Die Pressekonferenz des Bundeskanzlers vor der Sommerpause hat Tradition - dieses Mal bietet sie Anlass, eine erste Bilanz der Regierung Merz zu ziehen. Die fällt besser aus, als es die vergangenen Wochen vermuten lassen. Aber die dicken Brocken kommen erst noch.
Nach gut 70 Tagen geht die neue schwarz-rote Regierung in die Sommerpause. Eigentlich zieht man erst nach 100 Tagen Bilanz, doch viel wird bis dahin nicht mehr passieren. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte am Morgen im Fünf-Minuten-Talk des "Stern" schonmal, er gebe Bundeskanzler Friedrich Merz eine 1, der Koalition eine 2. Sagen wir so: Solche Euphorie zeigt sich im Trendbarometer von RTL und ntv nicht gerade. Und damit auch nicht der von Merz propagierte und angestrebte Stimmungswechsel im ganzen Land. Der sollte sich aus Erfolgen in Sachen Migration, Wirtschaft und Ukraine speisen. Bislang blieb er aus - und damit verfehlt Merz auch sein wichtigstes Ziel.
"Ein Anfang ist gemacht", sagt der Kanzler dennoch an diesem Vormittag in der Bundespressekonferenz. Dort gibt er die traditionelle Pressekonferenz vor der Sommerpause. Eine endlos anmutende Schlange von Reportern, Fotografen und Kameraleuten in deren Foyer deutet auf ein immenses Interesse hin. Auch, weil es meist ein bisschen launiger zugeht, als bei sonstigen Terminen. Doch zum Scherzen ist niemand aufgelegt. Die Journalisten wollen zuerst über das Thema der Stunde sprechen: Frauke Brosius-Gersdorf. Ihre gescheiterte Wahl zur Verfassungsrichterin hat die junge Regierung aus Union und SPD in ihre erste richtige Krise stürzen lassen.
Man kann viel dazu sagen, es rauf und runter wälzen, aber in einem Punkt sind sich alle einig: Die Führung der Union sah dabei nicht gut aus. Jens Spahn und Merz selbst warben für Brosius-Gersdorf, konnten aber einen großen Teil ihrer Fraktion nicht überzeugen.
Ausweichen bei Brosius-Gersdorf
Seit einer Woche versucht Merz, den Ball in dieser Frage flach zu halten, das Problem herunterzuspielen. So machte er es am Sonntag im Sommerinterview in der ARD, auf der Zugspitze bei einem Termin mit Söder und auch jetzt in der Bundespressekonferenz: "Es ist alles dazu gesagt worden", erklärt er im ruhigen Tonfall, der irgendwann ins leicht Genervte driftete. "Wir sprechen darüber, wie wir das weiter angehen."
Kann Brosius-Gersdorf noch gewählt werden? Merz schließt es nicht aus. Ein Bekenntnis zu ihr - wie vor der gescheiterten Wahl - gibt er aber nicht ab. Vielleicht hofft er darauf, dass die Kandidatin selbst zurückzieht. Was für die Union der einfachste Ausweg wäre.
Und wenn nicht? Die SPD hat sich klar hinter Brosius-Gersdorf gestellt. Die Union müsste dagegen über ihren Schatten springen, um sie doch zu wählen. Und das wäre ein sehr weiter Sprung. Die ganze Sache sei nicht gut gelaufen, das räumt Merz ein. Tatsächlich war die Vorbereitung der Fraktionsführung mangelhaft. Was Merz natürlich nicht so klar sagt.
Was heißt das für die Regierung? Ist sie überhaupt noch in der Lage, zu regieren? Ist sie gar schon am Ende? Das mag übertrieben sein, aber die Zweifel sind da. Merz geht mit einer offenen Wunde in die Sommerpause. Für Abgesänge auf Schwarz-Rot ist es dennoch zu früh. Es stimmt leider, dass die neue Normalität nach Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg brutal anders ist als in früheren Zeiten. Die Bedingungen sind nicht einfach, die Zeiten sind rauer geworden. Und es steht ja auch einiges auf der Haben-Seite.
Erfolge gehen unter
Umso ärgerlicher sind da selbst verschuldete Patzer, wie die Sache mit der Stromsteuer. Ausgerechnet die SPD war dagegen, sie für alle zu senken, die Union dafür. Über diesen Streit trat in den Hintergrund, was eigentlich ein Erfolg war: Die Senkung der Energiekosten für alle, auch für Privatleute. Eine vierköpfige Familie soll 150 Euro sparen können. Doch am Ende wurde vor allem darüber geredet, dass es auch 200 Euro hätten sein können. Was daran lag, dass Merz genau das im Wahlkampf versprochen hatte.
Als am vergangenen Freitag alle auf die Richterwahl im Bundestag schauten, ging außerdem etwas anderes völlig unter: Der Bundesrat verabschiedete endgültig die Entlastungen für Unternehmen, darunter die sogenannten Turbo-Abschreibungen. Das ist der vielleicht größte Erfolg der Regierung. Stellt sich die gewünschte Wirkung ein, wächst die Wirtschaft, wird wieder mehr investiert. "Wir haben damit alles umgesetzt, was wir uns im Sofortprogramm für die erste Phase der Bundesregierung vorgenommen haben", sagt Merz in der Bundespressekonferenz.
Das könnte der Schlüssel für den Erfolg dieser Regierung sein. Wenn wieder mehr Geld verdient wird, wird alles besser: Haushalt, Rente, Gesundheit, Konsum, Löhne. Und damit irgendwann auch die Stimmung und das Vertrauen in die Demokratie. Merz schaffte es, dieses Projekt im Einvernehmen mit den Ländern über die Ziellinie zu bringen, ohne Vermittlungsausschuss. Dass seit Freitag fast nur über Brosius-Gersdorf gesprochen wird, ist bitter für die Regierung.
Etwas anders sieht es beim Thema Migration aus. Die neue Regierung hat hier einige Zeichen gesetzt: verstärkte Grenzkontrollen, Zurückweisungen auch von Asylbewerbern, Aussetzung des Familiennachzugs von subsidiär Schutzberechtigten. An diesem Freitag kommt ein Abschiebeflug nach Afghanistan hinzu. 81 Straftäter, deren Asylgesuche abgelehnt wurden, kehren in ihr Heimatland zurück. In der Bundespressekonferenz dankt Merz dem Emir von Katar für seine Vermittlung der "technischen Gespräche" mit Stellen in Afghanistan.
Gamechanger Schuldenbremse?
Die Zuwanderungszahlen sind tatsächlich gesunken. Das geht aber nicht nur auf die Maßnahmen dieser Regierung, sondern auch der Ampelkoalition zurück. Außerdem sinken die Flüchtlingszahlen in ganz Europa. Tatsächlich überwiegt die Symbolik in dieser Frage. So wurden nur 285 Asylsuchende an den Grenzen zurückgewiesen. Und selbst wenn es jetzt jeden Monat so einen Abschiebeflug nach Afghanistan gäbe, kämen keine hohen Ausreisezahlen zusammen. Den großen Unterschied könnte eher das neue Gemeinsame Asylsystem der EU (GEAS) machen, das Asylverfahren an den Europäischen Außengrenzen ermöglichen soll. Dennoch, die Regierung zeigt hier, teils unter Schmerzen für die SPD: Was man tun kann, wird getan. Zur Wahrheit gehört bei diesem Thema auch dazu: Migration kann man kaum abdrehen wie einen Wasserhahn.
Bleibt noch als drittes Großthema der russische Krieg gegen die Ukraine. Merz hat neues Leben in die Bude gebracht. Zu Beginn seiner Amtszeit reiste er mit Keir Starmer und Emmanuel Macron nach Kiew. Putin zeigte sich davon zwar unbeeindruckt und bombardiert weiter. Aber Merz hat es gemeinsam mit den anderen Europäern geschafft, US-Präsident Donald Trump in der Nato zu halten und zugleich eine Arbeitsbeziehung zu ihm aufzubauen. Sein Besuch im Weißen Haus war ein Erfolg - ebenso die Initiative, US-Patriot-Systeme für die Ukraine zu kaufen, vor allem mit deutschem Geld.
Wenn es einen Gamechanger gibt, dann könnte es die Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben sein. Die Bundeswehr soll die größte konventionelle Armee Europas werden, sagt Merz. "Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen", fügt er an. Doch innenpolitisch zahlt Merz dafür einen Preis. Im Wahlkampf hatte er den Eindruck erweckt, es ginge auch ohne neue Schulden, Einsparungen im Bürgergeld würden reichen. Das kostete ihn einiges Vertrauen in den eigenen Reihen. Aber der Eindruck verfestigt sich: Merz ist dran am Thema, er ergreift Initiative, versucht es zumindest.
Trotzdem, dank der Causa Brosius-Gersdorf geht die Regierung mit einem ziemlich schalen Beigeschmack in die Sommerpause. Vor allem die Zweifel an der Regierungsfähigkeit der Unionsfraktion nagen am Vertrauen. Auch, weil die richtig dicken Brocken erst noch kommen. Einsparungen bei Bürgergeld und Gesundheitssystem dürften zu harten Diskussion zwischen SPD und Union führen. Beide Parteien stehen mit ihren schlechten Wahlergebnissen und noch schlechteren Umfragewerten mit dem Rücken zur Wand. Das macht es schwer, dem Partner etwas zu gönnen. Leichter wird die zweite Jahreshälfte jedenfalls nicht. Und so ist auch die Sommer-Pressekonferenz eine eher dröge Veranstaltung. Für Heiterkeit besteht wohl einfach kein Anlass.
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