandschutzexperten. „Es ist zum Verzweifeln“, sagt ein erfahrener Brandschutzkoordinator, der anonym bleiben möchte. „Das Geld ist da, aber die Bürokratie verhindert, dass es ankommt. Und wir stehen dann vor brennenden Wäldern und sollen Wunder vollbringen.“
Hinter einem Großteil der Brände steht der Polizei zufolge Brandstiftung. Seit Juni wurden 27 Tatverdächtige verhaftet, mehr als 80 weitere Ermittlungsverfahren laufen. Neben krimineller Energie und oft vermutlich auch psychischen Störungen, die Menschen dazu verleiten, folgenschwere Feuer zu legen, sind es offenbar auch Existenznöte, die sie zu Brandstiftern machen. So sorgte der Fall eines Forstarbeiters für Aufsehen, der gestand, in Ávila bewusst 2000 Hektar Wald in Brand gesetzt zu haben, um sich Arbeit in der Brandbekämpfung zu sichern. In Zamora wurde ein Feuerwehrmann verhaftet, der Brände gelegt hatte. Viele Feuerwehrleute sind Landarbeiter, die im Sommer in den Löschbrigaden zusätzlich verdienen können. „Mehr Brände bedeuten mehr Einsätze, mehr Einsätze bedeuten mehr Arbeit“, sagt ein Feuerwehrmann, der ebenfalls anonym bleiben möchte: „Es ist krank, aber so verzweifelt sind manche.“
Auch in Portugal wurden in dieser Woche neun große Brände bekämpft, 3200 Kräfte waren im Einsatz. Drei Menschen starben. Auch hier, so vermutet die Polizei, wurden Feuer absichtlich gelegt. Dabei werden die Brandstifter immer raffinierter, verwenden elektronische Zeitzünder und orientieren sich gezielt an „günstigen“ Wetterbedingungen. In der portugiesischen Algarve bei Odiáxere brachen vor wenigen Tagen zwei Feuer exakt in dem Moment aus, in dem starke Winde aufkamen. Zufall?
Spanien erlebte zuletzt mit dem Feuer in der nordwestspanischen Gemeinde Molezuelas de la Carballeda einen der verheerendsten Waldbrände der Geschichte des Landes seit Beginn der Aufzeichnungen 1968: 39.714 Hektar fielen den Flammen zum Opfer, 4813 Menschen wurden evakuiert, zwei freiwillige Helfer kamen beim Einsatz ums Leben. Die Unesco-Welterbestätte Las Médulas erlitt irreversible Schäden. Der Hochgeschwindigkeitszug zwischen Madrid und Galicien fiel sechs Tage aus, die Autobahn 52 wurde komplett gesperrt. Jesús Pacios wird nie vergessen, wie das Feuer bis auf wenige Meter an die Häuser seines Dorfes herankam. „Zum Glück war die Ume da“ – die Unidad Militar de Emergencias, Spaniens militärische Notfalleinheit – „sie organisierten uns Nachbarn, gingen nach vorn zum Löschen und ließen uns die Schläuche ziehen.“
Dabei gibt es längst modernere Mittel, das Inferno einzudämmen. Bei Fachveranstaltungen wie der Leitmesse Interschutz präsentieren Ingenieure Visionen einer digitalisierten Brandbekämpfung: Drohnen, die Aerosolwolken abwerfen. Pro Liter Wasser sind sie fünf- bis zehnmal effektiver als herkömmliche Methoden, Großfeuer aus der Luft zu löschen. Spaniens Feuerwehrleute kämpfen dagegen mit Löschrucksäcken von 20 Litern Inhalt und Feuerpatschen gegen die Flammen. Die Luftfahrzeuge nutzen noch immer die Technologie der 70er-Jahre. Brandschutzexperte Federico Grillo spricht von einem „chaotischen Durcheinander“ bei der Brandbekämpfung.
Hilfe aus Deutschland
In der aktuellen Notsituation hat die spanische Regierung am vergangenen Sonntag um internationale Unterstützung im Rahmen des EU-Katastrophenschutzes gebeten. 67 Spezialkräfte aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen kamen mit 23 Löschfahrzeugen zu Hilfe und unterstützen ihre spanischen Kollegen in der Region Extremadura. Andere europäische Staaten stehen Spanien mit Helikoptern und Löschflugzeugen zur Seite. Der Koordinator des Zivilschutzes für die Zusammenarbeit mit den Auslandsteams, Julio Francisco González Orozco, äußerte öffentlich seine Dankbarkeit. „Wir schätzen die Hilfe der deutschen Jungs“, sagte er vor Journalisten. Die Sprache sei zwar ein Problem, man habe aber einen Verbindungsoffizier, der mit den Ausländern alles auf Englisch bespreche.
Neben der Hilfe aus anderen Staaten der EU sorgte zum Ende der Woche das kühlere Wetter mit Regenfällen für Entspannung. „Die Lage ist jetzt günstiger“, sagte Virginia Barcones, die Generaldirektorin des spanischen Zivilschutzes, am Donnerstag im staatlichen Fernsehsender TVE. Noch seien im Nordwesten und Westen 21 größere Brände aktiv. Eine Ausweitung der meisten Feuer habe man zuletzt aber weitgehend verhindern können. Auch in Portugal entspannte sich die Lage in den vergangenen Tagen etwas.
Was bleibt, ist mehr als verbrannte Erde: Die Flammen legen in Spanien ein System bloß, das viel in die Modernisierung seiner Städte investiert – die ländlichen Regionen aber so sehr vernachlässigt, dass die Bewohner sich nicht nur abgehängt fühlen, sondern auch zunehmend von Bränden bedroht sind. Doch es gibt auch neue Ideen im Kampf gegen die Waldbrände. Manchmal sind sie sehr einfach.
So wie die Ziegenherden, die immer häufiger zum Einsatz kommen, damit sie sich durch trockenes Gras fressen, um die Ausbreitung von Flammen zu verhindern. Betroffene wie Jesús Pacios sind für jeden Schritt dankbar, der sie und ihr Eigentum vor den Flammen schützt.
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