Ein Streit zwischen den Regierungen der Stadtstaaten Hamburg und Berlin hat eine Kontroverse um das sogenannte Kirchenasyl ausgelöst. Die Union fordert nun, dass die Kirchen in bestimmten Kirchenasyl-Fällen längerfristig finanziell Verantwortung übernehmen.

„Wenn Kirchen in Dublin-Fällen Asyl gewähren, wäre dies glaubhafter, wenn sie auch insgesamt Verantwortung für die Schutzsuchenden übernehmen. Wenn durch das Kirchenasyl eine Rückführung nicht mehr erfolgen kann, sollte sie konsequenterweise auch dauerhaft die Betroffenen beherbergen und betreuen“, so der Vize-Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Günter Krings (CDU).

Hintergrund: Nachdem Migranten aus Afghanistan Unterschlupf in einer Berliner Gemeinde der selbstständigen evangelisch-lutherischen Kirche (SELK) gefunden hatten, wurden einige dieser Personen bislang nicht – wie im EU-Recht nach Dublin-Verordnung vorgesehen – durch Hamburger Behörden nach Schweden abgeschoben. Dort hielten die Personen sich vorher teils über viele Jahre auf. Sie fürchteten eine Abschiebung aus Schweden nach Afghanistan, wo sie aufgrund ihres christlichen Glaubens bedroht seien.

Während des Aufenthalts bislang zwei dieser Afghanen im Kirchenasyl ist die sechsmonatige Überstellungsfrist nach Schweden gemäß Dublin-Richtlinie verstrichen. Somit ist Deutschland für die Asylverfahren dieser Männer zuständig. Bei zwei weiteren ist die Frist nach WELT-Informationen noch nicht verstrichen.

„Das Kirchenasyl war ursprünglich aus guten Gründen auf seltene Härtefälle beschränkt, um Zeit für eine erneute rechtliche Prüfung zu schaffen. In der Praxis wird es aber zunehmend genutzt, um Überstellungen nach der Dublin-Verordnung durch Zeitverzögerung zu verhindern, also gerade in Fällen, in denen ein anderer EU-Staat zuständig ist“, so Fraktionsvize Krings weiter. „Daraus spricht die bedenkliche und europaskeptische Haltung, dass nur in Deutschland humanitäre Standards eingehalten werden.“

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), für die Abschiebung der Betroffenen nach Schweden zuständig, sprach laut Medienberichten in einem Brief an seinen Berliner Amtskollegen Kai Wegner (CDU) angesichts der nicht erfolgten Überstellungen von „einem systematischen Missbrauch des Kirchenasyls, indem Flüchtlinge in Kirchenräume aufgenommen werden, deren Bleiberecht nach den Regeln des Kirchenasyls bereits überprüft und deren Rückkehrpflicht in einen anderen EU-Mitgliedstaat rechtskräftig festgestellt wurde“.

Zur Durchsetzung der Überstellung lägen auch jeweils gerichtliche Beschlüsse vor. Die zuständigen Behörden in beiden Städten hätten dazu im Austausch gestanden. „Hamburg hat um Amtshilfe bei der Durchführung gebeten, diese jedoch nicht erhalten.“ Daraufhin habe er, Tschentscher, den Berliner Kollegen Wegner um Unterstützung gebeten, „in diesem Sinne tätig zu werden“.

Wegner und seine Innensenatorin Iris Spranger (SPD) stellten den Fall anders dar. „Für die angesprochenen Fälle der Überstellung nach der Dublin-III Verordnung ist allein die Freie und Hansestadt Hamburg zuständig“, erklärten beide schriftlich.

