„Die Menschenrechtssituation in Deutschland hat sich im Laufe des Jahres verschlechtert“, schreibt das US-Außenministerium im Länderbericht für 2024 zur Bundesrepublik, der am Dienstag veröffentlicht wurde. Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump attestiert Deutschland demnach Defizite bei der Meinungsfreiheit und kritisiert wachsenden Antisemitismus durch Migration.
Zum Thema Meinungsfreiheit hält der Bericht fest: Unter anderem gebe es „Zensur“ auf Online-Plattformen durch behördliches Löschen und Verfolgen von Hasspostings. Im vergangenen Jahr seien außerdem mehrere Menschen wegen Befürwortung oder Leugnung des Holocausts verhaftet oder verurteilt worden. Im Kampf gegen Antisemitismus wiederum fokussierten sich die Behörden zu sehr auf Rechtsextreme – die Rolle von eingewanderten Muslimen werde dabei vernachlässigt.
Die Koalition im Bundestag weist die US-Kritik auf WELT-Anfrage zurück. Im Interview mit WELT TV argumentiert der Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Jens Spahn (CDU): „Jeder kann in Deutschland sagen, was er denkt. Das ist ein freies Land.“ Natürlich gebe es Grenzen, wenn es strafrechtlich relevant werde. Dennoch warnte Spahn vor einer Tabuisierung bestimmter Themen: „Wir müssen es auch wieder üben, die Debattenräume weit zu machen, dass wir bestimmte Debatten gar nicht anfangen zu tabuisieren.“ Dies habe man beim Thema irreguläre Migration lange erlebt.
Auch der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Menschenrechte der Unions-Bundestagsfraktion, Norbert Altenkamp (CDU), sagt WELT: „Die Art, wie die USA die Menschenrechtslage in Deutschland beschreiben und bewerten, geht völlig an den Fakten vorbei. Hier stellt sich die Frage, mit welchen Maßstäben die USA messen und welche politischen Ziele sie mit ihren Berichten zur Lage der Menschenrechte verfolgen.“
Die Sprecherin der SPD für Menschenrechte, Gabriela Heinrich, teilt mit: „Grundsätzlich gilt, dass man Kritik aushalten muss, es kann mitunter hilfreich sein, den Spiegel vorgehalten zu bekommen. Der Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums für 2024 geht weit darüber hinaus, er ist ein politisch motiviertes Zerrbild über die Lage der Menschenrechte, der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Deutschland, Europa und der Welt.“ Das „Buddy-System“ von Trump sei hinlänglich bekannt – mit diesem Begriff zielt die SPD auf den Vorwurf ab, die USA bevorzuge verbündete Länder, während sie andere übermäßig stark kritisiere.
Die AfD wiederum schließt sich der Bewertung der Meinungsfreiheit hierzulande im Länderbericht an. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch sagt: „Die Bundesregierung hat jahrelang andere Staaten belehrt – nun aber Kritik von außen abzulehnen, ist ein Fall extremer Doppelmoral, zumal die Kritik absolut berechtigt ist.“ Wo parlamentarische Rechte eingeschränkt, Oppositionelle vom Inlandsgeheimdienst beobachtet und Bürger wegen Meinungsäußerungen eingeschüchtert würden, handele der Staat nicht wie eine liberale Demokratie, sondern wie ein autoritäres Regime. Die Kritik aus den USA müsse zum Anlass genommen werden, um die Missstände offen zu diskutieren.
Clara Bünger von der Linke-Fraktion sagt WELT: „Die Menschenrechtslage ist dramatisch. Eine Asylrechtsverschärfung folgt der nächsten, Schutzsuchende werden an den Grenzen zurückgewiesen. Das Recht auf Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt, besonders bei Menschen, die gegen den Krieg in Gaza protestieren.“ Allerdings werde Antisemitismus nur durch die „Brille der Einwanderung“ gesehen – dabei sei er in Deutschland tief verwurzelt und historisch gewachsen. „Wer das nicht benennt, betreibt Geschichtsrevisionismus und instrumentalisiert ihn politisch. Die Aussage der US-Regierung zeigt, dass die Faschisierung, die sie selbst vorantreibt, weit fortgeschritten ist.“
Die Grünen äußerten sich auf WELT-Anfrage nicht.
Scharfe Kritik von Journalisten-Organisationen
Die Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen teilt mit: „Die Behauptung der US-Regierung, Deutschland schränke die Meinungsfreiheit ein, entbehrt einer seriösen Grundlage und werten wir als politisch motivierte Propaganda. Es ist Donald Trump selbst, der regelmäßig seine Kritiker angreift. Er denunziert Journalisten öffentlich und überzieht Medien mit kostspieligen Gerichtsklagen, wenn ihm ihre Berichterstattung nicht passt.“ Was die US-Regierung propagiere, sei eine „perfide Verdrehung der Meinungsfreiheit, ein populistisches Narrativ, das immer wieder auch von der AfD benutzt wird“.
Der Bundesvorstand des Deutschen Journalisten-Verbandes, Mika Beuster, sagt WELT: „Was das US-Außenministerium als Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland kritisiert, sind notwendige Maßnahmen gegen Volksverhetzung und Hass im Netz, die von Deutschland und der Europäischen Union ergriffen werden.“ Es sei richtig, dass Antisemitismus nicht nur aus der rechtsextremen Ecke komme, entsprechend müssten die Sicherheitsbehörden auch linksextremistischen Judenhass im Blick haben. „Fakt ist jedoch, dass das Gros antisemitischer Straftaten und Äußerungen von rechts außen kommt.“
Verständnis für die Einstufung der US-Regierung in Sachen Deutschland kommt dagegen von Christoph Degenhart, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Leipzig. Er erklärt: „Ich sehe die Trump-Administration nicht gerade als berufenes Experten-Gremium für Menschenrechte. In der Sache haben sie trotzdem nicht ganz Unrecht.“ So stufe er die Meinungsfreiheit tatsächlich als gefährdet ein.
Konkret sehe er das etwa am Paragrafen 188 Strafgesetzbuch, der eigens die Beleidigung von Personen des politischen Lebens unter Strafe stellt, und „in der Tendenz, dass kritische und möglicherweise strafbare Äußerungen im Internet mit teilweise völlig unverhältnismäßigen Mitteln der Justiz verfolgt werden, aber auch zum Beispiel in den ‚Meldestellen‘ für bestimmte Äußerungen“.
Im Hinblick auf antisemitische Tendenzen von islamischer Seite hätten es die Bundes- und Landesregierungen in den vergangenen Jahren versäumt, dagegen vorzugehen. „Alles in allem aber ist die Menschenrechtslage in Deutschland im internationalen Vergleich durchaus gut. Aber gerade deshalb müssen wir uns auch hohen eigenen Anforderungen stellen.“
Die Menschenrechtsberichte werden jährlich vom US-Außenministerium veröffentlicht und beschreiben die Situationen in den jeweiligen Ländern. Im Deutschland-Bericht für 2023, damals noch geschrieben von der Regierung des damaligen Präsidenten Joe Biden, hatte es noch geheißen, es gebe keine wesentlichen Veränderungen bei der Menschenrechtslage.
Die jüngsten Länderberichte treffen auch außerhalb Deutschlands auf Kritik. Die „Tagesschau“ zitierte etwa eine Sprecherin von Human Rights Watch, die sagte, schwere Menschenrechtsvergehen verbündeter Regierungen würden vertuscht. Tatsächlich heißt es beim Länderbericht zu El Salvador: „Es gab keine glaubwürdigen Berichte über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen.“ Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Lage in dem zentralamerikanischen Land dagegen regelmäßig.
Bereits im Februar hatte der neue US-Vizepräsident J.D. Vance den Europäern bei der Münchner Sicherheitskonferenz angebliche Mängel bei der Meinungsfreiheit vorgeworfen und den deutschen Umgang mit der AfD kritisiert.
Im Mai hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) dann im WELT-Interview kritisiert, dass sich die US-Regierung in deutsche Innenpolitik einmische. In Bezug auf die US-Kritik an der Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem hatte er gesagt: „Wir sind funktionierende Demokratien. Wir sind unterschiedlich, aber wir sind Demokratien. Und dann finde ich, hat eine amerikanische Regierung zu akzeptieren, wie wir mit unseren demokratischen Institutionen umgehen, wie wir auch mit Parteien umgehen, die zum Beispiel von den Nachrichtendiensten als extremistisch, in diesem Fall als rechtsextremistisch eingestuft werden. Das ist unsere Sache. Darüber entscheiden wir und nicht eine amerikanische Regierung.“
Nicolas Walter ist Redakteur bei WELT. Er berichtet unter anderem über Außenpolitik, Migration und politischen Extremismus.
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