Bei seiner Sommerpressekonferenz muss Bundeskanzler Merz vor allem Fragen zur gescheiterten Wahl dreier neuer Bundesverfassungsrichter beantworten. Merz bemüht sich sichtlich, vage zu bleiben. Eine Äußerung aber lässt aufhorchen - und verwundert den ohnehin pikierten Koalitionspartner.
Der Bundeskanzler und CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat sich auch auf wiederholte Nachfrage nicht hinter die von der SPD vorgeschlagene Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf gestellt. "Wir versuchen, eine gemeinsame Lösung zu finden", sagte Merz, der in Berlin zur traditionellen Sommerpressekonferenz der Hauptstadtpresse eingeladen war. "Und bevor wir diese Lösung nicht haben, werden Sie es mir nachsehen, werde ich über einzelne Personen hier keine Bewertung abgeben." Die Koalition aus CDU, CSU und SPD habe diesbezüglich "keinen Zeitdruck", beteuerte Merz.
Allerdings scheint Merz davon auszugehen, dass die von weiten Teilen der Union abgelehnte Brosius-Gersdorf am Ende dieser Verständigung nicht erneut zur Wahl steht. "Wir wissen nicht, wer die Kandidatinnen und Kandidaten für eine Wiederholungswahl sein werden", sagte Merz. Dabei hat die SPD wiederholt bekräftigt, an Brosius-Gersdorf festhalten zu wollen. Die ebenfalls von den Sozialdemokraten vorgeschlagene Ann-Katrin Kaufhold sowie der von der Union nominierte Arbeitsrichter Günther Spinner stehen erst recht nicht zur Debatte.
Merz erwartet Befassung des Richterwahlausschusses
Die Unionsfraktion werde ihre Entscheidungen über Kandidaten treffen, "sobald klar ist, welche Vorschläge gemacht werden, die im Übrigen ja auch noch durch den Richterwahlausschuss des Deutschen Bundestages gehen müssen", sagte Merz. "Das heißt, das ist nicht nur eine Frage der Fraktion, sondern auch eine Frage der Abstimmung im Richterwahlausschuss."
Die Aussage lässt aufhorchen: Brosius-Gersdorf, Kaufhold und Spinner haben im Richterwahlausschuss des Bundestags die notwendige Zweidrittelmehrheit schon bekommen - mit den Stimmen der dort vertretenen CDU- und CSU-Abgeordneten. Es fehlt nur noch die Zweidrittelmehrheit im Parlament. Der Richterwahlausschuss müsste nur im Falle neuer Personalien erneut konsultiert werden.
So sieht es auch die SPD, wie ntv.de auf Nachfrage erfahren hat. In der sozialdemokratischen Fraktion herrscht die Auffassung, dass der Richterwahlausschuss nicht erneut tagen müsse. Die drei Kandidaten seien rechtskräftig bestätigt, die Wahl durch den Bundestag lediglich verschoben und nicht abgesagt, heißt es aus Fraktionskreisen. Eine Woche nachdem die Richterwahl wegen des unerwarteten Widerstands der Union gegen Brosius-Gersdorf ausgefallen ist, deutet diese unterschiedliche Wahrnehmung nicht im Ansatz auf eine erfolgte Annäherung zwischen SPD und Union hin.
Union erhöht den Druck
Auch die Grünen-Fraktion, deren Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit ohne AfD gebraucht werden, zeigt sich auf Nachfrage von ntv.de verwundert. Die Partei hält eine erneute Befassung des Richterwahlausschusses ebenfalls nicht für notwendig, wenn die Koalition bei den drei schon bestätigten Kandidaten bleibt. Hat Merz hier also verraten, dass er von einem neuen Kandidaten-Tableau ohne Brosius-Gersdorf ausgeht? Fakt ist: Sowohl CSU-Chef Markus Söder als auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt, einflussreichster CSU-Politiker in Berlin, haben in dieser Woche der SPD und ihrer Kandidatin einen Verzicht auf die Kandidatur nahegelegt. Zuvor hatte sich der CDU-Abgeordnete Tilman Kuban entsprechend geäußert.
Brosius-Gersdorf hat sich am Dienstag in einem Fernsehinterview ausführlich zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen geäußert. Zudem erhebt die Unionsfraktion, anders als am Freitag vergangener Woche, nicht länger öffentlich Zweifel an der Fachlichkeit ihrer Dissertation. Dennoch scheint sich der Widerstand gegen Brosius-Gersdorf unter den Abgeordneten in den vergangenen Tagen weiter verfestigt zu haben. Die Koalition steckt damit in einer Blockade - und erlebt zum zweiten Mal nach der im ersten Anlauf gescheiterten Kanzlerwahl, dass sie sich ihrer Mehrheiten nicht sicher sein kann.
Merz setzt auf den Faktor Zeit
Brosius-Gersdorf hatte im Gespräch mit Markus Lanz einen Verzicht auf ihre Kandidatur als Möglichkeit genannt. Ihre Unterstützer halten dem entgegen, dass künftig jeder Kandidat von interessierter Seite mit haltlosen und überzogenen Vorwürfen zu einem Verzicht gedrängt werden könnte. Wollte die Juristin aber trotz öffentlichen Drucks sowie Anfeindungen und Morddrohungen an ihrer Kandidatur festhalten, braucht sie nun Durchhaltevermögen. Merz sagte, er erwarte eine Klärung der drei Richterwahlen "erst im September oder ab September".
Die Zeit spielt aber vor allem jenen in die Karten, die Brosius-Gersdorf ablehnen. Ihre Gegner verweisen auf die Haltung der Professorin für Öffentliches Recht zu Schwangerschaftsabbrüchen, Impfzwang und einem möglichen AfD-Verbot. Söder und Dobrindt teilen diese Kritik nicht explizit, sondern sehen die Kandidatin durch die öffentlich Debatte beschädigt. Er sehe "kaum mehr eine Möglichkeit" für Brosius-Gersdorf, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder in einem Podcast des "Stern". "Unabhängig davon ist sie eine hochkompetente Juristin, das will ich mal ausdrücklich sagen." Aber durch die politische Debatte gebe es eine Art "Befangenheit" bei dieser Personalie, die dem Verfassungsgericht schaden könne.
"Ganz ehrlich, es ist auch keine Krise"
Denkbar, dass sich auch die Sozialdemokraten auf diese Argumentation einlassen und ihrer Kandidatin zu einem gesichtswahrenden Rücktritt von der Kandidatur zu verhelfen versuchen. Eine Lösung des Richterwahl-Streits wäre damit aber noch nicht erreicht. Eine andere Kandidatin und ein anderer Kandidat der SPD müsste nicht nur der Union gefallen, sondern auch die Zustimmung von Grünen und Linken finden - erst im Richterwahlausschuss, dann im Parlament. Beide Oppositionsparteien haben aber wenig Anreiz, einer sich uneins präsentierenden Koalition unter die Arme zu greifen. Zumal die CDU direkte Gespräche mit der Linken verweigert.
"Friedrich Merz kann die Frage nicht beantworten, ob er noch Kanzler einer handlungsfähigen Koalition ist", erklärte Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge mit Blick auf die Pressekonferenz des Kanzlers. "Es ist verantwortungslos, dass Merz diesen Zustand nun den ganzen Sommer über ungelöst fortsetzen will." Merz freilich kam in seiner Pressekonferenz zu einer gänzlich anderen Einschätzung: "Ganz ehrlich, es ist auch keine Krise. Es ist eine Situation, die besser sein könnte", sagte Merz. "Ich bin persönlich, ehrlich gesagt, auch mit der Zusammenarbeit in der Koalition sehr zufrieden."
Ob Merz diesen Eindruck aufrechterhalten kann, darüber entscheidet nun im Wesentlichen die SPD: Sie hat nun alle Signale, dass Merz ein Nachgaben der SPD und ihrer Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht anstrebt. Setzen sich die Sozialdemokraten dagegen öffentlich zur Wehr, steuert Schwarz-Rot auf einen heißen Sommer zu.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke