Der Gipfel in Washington verläuft für die Ukraine komplett anders als Selenskyjs letzter Besuch im Weißen Haus, der mit einem Rausschmiss endete. Darüber herrscht Erleichterung im Land. Doch viele offene Fragen bereiten große Sorgen.

Zu beneiden ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht. Seit dreieinhalb Jahren führt er den Abwehrkrieg seines Landes gegen Russland und seit dem Amtsantritt Donald Trumps in den USA sieht die Lage noch ein bisschen düsterer aus. Viel musste er bereits einstecken. Allen voran natürlich die mittlerweile berühmt-berüchtigte Standpauke im Oval Office am 28. Februar. Umso größer war die Befürchtung in Kiew, dass sich auch während seiner Washington-Reise am Montag etwas Ähnliches wiederholt. Anzeichen dafür gab es durchaus. Es gab drei Gründe, um besorgt zu sein.

Zum einen hat sich Trump nach dem Gipfel mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Alaska von seiner Idee verabschiedet, die ihn mit Selenskyj verband: Zunächst einmal sollen an der russisch-ukrainischen Front die Waffen schweigen, und erst dann soll über Frieden verhandelt werden. Nun soll aber aus der Sicht Trumps ein schnelles vollständiges Friedensabkommen her. Eine Sicht, die Putin teilt, der keine Gelegenheit auslässt, auf die Beseitigung der sogenannten "Grundursachen" des Konflikts zu pochen. Ob ein solches Abkommen jenseits des Waffenstillstandes aber jemals zustande kommen kann, ist zumindest Stand jetzt unwahrscheinlich.

Zum anderen hatte Trump via Social Media wieder den Druck auf Selenskyj erhöht. Er behauptete, es sei der Ukrainer, der den Krieg nun beenden könne - jegliche Kritik Richtung Putin verkniff er sich. Drittens soll Washington extra in Kiew nachgefragt haben, wie denn der ukrainische Präsident im Oval Office diesmal bekleidet sein würde. Das ließ nichts Gutes vermuten, denn der Kleidungsstil des ukrainischen Kriegspräsidenten gehörte beim letzten Besuch im Februar zu den Hauptthemen - obwohl es deutlich ernsthaftere Angelegenheiten zu besprechen gab.

Katastrophe blieb aus

Möchte man die Stimmung in der Ukraine nach dem Gipfel in Washington beschreiben, so wäre es ein kurzes Aufatmen. Genau wie nach dem Alaska-Gipfel von Trump und Putin. Dieses Aufatmen ist aber eben nur kurz. Eine Katastrophe ist aus Kiewer Sicht vorerst ausgeblieben. Selenskyj, der Trump mehrfach lobte und sich ausdrücklich bei ihm bedankte, bezeichnete das jüngste Treffen sogar als das Beste, welches es zwischen den beiden bisher gegeben hat. Dass es nicht zur befürchteten Eskalation im Weißen Haus kam, ist tatsächlich ein Erfolg für die Ukraine. Solange die USA die militärischen Lieferungen an Kiew nicht wieder einstellen und die Ukraine nicht erneut als Haupthindernis zum Frieden darstellen, ist für Kiew alles irgendwie tragbar. Mit viel mehr ist bei Donald Trump ohnehin nicht zu rechnen.

Ob es Gründe zum Optimismus gibt, ist allerdings fraglich. Zunächst einmal bleibt Trump bei seiner neuen Position, dass es lieber gleich Friedensverhandlungen geben sollte, statt einen Waffenstillstand, zu dem sich die Ukraine längst bereit erklärte. Ebenfalls zweifelhaft ist, ob es wirklich bald zu einem Treffen zwischen Selenskyj, Putin und Trump kommen könnte. Laut Trump hat die russische Seite zunächst eine Begegnung zwischen Putin und Selenskyj angeboten, was die Ukrainer so zu bestätigen scheinen. Für den ukrainische Präsidenten ist das riskant. Wie beim Alaska-Gipfel wäre unklar, was so ein Treffen bringen soll, solange Russland auf seinen für Kiew inakzeptablen Forderungen bleibt. Dennoch zeigt sich Selenskyj offen dafür.

Die Frage bleibt allerdings, ob Russland davon weiß. Schon nach dem jüngsten Besuch des US-Sondergesandten Steve Witkoff schien es so, als gäbe es massive Verständnisprobleme zwischen den Russen und den US-Amerikanern. Nun betonte Jurij Uschakow, der außenpolitische Berater Wladimir Putins, dass sich die beiden Seiten im Rahmen des erneuten gemeinsamen Telefonats für die Fortsetzung der direkten Gespräche der russischen und ukrainischen Delegationen ausgesprochen hatten. Der Rang der Teilnehmer könnte zwar laut Uschakow erhöht werden. Für Russland wäre dies jedoch keine große Kunst. Denn bisher wurde die russische Delegation vom Pseudohistoriker Wladimir Medinskij angeführt, der zwar formell als eine Art Putins Berater fungiert, in Wirklichkeit aber nicht einmal ein richtiges Amt hat.

Was wird aus Sicherheitsgarantien?

Dass Putin sich auf ein Treffen mit Selenskyj einlässt, um Trump einen Gefallen zu tun, ist jedoch nicht völlig ausgeschlossen - wenn auch unwahrscheinlich. Dennoch bleibt es gerade aus ukrainischer Sicht offensichtlich, dass der Kreml auf Zeit spielt. Und es liegt ebenfalls auf der Hand: Sollte es tatsächlich zu einem solchen Gipfel kommen, wird es wieder vor allem um die Frage gehen, wer in Trumps Augen als verhandlungsunwilliger gilt. Gut möglich, dass der US-Präsident dann wieder auf Selenskyj zeigt. Weder die Räumung der gesamten Region Donezk, wo große Städte wie Kramatorsk mit ihren gut ausgebauten Verteidigungsanlagen fest in der ukrainischen Hand bleiben, noch die offizielle Anerkennung der teilbesetzten Gebiete als russisch kommt für Kiew in Frage.

Was vom historischen Treffen in Washington ebenfalls übrig bleibt, ist die Diskussion um mögliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Die sollen in den nächsten Tagen und Wochen konkretisiert werden. Auch hier gibt es offene Fragen. Dass Russland jemals Truppen der EU-Länder auf ukrainischen Boden zustimmt, liegt außerhalb der politischen Realität. Denn selbst ohne US-Beteiligung würde dies de facto eine konkrete Nato-Präsenz in der Ukraine bedeuten.

Was der Ukraine sonst angeboten werden kann, was einen erneuten russischen Angriff effektiv verhindern kann, steht in den Sternen. Zumal Russland von seiner Grundforderung nach der sogenannten "Entmilitarisierung" des Landes sicher nicht abrücken wird. Es bleibt ein äußerst kompliziertes Spiel für die ukrainische Staatsführung, in der sich Wladimir Putin viele Türen offen lässt und immer wieder aufs Neue Zeit gewinnt - vor allem dank der außenpolitischen Inkompetenz der amtierenden US-Administration.

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