In der Debatte um die Besetzung offener Richterposten am Bundesverfassungsgericht erweist sich die Fraktion von CDU und CSU als dysfunktional und kurzsichtig. Die Liste der Beschädigten ist lang. Und die Frage stellt sich: Ist Jens Spahn seinem Amt gewachsen?
Die Wahl drei neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht ist gescheitert. Vorerst zumindest, weil verschoben. Erstmals, weil ein vergleichbarer Vorgang im Zusammenhang mit den Hüterinnen und Hütern des Grundgesetzes niemandem erinnerlich ist. Sie sei "fassungslos über den an den Tag gelegten Dilettantismus", schmähte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann die Verantwortlichen von Union und SPD. Wer wollte dem widersprechen? In Zeiten knapper Mehrheiten und einer großen AfD-Fraktion im Bundestag ist die Fähigkeit der demokratischen Parteien zur Zusammenarbeit existenziell für den Bestand der Demokratie. Dem hat sich die Union erneut verweigert. Es gilt festzustellen: Gewichtige Teile von CDU und CSU haben offenkundig den Schuss nicht gehört, noch immer nicht.
Im Kern geht es um die Frage, ob die von der SPD vorgeschlagene Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zu links für das Amt ist. Das zumindest geben zahlreiche Abgeordnete der größten Regierungsfraktion vor und verweisen dabei insbesondere auf die durchaus streitbare Haltung der Kandidatin zum Thema Abtreibung. Die vorgebliche Sorge ist aber aus gleich mehreren Gründen unverständlich.
Grobes Foulspiel der Union
Erstens hat die Union diesen Personalvorschlag über Monate prüfen können und schließlich selbst mitgetragen. Das Auswahlverfahren der Bundesverfassungsrichter ist seit Jahrzehnten etabliert. Zumindest war es das bislang. Es ist dilettantisch, eine vielfach und öffentlich zugesagte Zustimmung kurz vor dem entscheidenden Wahlgang zurückzuziehen. Amt, Kandidatin und Verfahren sind nun beschädigt. Keine Fraktion kann im Rahmen des rotierenden Vorschlagsrechts einen Kandidaten durchdrücken. Wenn die übrigen Parteien ihr Veto signalisieren, muss halt ein anderer Kandidat gefunden werden.
Brosius-Gersdorf aber hatte bis zum Donnerstag, einen Tag vor der formalen Wahl, die Unterstützung der Unionsfraktion. Entsprechend hatte der Personalvorschlag im vorgeschalteten Verfassungsrichterwahlausschuss eine Zweidrittelmehrheit bekommen. Sich nicht an dieses Votum zu halten, ist ein grobes Foulspiel der Union und dürfte die noch junge Regierungskoalition nachhaltig belasten.
Die Gebärmutter als Schlachtfeld
Zweitens bringen CDU und CSU ein erstaunliches Misstrauen in die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck: Karlsruhe schreibt keine Gesetze, Karlsruhe wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes. Mehr als eine von Auflagen befreite Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der ersten drei Monate steht in Deutschland überhaupt nicht zur Debatte. Dieser Schritt wiederum hätte - trotz eines mehrheitlich konservativ bis rechtsradikal besetzen Bundestags - eine breite Mehrheit in der Bevölkerung. Zudem entscheidet Karlsruhe immer mit Mehrheiten. Misstraut die Union etwa auch den übrigen Richterinnen, die auf Vorschlag von SPD und Grünen ins Amt kamen, sowie jenen, die Union und FDP eingebracht haben? Welche Gefahr von Frauke Brosius-Gersdorf ausgehen soll, erklärt sich nicht.
Drittens ist die Autorität von CDU-Chef und Bundeskanzler Friedrich Merz sowie vor allem die des Fraktionsvorsitzenden Spahn beschädigt: Beide hatten ihrer Fraktion deutlich signalisiert, dass sie um der demokratischen Stabilität und des Koalitionsfriedens Willen eine Zustimmung zu Brosius-Gersdorf erwarten. Dass allen voran Spahn nicht in der Lage war, Zweifel und Bedenken zu erkennen und einzuordnen, lässt Schlüsse auf seine Eignung zu. Ab heute ist Spahn auch im eigenen Laden angezählt. Schließlich wäre das Thema leicht aus der Öffentlichkeit zu ziehen gewesen. Nun aber muss eine plötzlich aufgetauchte Einschätzung des selbsternannten "Plagiatsjägers" Stefan Weber als Ausrede für eine Verschiebung der Abstimmung herhalten. Dieser bestreitet übrigens, überhaupt ein Plagiat erkannt zu haben.
Viertens stellt sich die Frage, warum selbst die Linke mehr Verantwortung für Karlsruhe zeigt als die Union. Diese hatte sich zur Wahl des Unionskandidaten Günter Spinner durchgerungen, obwohl sich die CDU eines Austauschs zu Themen verweigert, die einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag bedürfen. Fünftens ist die Gebärmutter seit jeher ein präferiertes Schlachtfeld von - fast immer männlichen - Rechtspopulisten und -extremisten. Seit Wochen betreiben AfD und mit ihr verbündete Medienbetriebe zusammen mit sogenannten Lebensschützern eine diffamierende Kampagne gegen die Juristin Brosius-Gersdorf. Um das Wohl von Kindern geht es diesen Akteuren höchstens am Rande. Spätestens mit Blick auf die nach der Wahl-Verschiebung auftrumpfende AfD-Fraktion ist den Unionsabgeordneten hoffentlich klargeworden, wem sie da auf den Leim gegangen sind.
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