Die Angst vor einem Atomkrieg hält er für "sehr deutsch", die Gefahr durch ein revisionistisches Russland aber für sehr real: Bei Lanz erklärt der Militärhistoriker Sönke Neitzel, welches Bedrohungsszenario der Nato die meisten Sorgen macht.
Wird es einen dritten Weltkrieg geben? Werden sich Menschen mit Atombomben vernichten? Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine werden solche Fragen wieder diskutiert. Viele Menschen in Deutschland haben ein ungutes Gefühl, wenn nicht gar Angst, auch wenn sie den Zweiten Weltkrieg oder den Kalten Krieg nicht miterlebt haben. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel hält die Kriegsangst und die Diskussion darüber für "sehr deutsch", sagt er bei Markus Lanz im ZDF.
"Die Diskussionen laufen in anderen Ländern ganz anders", sagt Neitzel. "Wenn ich in Frankreich oder Großbritannien bin, erlebe ich das anders. Die historischen Erfahrungen sind auch andere. Dort ist es eine sachlichere, eine nüchternere Diskussion." In Deutschland denke man an Konzentrationslager oder ein nukleares Armageddon, wenn man über Krieg nachdenke. "Das ist aber nicht das Szenario in der Nato. Da ist nicht das Szenario der dritte Weltkrieg. Da ist auch nicht das Szenario, dass Russland mit drei Panzerarmeen auf Warschau marschiert, so wie man das im Kalten Krieg angenommen hat. Da geht man von regionalen Konflikten aus, die schlimm genug sind."
Dennoch stehe Europa nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine vor einer Herausforderung und die müsse es annehmen, sagt Neitzel. "Wir leben nicht in einer Pippi-Langstrumpf-Welt. Leider." Deswegen sei Verteidigungsfähigkeit unumgänglich. Russland sei ein revisionistischer Staat, so Neitzel. "Und wie reagieren wir auf eine Revisionsmacht? Mit Schwäche? Da kann ich als Historiker sagen: Mit Schwäche hat man noch keine Revisionsmacht gestürzt."
Was, wenn China Taiwan angreift?
Ein Szenario, das bei der Nato diskutiert werde, sei das Folgende: China möchte Taiwan angreifen und fordert den russischen Präsidenten Wladimir Putin auf, währenddessen Europa in Atem zu halten und ein Nato-Mitgliedsland zu attackieren. Neitzel: "Wenn ich im Nato-Hauptquartier bin und mit den Leuten hinter verschlossenen Türen rede, dann ist das genau die Angst. Die Nato bereitet sich genau darauf vor, sie hat jetzt Verteidigungspläne gemacht, aus denen dann auch die Lage der Truppenstärke abgeleitet wird. Sie wollen jetzt [aus Deutschland] 260.000 Mann haben. Das ist nicht ausgedacht, sondern das leitet sich ab aus Szenarien, die die Nato durchplant." Die Nato befasse sich damit, ob man die Ostflanke verteidigen könne. "Das sind Szenarien, mit denen man rechnen muss."
Europa sei sowohl durch den Angriff Russlands auf die Ukraine als auch durch den Angriff der Hamas-Terroristen auf Israel überrascht worden. "Das darf uns nicht wieder passieren", sag Neitzel. "Wir sollten uns darauf vorbereiten. Dazu muss jedes Land seinen Beitrag leisten. Und wir sollten ein bisschen Speed-Up machen." Russland habe im vergangenen Jahr kaufkraftbereinigt mehr Geld für Verteidigung ausgegeben als die europäischen Nato-Staaten. Das werde sich ändern, weil sich die Länder verpflichtet haben, ihre Verteidigungsbudgets zu erhöhen. Dennoch seien die europäischen Staaten nicht so effizient wie nötig, weil sie nicht zusammenarbeiteten. Russland rüste hoch. Das müsse man im Westen ernst nehmen.
Zum Schluss beruhigt Neitzel auch: Deutschland liege nicht am Ostrand der Nato. Man rede darüber, die Zahl der Soldaten auf 260.000 zu vergrößern, nicht auf zwei Millionen. "260.000 ist nicht viel. Das sind 0,2 Prozent der Bevölkerung. Die Frage ist: Sind wir zu diesem Schritt bereit, auch als Zeichen an Putin, nach dem Motto: Wir sind keine Schwächlinge, Europa steht zusammen. Und wenn Du in Narva über die Grenze gehst, kriegst Du eins über die Mütze gezogen. In der Hoffnung, dass das vielleicht Putin versteht und dass es deswegen dazu nie kommt. Aber wenn wir zu diesen Schritten nicht bereit sind, ist das Signal, das wir senden, ein fatales, und wir machen letztlich den Krieg wahrscheinlich."
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