Die Gewerkschaft der Polizei macht Druck: In der aktuellen Intensität muss mit den Grenzkontrollen bald Schluss sein, sagt Andreas Roßkopf, bei der GdP Chef des Bezirks Bundespolizei. Auf den kommenden Montag sieht er mit Sorge, dann startet Polen mit Gegenmaßnahmen gegen die Zurückweisungen aus Deutschland. "Wir haben sehr große Bedenken, dass sich hier ein Ping-Pong-Spiel entwickelt, ein Hin und Her beim Zurückweisen von Menschen", sagt Roßkopf im Interview mit ntv.de. "Hier müssen zwingend und dringend sehr schnell politische Absprachen getroffen werden zwischen den beiden Ländern - schon damit unsere Kollegen Klarheit haben, wie bei den Zurückweisungen zu verfahren ist."
ntv.de: Mitte Mai haben Sie gesagt, dass die Bundespolizei die verstärkten Kontrollen maximal "ganz wenige Monate" aufrechterhalten kann. Jetzt dauern die Kontrollen bereits zwei Monate. Was ist heute Ihre Einschätzung, wie lange funktioniert das noch?
Andreas Roßkopf: Ich bleibe bei meiner Einschätzung - das funktioniert nicht mehr lange. Die personelle Situation in der Bundespolizei ist weiterhin mehr als angespannt. Von den Kolleginnen und Kollegen hören wir, dass die intensivierten Grenzkontrollen nur leistbar sind, weil auf Dinge wie Fortbildungen zu großen Teilen verzichtet wird. Die Überstundenstände summieren sich in sehr hohen Größenordnungen. Deshalb muss mit dieser Intensität der Kontrollen bald Schluss sein.
Die Bundespolizei ist unter anderem auch für den Schutz von Bahnhöfen und Flughäfen zuständig. Würden Sie sagen, dass die Sicherheit dort leidet, weil Bundespolizisten an die Grenze geschickt wurden?
Bei den Grenzkontrollen werden wir von der Bereitschaftspolizei und der sogenannten Mobilen Kontroll- und Überwachungseinheit (MKÜ) unterstützt. Das hat aber den Nachteil, dass die Bahnhöfe auf diese Unterstützung verzichten müssen. Die Bahnhofskollegen unterstützen sich nun selbst. Zum Beispiel: Bei einer Lage unterstützt die Bundespolizei vom Bahnhof Würzburg die Kollegen vom Bahnhof Nürnberg. Früher haben das die Bereitschaftspolizei und die MKÜ gemacht. Allein aus diesem Grunde ist die eh schon nicht ausreichende personelle Ausstattung der Bahnhöfe in eine weitere Verschärfung gekommen. Auch deshalb brauchen wir dringend eine Reduzierung der Intensität der Grenzkontrollen.
Haben Sie mittlerweile wenigstens die Zusicherung des Bundesinnenministeriums, dass Bundespolizisten nicht persönlich verantwortlich gemacht werden können, wenn sich herausstellen sollte, dass die von Innenminister Dobrindt angeordneten Zurückweisungen von Schutzsuchenden nicht rechtmäßig sind?
Dazu haben wir sehr intensive Gespräche geführt. Das Bundesinnenministerium argumentiert, dass keine rechtliche Belangbarkeit der einzelnen Kollegen stattfinden kann. Erstens, weil das Verwaltungsgericht Berlin eine Einzelfallentscheidung getroffen hat und somit nicht die Maßnahmen gänzlich als rechtswidrig angesehen werden.
Sie meinen den Fall der drei Somalier, die nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen wurden.
Und zweitens, weil die Kollegen nach einer klaren Weisungslage des Ministeriums und des Bundespolizeipräsidiums arbeiten. Das ist die Argumentation des Bundesinnenministeriums.
Teilen Sie die Argumente?
Wir sehen die Situation weiterhin kritisch, denn auch die Argumentation des Ministeriums entbindet die Kollegen nicht von der Verantwortung für ihre eigenen Maßnahmen. Aber wir vertrauen und hoffen darauf, dass die Aussagen des Innenministeriums greifen, falls es rechtliche Schritte gegen Kollegen geben sollte. Letztendlich bleiben wir aber skeptisch.
Was ist Ihre Einschätzung: Sind die Zurückweisungen rechtmäßig?
Darüber haben Juristen schon gestritten, bevor die neuen Maßnahmen angeordnet wurden. Wir als Gewerkschaft der Polizei können das nicht in Gänze bewerten. Wir wissen nur, dass sie juristisch stark umstritten sind. Unser Anliegen ist klar: Die dauerhafte Überforderung unserer Kolleginnen und Kollegen muss enden und wir brauchen Sicherheit für sie im rechtlichen Handeln.
Was macht diese unklare Situation mit den Bundespolizisten?
Es ist eine Belastung, ohne Zweifel. Denn unsere Kolleginnen und Kollegen wissen natürlich, dass sie für ihr eigenes Handeln grundsätzlich erst einmal selbst verantwortlich sind. Allerdings stellen wir auch fest, dass die auf unseren Druck hin erfolgte öffentliche Argumentation des Innenministeriums für etwas Ruhe und Sicherheit sorgt.
Eine Frage zur Lage an der deutsch-polnischen Grenze: Polen will ab Montag mit eigenen Grenzkontrollen auf die deutschen Grenzkontrollen reagieren. Ist diese Situation für die Bundespolizei besonders herausfordernd oder ganz normal?
Die polnische Grenze hat sich in den letzten Tagen zu einer ganz besonderen Situation herauskristallisiert. Die polnische Regierung hatte schon früh klar mitgeteilt, dass sie die Zurückweisungen von deutscher Seite nicht akzeptiert. Polen will Grenzkontrollen einführen, um Zurückweisungen aus Deutschland wiederum zurückzuweisen. Deswegen sehen wir mit großer Sorge auf den Montag. Wir haben sehr große Bedenken, dass sich hier ein Ping-Pong-Spiel entwickelt, ein Hin und Her beim Zurückweisen von Menschen. Das darf auf keinen Fall passieren. Hier müssen zwingend und dringend sehr schnell politische Absprachen getroffen werden zwischen den beiden Ländern - schon damit unsere Kollegen Klarheit haben, wie bei den Zurückweisungen zu verfahren ist.
In Polen soll es außerdem Gerüchte geben, dass Deutschland nicht nur vereinzelt Migranten an der Grenze zurückweist, sondern Asylbewerber an die Grenze bringe und nach Polen schicke, die irgendwo in Deutschland aufgegriffen worden seien.
Mir ist kein einziger solcher Fall bekannt. Und ich kann mir so etwas auch überhaupt nicht vorstellen. Denn das wäre dann tatsächlich eindeutig rechtswidrig. Und die Bundespolizei arbeitet nicht wissentlich rechtswidrig, das kann ich ganz eindeutig sagen.
Sie waren am vergangenen Mittwoch beim Bundesinnenminister. Hat er Ihnen mit Blick auf die Arbeitsbelastungen irgendwelche Zusagen gemacht?
Wir haben dem Minister dargestellt, dass aus unserer Sicht die hohe Belastung der Bundespolizei nicht mehr tragbar ist. Dem Minister war das völlig klar. Der Minister war dabei auch wirklich sachorientiert. Ihm war klar, dass die Belastung für die Bundespolizei extrem hoch ist. Wir haben auch noch mal dargestellt, dass es insbesondere auf den Bahnhöfen zu keinerlei Einschränkungen kommen darf. Denn auch da haben wir eine ständig steigende Kriminalitätslage. Hier fehlt uns eh schon Personal. Auch das war dem Minister völlig klar. Und der Minister hat uns mitgeteilt, dass die hohe Belastung der Bundespolizei nicht endlos sein wird, sondern dass es in absehbarer Zeit Maßnahmen und Regelungen geben wird, die eine Entlastung der Bundespolizei insbesondere an den Grenzen bewirken sollen. Konkretisiert hat er das in diesem Gespräch allerdings nicht.
Was für Maßnahmen könnten das aus Ihrer Sicht sein?
Das könnten Maßnahmen sein, die es uns erlauben, intelligenter zu arbeiten. In vielen Bereichen könnten wir von den stationären Kontrollen zu flexiblen mobilen Kontrollen übergehen. Das hätte auch den taktischen Vorteil, dass wir Kontrollstellen kurzfristig und damit noch viel unvorhersehbarer einrichten könnten, ohne dass es unser Gegenüber mitbekommt - also die Schleuserorganisationen. Durch eine Reduzierung der festen Kontrollstellen könnte man größere Bereiche mit weniger Personal und weniger Aufwand überwachen.
Eine zweite Maßnahme, die aber erst mittelfristig greifen würde, wäre die Einführung modernster Kontrolltechnik. Seit 2019 werden moderne Überwachungssysteme bei der Bundespolizei erprobt, sie sind auch für gut befunden worden. Bis heute wurden sie bei der Bundespolizei jedoch nicht eingeführt. Aus unserer Sicht, und das haben wir dem Minister auch deutlich mitgeteilt, ist zwingend erforderlich, dies unmittelbar umzusetzen.
Ist es eigentlich schwierig für die Bundespolizei, Nachwuchs anzuwerben?
Das ist im Moment ein ganz großes Problem für die Bundespolizei. Unter jungen Kollegen, die sich in oder unmittelbar nach der Ausbildung befinden, haben wir hohe Kündigungsraten - ein Prozentsatz von 30 Prozent. Auch dadurch, und weil wir in starker Konkurrenz zu den Landespolizeien stehen, konnten wir nicht so viele Kollegen einstellen, wie es vorgesehen war. Uns fehlen mehrere hundert Kolleginnen und Kollegen, die wir schon im letzten Jahr gebraucht hätten, aber nicht bekommen haben. Hier gibt es dringenden Verbesserungsbedarf: Die Bundespolizei muss ein attraktiver Arbeitgeber sein, sonst laufen wir Gefahr, dass wir schrumpfen, statt zu wachsen.
Mit Andreas Roßkopf sprach Hubertus Volmer
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