Die neue ukrainische Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko hat bereits gezeigt, dass sie erfolgreich mit den USA verhandeln kann. Ihr bisheriger Chef Denys Schmyhal wird Verteidigungsminister - was nur formal eine Degradierung ist.
Zum zweiten Mal in der Geschichte der Ukraine hat das Land eine Ministerpräsidentin - und wieder heißt diese Julia. Nachdem die Politikveteranin Julia Tymoschenko in den Nullerjahren zweimal das Amt ausüben durfte, hat das ukrainische Parlament Julia Swyrydenko zur Regierungschefin gewählt. Zuletzt war Swyrydenko Wirtschaftsministerin und erste Stellvertreterin des bisherigen Regierungschefs Denys Schmyhal.
Am Montag hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj der 39-Jährigen angeboten, die stark erneuerte Regierung anzuführen. Spekulationen über ihren Aufstieg zur Premierministerin gab es schon vor einem Jahr, obwohl die junge Wirtschaftsexpertin trotz ihres hohen Postens bis dahin auch in der Ukraine fast nur Politikinteressierten bekannt war.
Der Aufstieg, den die gebürtige Tschernihiwerin in den letzten Jahren hinlegte, ist rasant. In ihrer Heimat in der Nordukraine war sie zuerst als Lokalbeamtin sowie in der Privatwirtschaft tätig. Nachdem Selenskyj 2019 die Präsidentschaftswahlen gewann und seine Partei bei der vorgezogenen Parlamentswahl die absolute Mehrheit bekam, holte sie der damalige Wirtschaftsminister als Stellvertreterin in sein Ressort. In der Reihe der vielen stellvertretenden Minister stand sie allerdings nur auf Rang acht. Großen Einfluss hat man in einer solchen Position nicht - eigentlich.
Energisch, kompetent und loyal
Doch bei Julia Swyrydenko lief es anders. Durch echte Wirtschaftskompetenz zeichnete Selenskyj sich zu Beginn seiner Amtszeit nicht aus, womit sowohl der damalige Ministerpräsident Oleksij Hontscharuk als auch sein Wirtschaftsminister Tymofyj Mylowanow haderten. Swyrydenko zeigte sich jedoch als eine, die ruhig zuhört, Notizen macht - und dann in einfacher Sprache komplizierte Zusammenhänge erklärt. Deswegen wurde sie, so berichtet das renommierte Online-Medium Ukrajinska Prawda, immer häufiger zu Beratungssitzungen in das Präsidentenbüro in der Kiewer Bankowa-Straße geschickt - und stieg binnen kürzester Zeit, jedoch bereits unter einem anderen Minister, zur ersten stellvertretenden Ministerpräsidentin auf, bis sie von Andrij Jermak, dem mächtigen Chef der Selenskyj-Kanzlei, ins Präsidentenbüro geholt wurde, wiederum als Stellvertreterin.
Ende 2021 wechselte sie zurück ins Wirtschaftsministerium, jetzt allerdings als Ministerin. Zugleich wurde sie erste Stellvertreterin des Ministerpräsidenten. Politisch befand sich Swyrydenko all die Jahre eher im Hintergrund, was kaum verwunderlich ist: Die Regierung des scheidenden Premiers Schmyhal, mit viereinhalb Jahren Amtszeit Rekordhalter im Amt, gilt als technokratisch und eher als verlängerter Arm der Präsidentenkanzlei. Als Wirtschaftsministerin zeigte sich Swyrydenko jedoch als energisch, kompetent und flexibel - aber, ebenfalls wenig überraschend, auch als loyal gegenüber dem Präsidenten und seinem engsten Vertrauten Jermak. Zu Swyrydenkos Paradeprojekten gehörten unter anderem die Wiederaufbaukonferenzen zur Ukraine im Ausland, zuletzt die in Rom, auch wenn die praktischen Folgen dieser Konferenzen nicht klar sind. Denn ein Ende des russisch-ukrainischen Krieges ist weiterhin nicht in Sicht.
Erfolg in den Verhandlungen mit den USA
Swyrydenkos Sternstunde schlug in diesem Jahr allerdings nicht in Rom, sondern während der Verhandlungen über das Rohstoff-Abkommen mit US-Finanzminister Scott Bessent. Mehrfach hatte die US-Seite Vertragsentwürfe für den sogenannten Mineraliendeal vorgelegt, die für die Ukraine inakzeptabel waren und beinahe kolonial wirkten. Swyrydenko, die die Verhandlungen auf der ukrainischen Seite anführte, konnte sich mit Bessent trotzdem auf eine brauchbare, wenn auch nicht ideale Fassung des umstrittenen Vertrags einigen. Damit soll sie sowohl Selenskyj als auch die Amerikaner überzeugt haben, die sie angeblich gerne in einer engeren Rolle bei den amerikanisch-ukrainischen Gesprächen sehen würden.
Dabei gilt Swyrydenko klar als Vertraute von Andrij Jermak, der für die Beziehungen mit den USA federführend war und einen engen Kontakt zur Administration von Joe Biden pflegte. Mit dem Team von Trump lief es dagegen nicht so gut, wie in den letzten Wochen und Monaten unter anderem "Politico" und der "Economist" berichteten und was im politischen Kiew ein offenes Geheimnis war. Damit hat Swyrydenkos Ernennung vor allem eine außenpolitische Dimension. Denn innenpolitisch dürfte sich durch die Umstellungen wenig verändern. Der grundsätzliche Kurs wird ohnehin vom Präsidenten vorgegeben.
Schmyhal wird Verteidigungsminister
Ein Grund für die Auswechselungen in der Regierung ist, dass man in Zeiten, in denen Wahlen nicht möglich sind, eine gewisse Erneuerung in den Machtstrukturen braucht - auch dafür eignet sich Julia Swyrydenko. Neben der neuen Ministerpräsidentin ist vor allem eine Personalie spannend - und auch diese hat vor allem auf die USA bezogene außenpolitische Gründe. So könnte der nun abgesetzte Verteidigungsminister Rustem Umerow Botschafter in Washington werden. Auch Olha Stefanischyna, die scheidende Vize-Ministerpräsidentin für Europäische Integration, die überraschend das Kabinett verlässt, ist als Kandidatin im Gespräch. Schon länger war klar, dass die Ukraine ihre Botschafterin Oksana Markarowa austauschen muss: Markarowa hatte gut mit der Biden-Administration zusammengearbeitet, konnte sich mit den Republikanern aber nicht verständigen.
Umerows Bilanz als Verteidigungsminister ist, anders als erwartet, eher durchwachsen. Allerdings soll er bei den Verhandlungen sowohl mit den Amerikanern als auch mit Russland eine gute Figur gemacht haben. Der Krimtatar, der fließend Englisch spricht, gilt dank seiner Erfahrungen in der Privatwirtschaft und guter Kontakte in die arabische Welt als Mann für informelle, private Gespräche - also als jemand, der möglicherweise gut mit dem Trump-Team umgehen kann.
Ungewöhnlich ist die Personalie, mit der Umerow als Verteidigungsminister ersetzt wird. Nämlich wird diese Rolle der bisherige Premier Denys Schmyhal übernehmen. Zwar wird sein neues Ressort mit dem Ministerium für strategische Industrien, das für Rüstungsproduktion verantwortlich ist, zusammengelegt. Aber rein formal ist es doch eine Degradierung. Aber: Rund die Hälfte des ukrainischen Staatshaushalts entfällt derzeit auf das Verteidigungsministerium, das in direkter oder indirekter Form der größte Arbeitgeber des Landes ist. Unter Umerow herrschte im Ministerium reichlich Chaos, obwohl es bedeutende Erfolge im Hinblick auf die Digitalisierung gab. Der Technokrat Schmyhal soll nun für Ordnung im wichtigsten Ministerium des Landes sorgen, während es Swyrydenkos Hauptaufgabe sein wird, die ukrainische Wirtschaft und Rüstung näher zusammenzubringen. Ob das rasch gelingt, muss sich noch zeigen. Selenskyj jedenfalls wünscht sich erste bedeutende Ergebnisse innerhalb der nächsten sechs Monate.
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