Modisch glänzt das politische Berlin selten, Bundeskanzler Merz aber sticht zumindest mit Stilsicherheit hervor. Hauen und Stechen droht ihm dafür im eigenen Laden. Probleme stapeln sich, wie einst im Gassenhauer des Rappers Jay-Z. Mit dem Ehemann von Beyoncé hat der Kanzler aber nichts gemein - oder?

Die Fashion Week in Berlin ist vorüber. Eine gute Nachricht für unsere Spitzenpolitiker und Franziska Giffey. Die turboerfolgreiche Kanzler-Clique kann sich wieder entspannt den wirklich wichtigen Themen widmen und muss sich nicht mehr von hyperventilierenden PR-Beratern mit "Vogue"-Abo drangsalieren lassen, doch wenigstens während der Modewoche etwas Outfit-Innovationsbereitschaft anzudeuten. Der Vorstoß, die eigene Garderobe zumindest an Défilé-Tagen gelegentlich mal kalendersynchronisierend mit den Inhalten der anstehenden Termine abzugleichen, stößt beim aktuellen Kabinett nämlich auf weniger Kooperationsbereitschaft als der Vorschlag, den Nachrichtendienst X von strafbaren Inhalten zu befreien bei Elon Musk.

Das ist auf der einen Seite verständlich, denn als machtbewusster Deutschland-Lenker möchte man auf den Titelseiten großer politischer Vordenker-Magazine (also vornehmlich dieser Kolumne) landen und weniger in Modemagazinen. Auf der anderen Seite: Wer mal die Couture-Entscheidungen von Lars Klingbeil analysiert hat, der ahnt, dass Modeberatung zu den am meisten unterschätzten Dienstleistungszweigen im Regierungsviertel gehört.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, dass der Vizekanzler morgens regelmäßig vor seinem Kleiderschrank steht und denkt: "Okay, dann nehme ich heute mal ein ungebügeltes Hemd, das aussieht, als hätten es die Kinder aus der Kita im Finanzministerium beim Origami-Unterricht als Faltmuster verwendet." Zerknitterter als Klingbeils Oberbekleidung ist höchstens noch Sahra Wagenknecht, wenn sie herausfindet, dass der Mossad während der Bundestagswahl doch keine papierfressenden Minidrohnen eingesetzt hat, um Stimmzettel für das BSW zu vernichten.

50 Shades of Dunkelblau

Friedrich Merz dagegen ist stets akkurat gekleidet. Okay, sein Maßschneider gilt nicht unbedingt als Anwärter auf den "LVMH Award For Young Fashion Designers". Vornehmlich, weil seine Stoff-Farbpalette sich auf 50 Versionen von Dunkelblau beschränkt. Aber dafür sind seine Anzüge durchgängig faltenfreier als der Hals von Botox-Antagonistin Uschi Glas. Kontexteinschub: Die in der Beauty-Hochburg Landau an der Isar geborene Glas möchte sich nicht mit Botox behandeln lassen, da sie "nicht aussehen will, wie alle anderen. So gleichgemacht."

Andererseits: Das Urteilsvermögen von Uschi Glas darf durchaus skeptisch gesehen werden. So gehörte die durch Blockbuster wie "Zur Sache, Schätzchen" bekannt gewordene Wahlmünchnerin beispielsweise zur durcheuphorisierten Promiriege, die 2021 im Rahmen eines der TV-Trielle zur Bundestagswahl auf die Melodie von "Seven Nation Army" minutenlang "Armin Laschet wird Kanzler" skandierte.

In diesem regelmäßig als Warnvideo für vernunftbasierten Umgang mit bewusstseinserweiternden Substanzen fehlinterpretierten Zeitdokument offenbart Glas die nostradamischen Fähigkeiten eines Fabio de Masi. Der prophezeite einst, nach seinem Abgang bei den Linken käme dort nur noch der Insolvenzverwalter. "LVMH" übrigens - das nur für alle, denen im Strandurlaub noch nie eine braune Damenhandtasche angepriesen wurde - steht für "Louis Vuitton Moët Hennessy". Vier Vokabeln, die in der Bundespolitik, abseits der Kreditkartenabrechnung von AfD-Superstar Maximilian Krah, eher untergeordnete Rollen spielen.

Beyoncé Merz

Friedrich Merz jedenfalls, da helfen ihm auch perfekt sitzende Anzüge wenig, hat sich bereits nach wenigen Wochen Regierungsverantwortung als Jay-Z der Bundespolitik etabliert. Für ihn gilt definitiv: "I Got 99 Problems, But a Bitch Ain't One". Gut, auf den ersten Blick erkennt man popkulturell nur wenige Überschneidungen zwischen Merz (kommt aus Brilon) und Jay-Z (kommt aus Brooklyn, New York). Ein Beispiel: Jay-Z gehörte das NBA-Team Brooklyn Nets. Merz hält gerne Reden bei der St. Sebastianus Schützenbruderschaft im sauerländischen Oeventrop.

Jene 99 Probleme prasseln nun seit Tagen aus allen Richtungen auf Merz ein, mitunter sogar aus der eigenen Fraktion. Stellt sich also nur noch die Frage: Wenn Friedrich Merz der Jay-Z der Berliner Republik ist, ist Ehefrau Charlotte dann die deutsche Beyoncé? Was zunächst abwegig klingt, wirkt bei genauerem Hinsehen plötzlich überraschend real. Hier exemplarisch die Top Sechs der größten Hits von Popstar Charlotte-Beyoncé Merz-Knowles:

1. "Beautiful Liar" - Ein Song über Merz' 360-Grad-Wende beim Thema Sondervermögen?

2. "Déjà Vu" - Ein Song über die Wahl zum CDU-Parteivorsitz, die Merz 2020 gegen Armin Laschet verlor, nachdem derselbe Versuch bereits 2018 gegen Annegret Kramp-Karrenbauer scheiterte?

3. "Irreplaceable" - Ein Song über Merz' Nibelungentreue zu Jens Spahn?

4. "Best Thing I Never Had" - Ein Song darüber, wie Merz keine Zahnarzttermine bekommt, weil ausreisepflichtige Asylbewerber "beim Arzt sitzen und sich die Zähne neu machen lassen"?

5. "7/11" - Ein Song darüber, auf wie viel Prozent die SPD bei der nächsten Bundestagswahl kommen wird?

6. "If I Were a Boy" - Ein Song über Merz' Vorhaben, das Selbstbestimmungsgesetz anzupassen?

Merz das besser mal aus

Ich stelle nur Fragen. Abseits dieser vermeintlichen Charterfolge blickt Merz bislang nicht auf ein flächendeckend mit Legendenerfolgen übersätes Kanzlerfeld. In aktuellen Umfragen liegt die Union nochmals unter dem ohnehin schwachen Ergebnis der Bundestagswahl. Harsche Kritik seitens der Opposition oder außerparlamentarischer Splitterparteien ("Hallo, FDP!") gehört traditionell zum Regierungshandwerk. Stetiges Rumoren aus den eigenen Reihen ist hingegen selten ein Hinweis, dass die Kanzler-Regentschaft rekordverdächtige Ewigkeiten überdauern wird.

Spontanes Durchtrennen der Schuldenbremsschläuche oder Festhalten an Personalien wie dem kommentarauffälligen Außenminister Johann Wadephul oder Masken-Al-Capone Jens Spahn hatten bereits für partiellen Unmut im Heimatlager gesorgt. Die Nominierung von Frauke Brosius-Gersdorf als Bundesverfassungsrichterin, wohl eine Hommage an den Koalitionsfrieden mit der SPD, sorgt nun vermehrt für unverhohlene Gefolgschaftsverweigerung aus der Unionsfraktion. Als Merz das kontroverse Castingergebnis auf Rückfrage von AfD-Klimaexpertin Beatrix von Storch (die zur Vermeidung von Extremwetterphänomenen zuweilen auch mal die Sonne verklagen möchte) unmissverständlich bestätigte, applaudierte die sonst zuverlässig beifallsindoktrinierte eigene Abgeordnetenarmada überraschend verhalten. Statt flächendeckendem Claqueur-Support, wie bei revisiblen Schlagabtäuschen im Plenarsaal üblich, gab es lediglich vereinzelten Zuspruch aus der Kanzlerfraktion.

Kein Bleiberecht für Migranten, dafür aber für Paragraf 218

Dass Brosius-Gersdorf für Friendly Fire innerhalb der Union und damit auch für eine Zerreißprobe für die Koalition sorgt, liegt primär an ihren unionseskalierenden Einlassungen zum hochbrisanten Thema Schwangerschaftsabbruch. Ihre Überzeugung, die verfassungsgesicherte bedingungslose Menschenwürde gelte "erst für Menschen ab Geburt" lässt die Auslegungsvariante zu, sie hielte Schwangerschaftsabbrüche für straffrei bis zur Geburt. Eine Carte Blanche für Rechtspopulisten.

Wenn man nämlich dem Narrativ der AfD folgt, bedeutet das unweigerlich, jede Frau könne noch bis zwei Minuten vor der Geburt ohne Konsequenzen ihre Schwangerschaft beenden. Eine Vorstellung, die in dem einen oder anderen Vollzeit-Verteidiger des ungeborenen Lebens den verzweifelten Gedanken keimen lässt, seine CDU wäre haarscharf davor, woke-infiziert in den Linksextremismus abzudriften. Folgerichtig trendet rund um die Parlamentsdebatte das Hashtag #BrosiusGersdorf. Ein Name, so zukunfstssexy wie Siemens-Nixdorf. Und selbst das klingt ja, als würde man Daten da noch auf Floppy-Disk abspeichern.

Kritiktrüffelschwein Merz hat zuletzt aber noch weitere Themenflanken geöffnet, die wie ein Gegenwindmagnet zuverlässig prominente Stimmen aus allen Richtungen anlocken. Selbst FridaysForFuture meldet sich aus der Bedeutungs-Rekonvaleszenz zurück, nachdem man beim spektakulärsten Vereinswechsel des bisherigen Transfersommers den Abgang von Starspielerin Greta Thunberg verkraften musste. Die linke Flügelflitzerin entschied sich überraschend für einen Wechsel zum mit Katar-Millionen handlungsfähig gepimpten FC Antisemitismus und hinterließ Ratlosigkeit bei nicht wenigen Fans und Aktivisten. Die waren bislang davon ausgegangen, Thunberg ginge es um Dämonisierung klimaschädlicher Politik und nicht um die Israels.

Rechnet man nun noch mit ein, dass auch Parteifreund Hendrik Wüst (Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen) ziemlich namenstreu (also wüst) mit der Merz-Strategie zum Themenbereich Stromsteuer umgeht, muss man kein Warren Buffett der Politik sein, um zu prognostizieren, dass der Fraktionshaussegen im Konrad-Adenauer-Haus schon mal wasserwaagenneutraler hing als derzeit. Aktuell wirkt Friedrich Merz themen- und lagerübergreifend so angeschlagen, es scheint nur eine Frage von Tagen, bis Jette Nietzard, die markant Kontroversen-süchtige Sprecherin der Grünen Jugend, mit einem "ABAB"-Hoodie im Bundestag aufkreuzt ("All Bundeskanzlers are Bastards"). Welche Farbe besagter Hoodie haben wird, verrate ich hier dann kommende Woche. Bis dann!

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