Da Berlin das Kirchenasyl achte, sei die Polizei in der Hauptstadt zur Unterstützung bei einer Abschiebung außerhalb der Kirchenräume bereit gewesen. „Gleichzeitig wurde Hamburg angeboten, mit eigenen Polizeikräften die Durchsuchungen durchzuführen. Die Hamburger Polizei wollte den Einsatz in Berlin auch entsprechend durchführen, hat dann jedoch kurz vor Ablauf der Frist auf Intervention des Hamburger Innenressorts auf einen Einsatz in Berlin verzichtet, sodass die Überstellungsfrist abgelaufen ist.“

Zwar gibt es eine Vereinbarung zwischen den großen Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zur Handhabung des Kirchenasyls. Es handelt sich dabei um keine rechtliche Regelung. Das Kirchenasyl sei „kein eigenes Rechtsinstitut“, sondern werde „als Ausdruck einer christlich-humanitären Tradition respektiert“, heißt es in der Regelung. Ein unverhältnismäßiger Gebrauch gefährde diese Tradition.

Im September vergangenen Jahres war in Hamburg bereits ein Afghane aus einem Kirchenasyl nach Schweden abgeschoben worden. Da er kurze Zeit später wieder in Hamburg aufgetaucht war, musste er abermals in das skandinavische Land überstellt werden.

SPD „Kirchenasyl ist wichtiges humanitäres Korrektiv“

Krings von der Unionsfraktion sagte WELT: „Für die Union ist klar: Kirchenasyl darf nicht zu einem Dauerzustand oder zu einem faktischen Sonderrecht neben dem geltenden Recht werden.“ Härtefälle müssten im Rahmen der bestehenden Verfahren geprüft werden, und dafür gibt es bereits rechtsstaatliche Instrumente. „Wer Dublin-Überstellungen verhindern will, unterläuft letztlich das europäische Asylsystem. Hier brauchen wir ein vernünftiges Miteinander, aber auch klare Grenzen.“

Für die SPD-Bundestagsfraktion äußerte sich Lars Castellucci. Er ist zudem Beauftragter der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe. Neuregelungsbedarf sehe er nicht. Er sagte WELT: „Kirchenasyl ist Ausdruck christlicher Nächstenliebe und ein wichtiges humanitäres Korrektiv.“ Es brauche nicht neue Regelungen, sondern die „Verlässlichkeit aller Beteiligten – von den staatlichen Stellen ebenso wie von den Kirchen“. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, Kirchenasyl sei ein Mittel, um den Rechtsstaat zu umgehen“, betonte Castellucci auch.

Die Grünen äußerten sich auf WELT-Anfrage nicht. Für die Fraktion der Linkspartei teilte Bodo Ramelow als Sprecher für Kirchen und Religionspolitik der Fraktion mit: „Es ist das Recht der Kirchen, Kirchenasyl anzubieten. Das sollten Politiker und der Staat akzeptieren.“ Kirchliche Räume, betonte Ramelow, unterlägen einem besonderen Schutz, der respektiert und geschützt werden sollte.

Der rechtspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Tobias Matthias Peterka, sagte WELT: „Selbstverständlich sehen wir die derzeitige Handhabung des sogenannten ‚Kirchenasyls‘ sehr kritisch und fordern die jederzeitige, rechtsstaatliche Durchsetzung von Abschiebebescheiden.“ Die im rechtsfreien Raum geduldete Praxis des Kirchenasyls müsse sofort ein Ende haben.

Eine Sprecherin der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), die mit der SELK organisatorisch nichts zu tun hat, sagte WELT zum Vorwurf des „systematischen Missbrauch des Kirchenasyls“, den der Hamburger Regierungschef Tschentscher aufgebracht hatte: „Die EKD hat sich in der Vergangenheit stets dafür eingesetzt, dass das Kirchenasyl als ‚ultima ratio‘ respektiert wird, wenn im Einzelfall unzumutbare Härten für die Betroffenen drohen.“

Das gelte unabhängig davon, wohin Menschen überstellt werden, denn es gebe Konstellationen, wo die humanitäre Härte aus einem Zusammenspiel vieler Faktoren entsteht – beispielsweise bei Familientrennungen oder Krankheiten. Zu Kirchenasyl-Fällen außerhalb des Verantwortungsbereichs der EKD äußere man sich grundsätzlich nicht.

Jan Alexander Casper berichtet für WELT über die Grünen und gesellschaftspolitische Themen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke