Im Streit um die Neubesetzung am Bundesverfassungsgericht geht die Union aufs Ganze. Die Wahl der umstrittenen SPD-Kandidatin soll ausgesetzt werden. Als Begründung werden Plagiatsvorwürfe angeführt.
Die Unionsfraktion will die Wahl der von der SPD nominierten Professorin Frauke Brosius-Gersdorf als Bundesverfassungsrichterin am Vormittag absetzen. Kanzler Friedrich Merz und CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn hätten dies der SPD-Fraktion mitgeteilt, heißt es aus Unionskreisen.
Konkret droht die Union dem Koalitionspartner SPD mit Enthaltung - sollte die Abstimmung über die in der Union besonders umstrittenen Kandidatin nicht abgesetzt werden. Die SPD-Fraktionsspitze hat nun eine Sondersitzung der Fraktion einberufen. Auch die Grünen luden für eine Sonderfraktionssitzung ein. Die laufende Bundestagssitzung wurde am Vormittag unterbrochen.
Die schwarz-rote Koalition steckt damit in einem tiefgreifenden Streit um einen Vorgang, der normalerweise kaum öffentliche Beachtung findet - die Wahl von Verfassungsrichtern findet traditionell im Konsens statt. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, kritisierte die Union für den Umgang mit der SPD-Kandidatin. Sie habe "kein Verständnis dafür, wie man mit einer solchen Debatte das höchste Gericht in Deutschland beschädigt", sagte Schwesig im Frühstart von ntv. "Jetzt kommt es darauf an, ob Herr Spahn und Herr Merz in der Lage sind, dass ihre Reihen geschlossen sind."
Plagiatsjäger hält Vorwurf selbst für unwahrscheinlich
Als Begründung für die Verschiebung der Wahl von Brosius-Gersdorf werden von der Union Plagiatsvorwürfe angebracht. Diese Vorwürfe müssten zunächst aufgeklärt werden, heißt es aus Unionskreisen. Der Plagiatsverdacht ziehe die fachliche Expertise der Juristin in Zweifel. Diese sei aber zentrales Argument für die Wahl der Kandidatin gewesen. Eine angehende Verfassungsrichterin müsse über jeden Zweifel erhaben sein.
Der österreichische Plagiatssucher Stefan Weber hatte am Donnerstagabend Vorwürfe veröffentlicht. Auf Nachfrage sagte er, er habe die Prüfung ohne Auftraggeber vorgenommen. Eine Software habe Übereinstimmungen bei der Dissertation Brosius-Gersdorfs und der Habilitationsschrift ihres Ehemanns gefunden. "Persönlich halte ich es für eher unwahrscheinlich, dass sich ein Habilitand bei einer Dissertation bedient, aber es ist freilich auch möglich", teilte er mit.
Brosius-Gersdorf ist in konservativen Kreisen umstritten. Dabei geht es unter anderem um ihre Positionierung zur Reform des Abtreibungsrechts. Unionsvertreter sehen laut Medienberichten zudem kritisch, dass sich die Juristin gegen die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zum Tragen des muslimischen Kopftuches im Staatsdienst gestellt habe.
Umstrittene Position zu Abtreibungen
CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hingegen hatte zur Unterstützung für Brosius-Gersdorf aufgerufen. "Frau Brosius-Gersdorf ist keine Kandidatin der Union, aber eine respektable Kandidatin der SPD - und ganz sicher keine linksradikale Aktivistin", sagte Hoffmann am Donnerstag der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Deren Wahl sei auch "kein Angriff auf den Schutz des ungeborenen Lebens". Sie habe in verschiedenen juristischen Schriften klargestellt, dass das Grundrecht auf Leben nicht erst ab Geburt gilt, sondern bereits dem Embryo zustehe.
Im Bericht einer von der Bundesregierung eingesetzten Expertenkommission hieß es in einem von der Juristin verantworteten Kapitel: "Es gibt gute Gründe dafür, dass die Menschenwürdegarantie erst ab Geburt gilt." In der Passage geht es um den Umgang mit ungeborenem Leben und die relevanten Rechte sowie ihre Abwägung gegeneinander.
Nach der Jahrtausendwende arbeitete die heute 54-Jährige einige Jahre als Anwältin. Sie gab juristische Zeitschriften mit heraus und war zwei Jahre lang Mitglied der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer. Heute hat die gebürtige Hamburgerin an der Universität Potsdam den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht und Sozialrecht.
Die Unionsfraktion hat für die drei vakant werdenden Stellen in Karlsruhe den Arbeitsrichter Günter Spinner nominiert, die SPD die Professorinnen Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold. Für die geheime Wahl im Bundestag im Laufe des Tages ist eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Abgeordneten nötig. Union, SPD und Grünen fehlen bei voller Besetzung des Bundestages sieben Stimmen zur Zweidrittelmehrheit. Einige Linken-Abgeordnete wollen nun bei der Wahl für Spinner stimmen, um ihm eine Mehrheit ohne die AfD zu sichern. Dies erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus Fraktionskreisen. Als Erstes sollte über Spinner, dann über die beiden anderen Kandidatinnen abgestimmt werden.
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