Es kam mal wieder einmal völlig anders, als US-Präsident Donald Trump angekündigt hatte. Vor einer Woche wollte er noch „harte Sanktionen“ erlassen, sollte Russland keinem Waffenstillstand zustimmen und hatte dafür sogar ein Ultimatum gestellt. Davon ist keine Rede mehr, nachdem Trump seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin am Wochenende mit Pomp und Pathos in Alaska empfangen hatte.

Stattdessen soll die Ukraine nun möglichst schnell „einen Deal machen“ und ein Abkommen zur Beendigung des Krieges mit Russland schließen. Dem amerikanischen Nachrichtenportal Axios zufolge plant Trump bereits für den kommenden Freitag ein gemeinsames trilaterales Treffen mit Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. „Sehen Sie, Russland ist eine sehr große Macht, und die Ukraine nicht“, sagte Trump dem US-Sender Fox News und versicherte dabei: „Wir stehen kurz vor einer Einigung. Die Ukraine muss dem zustimmen.“

Geht es nach dem US-Präsidenten, wäre die „Zustimmung“ bereits am Montag fällig, wenn Selenskyj im Weißen Haus empfangen wird. Überraschend wurde am Sonntag bekannt, dass er von EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen, Nato-Generalsekretär Mark Rutte, Bundeskanzler Friedrich Merz und anderen europäischen Staats- und Regierungschefs begleitet wird – darunter Giorgia Meloni aus Italien und Alexander Stubb aus Finnland, denen ein gutes Verhältnis zu Trump nachgesagt wird.

Die Botschaft: Europa zeigt eine vereinte Front. Es dürfte aber wohl auch darum gehen, einen Eklat wie im März um jeden Preis zu vermeiden. Damals war Selenskyj nach einer hitzigen Debatte im Oval Office kurzerhand hinausgeflogen. Ob allerdings die Gespräche am Montag in großer Runde harmonisch verlaufen, bleibt offen. Denn den Forderungen des Kremls, die Trump größtenteils schon abgesegnet hat, werden die Ukraine und Europa kaum vollends zustimmen.

Einer der zentralen Konfliktpunkte, die sich im Vorfeld des Treffens abzeichnen, ist die russische Forderung nach Gebietsabtretungen der Ukraine. Putin hatte beim Gipfeltreffen in Alaska angeboten, die Frontlinien in Cherson und Saporischschja einzufrieren, falls sich Kiew vollständig aus der Industrieregion Donbas (Oblaste Donezk und Luhansk) zurückzieht. Doch zum einen hat Selenskyj bereits mehrfach erklärt, dass er ohne eine Änderung der ukrainischen Verfassung keine Gebietsabtretungen vornehmen kann.

Und zum andere leben in den Gebieten, die abgetreten werden sollen, normalerweise Hunderttausende von Menschen. Sie würden endgültig ihre Heimat verlieren. Denn kaum einer würde unter einer russischen Herrschaft leben wollen. Rund ein Drittel von Donezk ist noch unter ukrainischer Kontrolle, hat aber eine signifikante militärische Bedeutung. Die Region ist ein Bollwerk gegen russische Angriffe, das man nicht einfach aufgeben kann.

Es ist ein Festungsgürtel mit Städten wie etwa Druschkiwka, Slowjansk und Kramatorsk. Nicht zuletzt deshalb würde Russland nach Schätzungen des britischen Verteidigungsministeriums mehr als vier Jahre brauchen, um die vier Oblaste zu erobern, die Putin per Dekret im September 2022 annektiert hatte. Demnach würden dabei weitere 1.930.000 Millionen russischer Soldaten getötet und verwundet.

Eine zusätzliche Problematik ist für Kiew die Sicherheitsgarantie, die Russland von zukünftigen Invasionen abhalten soll. Trump hatte Garantien bisher immer abgelehnt. Nun gibt es jedoch plötzlich neue „positive Signale“ aus dem Weißen Haus. „Wir konnten das folgende Zugeständnis erreichen: Die USA können einen Artikel-5-ähnlichen Schutz für die Ukraine anbieten“, gab US-Sondergesandte Steve Witkoff am Sonntag im US-Fernsehen bekannt.

Artikel 5 entspricht gemäß Nato-Statut einer Beistandsverpflichtung im Angriffsfall. Bisher war Putin kategorisch gegen externen Schutz der Ukraine. Im Gegenteil: Er wollte die komplette Demilitarisierung. Doch die Position des Kreml-Chefs scheint in einigen Punkten aufgeweicht. Auch vom Sturz des „Nazi-Regimes“ in Kiew ist ebenfalls nicht mehr die Rede.

In Brüssel begrüßte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj „die Bereitschaft zu Sicherheitsgarantien nach Artikel 5“. Man stehe bereit, seinen Beitrag zu leisten, erklärte von der Leyen. Auch Selenskyj zeigte sich zufrieden, sprach von einer „historischen“ Entscheidung. Aber wie genau die Sicherheitszusagen ausgestaltet würden, und wie verlässlich diese tatsächlich wären, ist unklar. Trump ist dafür bekannt, seine Meinung und auch seine Politik von einem Tag auf den anderen auf den Kopf zu stellen.

So hatte der US-Präsident kurz vor dem Treffen eine Rückgabe der von Russland annektierten Halbinsel Krim und einen Nato-Beitritt der Ukraine ausgeschlossen. „Manche Dinge ändern sich nie“, schrieb Trump am Sonntagabend (Ortszeit) auf seiner Onlineplattform Truth Social. Er erklärte, es liege an Selenskyj, den Krieg zu beenden. „Der ukrainische Präsident Selenskyj kann den Krieg mit Russland fast sofort beenden, wenn er will, oder er kann weiterkämpfen“, schrieb der US-Präsident. Als Bedingungen nennt er den Verzicht der Ukraine auf die Halbinsel Krim sowie auf eine Nato-Mitgliedschaft.

Werden Kriegsverbrechen gesühnt?

„Das müssen wir mit den Amerikanern besprechen: Wer ist bereit, was zu tun?“, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Vorfeld des Treffens in Bezug auf die möglichen Sicherheitszusagen. „Andernfalls können die Ukrainer meiner Meinung nach theoretische Zusagen einfach nicht akzeptieren.“ Auch Selenskyj betonte, die Sicherheitsgarantien müssten „Schutz zu Lande, in der Luft und auf See bieten und unter Beteiligung Europas entwickelt werden.“

Für Kiew spielen noch andere Faktoren eine wichtige Rolle für einen Frieden. Was ist etwa mit dem Schicksal der nach Russland entführten Kinder? 35.000 von ihnen werden immer noch vermisst. Kommen die Kinder im Rahmen eines Friedensvertrags frei? Wird man die Urheber dieses Kriegsverbrechens und auch vieler weiterer Vergehen gegen die Menschlichkeit zur Rechenschaft ziehen?

Russland hat einen brutalen Angriffskrieg initiiert und in der Ukraine landesweit zivile Infrastrukturen zerstört. Wird Moskau für die Schäden aufkommen und womöglich dafür eingefrorene russische Milliardenbeträge verwendet? Sollte Russland kampflos zusätzliche Gebiete der Ukraine erhalten, würde das im gesamten Land als Hohn gegenüber allen, denen die russische Invasion so schwere Opfer abverlangt hat. Es würde als Kapitulation verstanden.

Auch deshalb dürfte die Ukraine wenig Interesse zu haben, überstürzt einen wie auch immer gearteten Frieden zu unterzeichnen. Bei der Pressekonferenz mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen am Sonntag in Brüssel pochte Selenskyj auf eine Waffenruhe, in der man sich in Ruhe mit Putins Forderungen auseinandersetzen könne. „Es ist unmöglich, das unter dem Druck von Waffen zu tun“, sagte er.

Zudem hofft man in Kiew weiter auf den Zeitfaktor – und interpretiert die jüngsten Zugeständnisse aus Moskau als Zeichen einer zunehmenden Zermürbung. „Putin gibt in den Verhandlungen vor allem deshalb nach, weil die russische Wirtschaft schwer angeschlagen ist“, schreibt Andrew Perpetua, Analyst vom ukrainischen Zentrum für Verteidigungsstrategien, auf X. „Die Prämien für die Unterzeichnung von Verträgen mit dem Militär werden aufgrund von Haushaltsdefiziten drastisch gekürzt, Unternehmen gehen rasant pleite, die Inflation ist bedrückend.“

Die Ukraine versucht mit erhöhter Frequenz ihrer Langstreckendrohnenangriffe auf russische Energieeinrichtungen die wirtschaftliche Negativspirale anzukurbeln. „Seit Jahren sagen wir, dass Putin irgendwann merken wird, dass er keine Optionen mehr hat und um Frieden bitten wird“, meint Perpetua. „Die richtige Antwort ist einfach: sechs Monate warten und dann auf ihn zurückkommen.“

Man wird am Montag sehen, welchen Einfluss Europa auf die US-Regierung hat. Bundeskanzler Merz signalisierte stellvertretend Bereitschaft für Friedensverhandlungen ohne den vorher angestrebten Waffenstillstand. Allerdings müsse schnell ein Abkommen erreicht werden. „Wenn das gelingt, ist das mehr wert als ein Waffenstillstand, der möglicherweise über Wochen andauert – ohne weitere Fortschritte in den politischen, diplomatischen Bemühungen“, sagte der Kanzler in einem ZDF-Interview.

Er schließt auch Gebietsabtretungen für ein Ende des Ukraine-Kriegs nicht mehr aus, schränkte jedoch in einem ARD-„Brennpunkt“ ein: „Keine territorialen Zugeständnisse, bevor es nicht einen Friedensvertrag gibt.“ Frankreichs Präsident Macron zeigt sich wenig optimistisch, dass dieser Punkt bald erreicht sein könnte „Denke ich, dass Präsident Putin Frieden will? Die Antwort ist Nein“, sagte er in nach der Videoschalte der Europäer. „Ich glaube, dass er die Kapitulation der Ukraine will.“

Alfred Hackensberger hat seit 2009 aus mehr als einem Dutzend Kriegs- und Krisengebieten im Auftrag von WELT berichtet. Vorwiegend aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, wie Libyen, Syrien, dem Irak und Afghanistan, aber auch aus Bergkarabach und der Ukraine.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke