Rund 8000 Flüchtlinge sind allein von Januar bis Mai dieses Jahres nach Deutschland gekommen, obwohl sie bereits in Griechenland als Schutzsuchende anerkannt sind. Insgesamt waren es im Vorjahr sogar mehr als 26.000. Diese Personen stellen hier erneut Asylanträge, obwohl dies gemäß Dublin-Regeln nicht erlaubt ist. Demnach ist grundsätzlich der EU-Ersteinreisestaat für das Antragsverfahren eines Asylbewerbers zuständig.

„Personen, denen Schutz in Griechenland zuerkannt wurde, müssen den Schutz auch dort in Anspruch nehmen“, betont das von Alexander Dobrindt (CSU) geführte Bundesinnenministerium. Doch offensichtlich fehlt es bislang an wirksamen Kontrollmechanismen, um die sogenannte Sekundärmigration innerhalb Europas effektiv zu verhindern.

Laut Schengen-Regelung dürfen anerkannte Asylbewerber für maximal 90 Tage innerhalb eines halben Jahres frei in andere EU-Staaten reisen. Weitere Asylanträge dürfen sie aber nicht stellen. Genau hier liegt das Problem: Viele anerkannte Flüchtlinge reisen per Flugzeug nach Deutschland und umgehen so die strengeren Kontrollen an Landgrenzen.

„Die Bundespolizei kontrolliert Flussbrücken, Autobahnen und Landstraßen an den Binnengrenzen intensiv. Zugleich klafft an Flughäfen eine absurde Lücke“, kritisiert Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für Bundespolizei und Zoll. Er fordert daher dringend, dass die Bundespolizei die rechtliche Befugnis erhält, Flüchtlinge direkt an Flughäfen zurückzuweisen.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) verlangt zusätzlich eine formelle Notifizierung der Luft- und Seegrenzen bei der EU, um Zurückweisungen rechtlich abzusichern. „Ohne diese Notifizierung fehlt jegliche rechtliche Grundlage für Kontrollen und Zurückweisungen an Flughäfen und Seehäfen wie Rostock oder Kiel, wo Migranten per Fähre etwa aus Riga einreisen“, erklärt ein Sprecher der DPolG.

Die Problematik verschärft sich durch Griechenlands Weigerung, Flüchtlinge zurückzunehmen. Obwohl das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im April entschied, dass Abschiebungen nach Griechenland für alleinstehende, gesunde Migranten rechtlich zulässig sind, lehnt das südosteuropäische Land eine Rücknahme kategorisch ab. Athen begründet dies mit eigenen Kapazitätsproblemen und kritisiert indirekt mangelnde europäische Solidarität.

Griechenland hat seinen migrationspolitischen Kurs in den vergangenen Wochen drastisch verschärft. Migrationsminister Thanos Plevris setzt gezielt auf Abschreckung: Bootsmigranten aus Nordafrika etwa dürfen drei Monate lang keinen Asylantrag stellen und werden als Straftäter behandelt. Premierminister Kyriakos Mitsotakis unterstützt den harten Kurs ausdrücklich, spricht sogar von einer „geschlossenen Passage nach Griechenland“. Die Bedingungen in den Lagern wurden gezielt verschlechtert, Sozialleistungen radikal gekürzt. Diese Strategie birgt Risiken – gerade für Deutschland.

Alexander Throm (CDU), innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, fordert mit Blick auf die Weiterreise von Flüchtlingen: „Asylanträge sollten nur noch in einem EU-Staat gestellt werden dürfen – niemand hat das Recht, sich das Zielland seines Asylverfahrens auszusuchen.“ Throm bezeichnet die aktuelle Situation nicht nur politisch, sondern auch rechtlich als „inakzeptabel“. Die verschärften Grenzkontrollen und Zurückweisungen Deutschlands seien deshalb ein wichtiges Signal an die EU-Partnerländer. „Europa muss diese Krise gemeinsam meistern. Es kann nicht sein, dass einzelne Staaten über Jahre hinweg gemeinsames Recht ignorieren.“ Der Koalitionspartner SPD sowie die oppositionellen Grünen äußerten sich auf WELT-Anfrage nicht.

AfD für mehr Härte gegen Griechenland

Deutlich härtere Maßnahmen als die Union fordert Gottfried Curio, innenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion. Seiner Ansicht nach muss Deutschland konsequent zurückführen und zugleich Griechenland stärker unter Druck setzen. „Keine Sozialleistungen für Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land anerkannt wurden. Nur so beseitigt man falsche Anreize“, sagt Curio WELT.

Clara Bünger, stellvertretende Vorsitzende der Linke-Fraktion, schlägt einen gegensätzlichen Weg vor: „Menschenwürdige Bedingungen in Erstaufnahmestaaten sind der Schlüssel, um die Sekundärmigration zu stoppen.“ Zusätzliche Grenzkontrollen könnten das Problem hingegen nur verlagern, aber niemals lösen.

Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl betont ebenfalls eine dramatische Situation in Griechenland. „Kein Bett, kein Brot, keine Seife – das sind seit Jahren die katastrophalen Bedingungen vor Ort“, sagt Europa-Referentin Meral Zeller. Aus ihrer Sicht muss Europa dringend die Aufnahmebedingungen verbessern, statt weiter auf Abschottung und Abschiebungen zu setzen.

Migrationsexperte Gerald Knaus vom Thinktank Europäische Stabilitätsinitiative hält ein anderes Vorgehen für entscheidend. Vor einigen Tagen erläuterte er in einem Interview mit WELT, dass sichere Drittstaatsabkommen die einzige humane und wirksame Methode seien, um illegale Weiterwanderung zu unterbinden: „Jeder Migrant, der Griechenland nach einem bestimmten Stichtag erreicht, müsste sein Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat außerhalb der EU durchführen. Dieses Modell hat bereits 2016 zwischen der EU und der Türkei funktioniert und würde schnell zu einem drastischen Rückgang der Sekundärmigration führen.“

Knaus fordert die Bundesregierung und die EU daher eindringlich auf, sofort entsprechende Verhandlungen zu führen.

Maximilian Heimerzheim ist Volontär im Innenpolitik-Ressort.

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