Heiße Sommer, Sturzfluten, Skigebiete ohne Schnee. Die Erderwärmung ist längst spürbar. Markus Lanz diskutiert mit seinen Gästen über Klimaneutralität. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat besonders viele Ideen.

Temperaturen von örtlich bis zu 40 Grad im Juni lassen kaum noch einen Zweifel: Die Klimakrise hat uns voll im Griff. Bundeskanzler Friedrich Merz verspricht: "Diese Bundesregierung steht zu den Zielen des Klimaschutzes, die wir national, europäisch und international vereinbart haben. Es gibt hier keinen Dissens. Es gibt allenfalls die Frage, ob wir das denn tatsächlich so erreichen können, wie wir es uns vorzeitig gemeinsam vorgenommen haben." Man werde sich um Klimaneutralität bemühen, sagt er und weist gleichzeitig darauf hin: Deutschland sei für zwei Prozent des Klimas auf der Welt verantwortlich, Klimaneutralität Deutschlands alleine ändere folglich nichts. Kann man so sagen. Man könnte aber auch auf die psychologische Wirkung auf andere Industrieländer hinweisen. Markus Lanz hat seine Talkshow unter dieses Thema gestellt.

Für sich genommen seien die Hitzewelle in Deutschland oder die Sturzflut in Texas Wetterphänomene, erklärt Politökonomin Maja Goepel. Diese träten jedoch in den letzten Jahren weltweit immer häufiger auf. Wissenschaftler haben laut Goepel errechnet, es sei bis zu sechsmal günstiger, in Klimaschutzmaßnahmen zu investieren, als die Schäden danach zu reparieren.

Der Klimawandel verändere über einen sehr langen Zeitraum die Umweltrisiken, sagt auch der Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski von der "Welt". "Es besteht Handlungsbedarf." Die Erderwärmung werde sich fortsetzen, was zu einem Anstieg der Meere führen könne. "Wir haben da was in Gang gesetzt, von dem wir nicht genau wissen, was es ist", so Bojanowski. Inzwischen seien aber die Menschen vor Wetterkatastrophen wie der Flut in Texas besser geschützt als früher.

Tatsächlich gab es in Texas rechtzeitig Warnungen vor der Katastrophe. Die kamen jedoch in der Nacht. Da seien sie von niemandem weitergeleitet worden, stellt Klimaforscher Jochim Marotzke klar. Auch wenn man sich vor Flutkatastrophen besser schützen könne, gelte das zudem nicht für Hitzewellen, so der Forscher. "Es ist ausgeschlossen, dass sich die Menschheit auf Dauer an den Klimawandel anpassen können wird, wenn der so weitergeht."

Doch was kann man tun, um die Gefahr für Menschen möglichst gering zu halten? Goepel erklärt: "Wir müssen CO₂-Emissionen senken, und wir müssen uns an den nicht mehr verhinderbaren Klimawandel anpassen."

Erderwärmung über Land stärker

Die Erderwärmung bekommen besonders Menschen zu spüren, die nicht am Meer leben. "Über Land wird die Erwärmung deutlich mehr sein", erklärt Marotzke. "Luft über dem Ozean erwärmt sich viel langsamer als über Land. Und was wir in den vergangenen zwanzig Jahren sehen, ist, dass sich Europa noch einmal besonders erwärmt hat. Das bedeutet: Wir kriegen in Europa extra viel von dieser Erwärmung mit, weil wir auf dem Land leben."

Wenn der Klimawandel nicht eingedämmt werde, könnte es in einigen Städten im Sommer so warm werden wie jetzt schon in Madrid. Besonders gefährdete Menschen können möglicherweise Temperaturen von mehr als 42 Grad nicht überleben, vor allem, wenn es noch dazu schwül ist. Marotzke betont: "Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass die Emissionen von CO₂ gesenkt werden müssen. Ansonsten kommen wir in ein unbeherrschbares Klimaregime hinein."

Boris Palmer ist Bürgermeister von Tübingen. Er hat das Problem erkannt und sich vorgenommen, dass seine Stadt bis 2030 klimaneutral werden soll. Das habe der Stadtrat vor sechs Jahren beschlossen.

Tübingen habe günstige Bedingungen, weil es bis zu 500 Metern über dem Meeresspiegel liege und durchgrünt sei, so Palmer. "Trotzdem investieren wir in Entsiegelung. Wir versuchen, Bäume in die Stadt zu bringen, in der Innenstadt wird mit Wasser gearbeitet, wir stellen neue Wasserflächen her. Bei starker Hitze verschaffen wir den Menschen Kühle durch Wassersprühnebel. Wir legen Trinkbrunnen an, machen uns Gedanken über Hitzeschutzräume und Fußgängertunnel." Um Sturzfluten wie in Texas zu vermeiden, habe Tübingen in den letzten zwanzig Jahren viel in Hochwasserschutz investiert, sagt Palmer. Er weiß aber auch: Wenn es hart kommt, werden die Schäden nach einer Flutkatastrophe immens sein.

Bei der Senkung der CO₂-Emissionen arbeitet Palmer eng mit der Wirtschaft zusammen. "Wir müssen es schaffen, dass Wirtschaft, Lebensqualität, Wohlstand und Klimaschutz gemeinsam vorankommen. Nur dann hat es einen Wert. Zumindest lokal."

Vorbild Tübingen?

Seit 18 Jahren ist Palmer Stadtoberhaupt von Tübingen. In dieser Zeit habe es bei den Arbeitsplätzen in seiner Stadt einen Anstieg um 45 Prozent gegeben. Die CO₂-Emissionen seien in dieser Zeit um 45 Prozent pro Kopf gesunken. "Wir haben in Tübingen eine ganze Menge Dinge ausprobiert, die es sonst in Deutschland nicht gibt. Wir haben zum Beispiel eine Verpackungssteuer eingeführt. Wenn Sie in Tübingen ein To-Go-Produkt kaufen wollen, zahlen Sie 50 Prozent Steuern drauf. Und siehe da: Die Leute wollen Mehrwegbecher. Wir haben seit Jahren Investitionen von 90 Euro pro Kopf in die Radinfrastruktur fließen lassen. Der Durchschnitt in Deutschland liegt bei sechs bis sieben Euro. Das Ergebnis: Der Radverkehrsanteil hat sich von 20 auf 30 Prozent erhöht. Der Autoverkehr ist runtergegangen: Wir haben den geringsten Autoverkehrsanteil aller Städte. Wir haben das Deutschlandticket mit städtischen Geldern subventioniert. Das kostet bei uns nur 45 Euro, ist also 13 Euro billiger als in Deutschland. Wir haben die besten Zuwachsraten in Deutschland, und wir finanzieren das aus den Einnahmen der Anwohnerparkgebühren. Wenn sie einen SUV an die Straße stellen, kostet das 300 Euro im Jahr. Vor fünf Jahren waren das noch 30. Und das Geld kriegt der Busnutzer." In Tübingen sei es gelungen, die Lebensqualität der Menschen zu verbessern, weil es dort weniger Autos gebe, so Palmer.

Doch auch in anderen Bereichen könnte Tübingen ein Vorbild sein. Im kommenden Jahr wollen die Stadtwerke Strom ausschließlich aus erneuerbaren Energien gewinnen. "Außerdem haben wir eine Solaranlage gebaut, zehn Megawatt, mitten in der Stadt. Die haben wir einfach in die Ohren der Bundesstraße reingebaut. Wenn sie sich die Autobahnausfahrten anschauen: in so einem Ohr ist nichts drin. Die Fläche wird nicht genutzt. Ich finde, wir brauchen ein Bundesohrengesetz. Da gibt es deutschlandweit etwa 1000 solche Flächen, und ich hätte gerne ein Gesetz, in dem steht, da darf man Solaranlagen bauen. Stattdessen machen wir jahrelange Planungsverfahren. Eine Hauptaufgabe eines Bürgermeisters ist es, irgendwie zu schauen, wie man diese Vorschriften möglichst ignoriert. Also wenn es geht: Weglegen und einfach machen. Sonst kommt man gar nicht zum Ziel."

Falsch wäre, sich zurückzulehnen und zu warten, bis die anderen anfangen, sagt Goepel. Sie fürchtet, dass die deutsche Klimapolitik der schwarz-roten Regierung genau das Ziel haben könnte. Das müsse aber nicht sein, sagt Palmer. "Es ist möglich, die Klimaziele vorzeitig zu erreichen. Wir müssen einfach die Hindernisse beseitigen, die wir uns selber in den Weg legen. Und wir müssen kosteneffizienter werden."

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