Der vom Bundeskabinett beschlossene Verzicht auf die Absenkung der Stromsteuer auch für Privatkunden sorgt für Ärger in der schwarz-roten Koalition – und zwar vor allem innerhalb der CDU. Dort wächst die Kritik an dem Beschluss, den Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit den Worten verteidigt hatte, die Regierung müsse „auch einen Blick auf den Bundeshaushalt haben“. CDU-Politiker fürchten nun, erneut wegen des Bruchs eines Wahlversprechens in die Kritik zu geraten. Zudem hatten sich Union und SPD auf eine Senkung der Stromsteuer verständigt – und zwar als Sofortmaßnahme, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Immer mehr CDU-Politiker fordern nun vom Kanzler und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD), dass das Versprechen gehalten wird. Es ist die größte Welle der Kritik an Merz aus seiner Partei seit dem Amtsantritt des Kanzlers.

Die Fraktionsvorsitzenden von CDU und CSU pochen auf eine umfassende Stromsteuer-Entlastung. „Die derzeit geplante Verstetigung der Stromsteuersenkung für das produzierende Gewerbe kann nur ein erster Schritt sein“, heißt in einem einstimmig gefassten Beschluss der Fraktionsvorsitzenden-Konferenz, der dem Nachrichtenmagazin POLITICO vorliegt. „Diesem müssen zeitnah und auf alle Fälle noch in dieser Legislaturperiode weitere Schritte folgen, sobald die finanziellen Spielräume hierfür bestehen.“

Das Papier beschlossen die Fraktionsvorsitzenden am Montagvormittag in Bad Dürkheim. An dem Treffen nahm auch Jens Spahn (CDU) teil, der Chef der Union im Bundestag. „Die Absenkung der Stromsteuer für alle ist eine direkte Erleichterung für Handwerk und Mittelstand sowie private Haushalte. Sie ist auch notwendig, um die Einnahmen aus dem CO-Preis unbürokratisch an alle zurückzugeben“, heißt es in dem Papier.

Manuel Hagel, Fraktionschef der CDU im Landtag von Baden-Württemberg, sagte POLITICO: Es sollte jetzt bei der Stromsteuer „ein klarer Lösungsweg vorgelegt werden – idealerweise mit einem konkreten Zeitplan hinterlegt“.

Jan Redmann, CDU-Fraktionschef im Landtag von Brandenburg sowie CDU-Landesvorsitzender, sagte WELT: „Die Entlastung aller Verbraucher bei der Stromsteuer ist eine Frage der Fairness und der Glaubwürdigkeit. Wir können nicht einfach nur bestimmte Gruppen entlasten, das haben wir im Wahlkampf anders angekündigt und ist im Koalitionsvertrag anders vereinbart worden. Das Argument, es sei nicht genug Geld für eine Senkung der Stromsteuer auch für Privatkunden da, greift nicht.“ Er sehe „absolut Bereiche, in denen Einsparungen möglich sind“.

Ihm sei etwa das „Engagement“ von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) beim Bürgergeld entschieden zu zurückhaltend. „Auf die, die arbeiten könnten, es aber nicht tun, wird weiterhin zu wenig Druck ausgeübt. Wenn die Arbeitsministerin erklärt, sie sehe da keine Einsparungsmöglichkeiten, lässt das eindeutig auf zu wenig Ambition schließen.“

CDU-Politiker Wolfgang Bosbach sagte: „Es geht keineswegs nur um die Frage, ob die Senkung des Strompreises nur für die Industrie oder auch für private Haushalte gelten soll. Im Kern geht's um die Frage, wie glaubhaft und verlässlich politische Zusagen sind. Das Argument ,Ui, das wird aber teuer!‘ überzeugt mich nicht. Die Kosten einer flächendeckenden Reduzierung müssen schon vorher bekannt gewesen sein.“

Sepp Müller (CDU), stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Unionsfraktion und zuständig für Wirtschaft, Energie und Mittelstand, dämpfte hingegen Erwartungen auch aus der Union zu einer schnellen Entlastung: „Privatkunden und Mittelstand müssen entlastet werden. Das kostet pro Jahr allerdings rund sechs Milliarden Euro. Wir prüfen derzeit mit Hochdruck, wie wir dieses Geld in den Haushalt einstellen können, da geht Genauigkeit vor Schnelligkeit“, sagte Müller WELT.

Zudem sagte Müller: „Wer den Hinweis anführt, man habe vorab gewusst, dass dieses Versprechen teuer wird, vergisst, dass der Bund gerade die größte Steuerentlastung der letzten 20 Jahre auf den Weg gebracht hat und dabei zusätzlich den Ländern und Kommunen entgegenkommt. Außerdem wird gerne übersehen, dass wir Privatkunden und Mittelstand bei den Energiepreisen bereits über die Senkung der Gasspeicherumlage und der Netzentgelte entlasten. Meiner Meinung kommt die Senkung der Gasspeicherumlage für energieintensive Unternehmer wie die der Papier-, Glas- oder Grundstoff-Industrie in der Chemie zum 1. Januar 2026 sogar zu spät, das müsste vorgezogen werden.“

SPD-Chefin Bas: „Mich irritieren die Angriffe“

Bereits am Sonntagabend hatte sich Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) offen für Gespräche über die im Koalitionsvertrag vereinbarte Senkung der Stromsteuer für alle geäußert. „Man muss eben schauen, wo kommt das Geld letztlich her“, sagte er in der ARD. Nötig sei dann eine „Umschichtung“ im Bundeshaushalt. „Wenn es dafür geeignete Möglichkeiten gibt und das in der Koalition insgesamt konsensfähig ist, dann ist es ein Weg, über den man sprechen kann.“

Die Arbeitsministerin und neue SPD-Vorsitzende Bas zeigte sich über das Vorgehen des Koalitionspartners Union in der Debatte um die Senkung der Stromsteuer irritiert. Dass die Senkung zunächst nur für Industrie und Landwirtschaft gelten solle und nicht für alle Bürger, sei gemeinsam in der Koalition beschlossen worden, sagte Bas am Montag im Deutschlandfunk. „Deshalb irritieren mich im Moment die Angriffe vonseiten der Union.“

„Wir haben gesagt: Wir wollen erst die Wirtschaft entlasten, wir wollen Arbeitsplätze sichern“, sagte Bas. In der Koalition sei es „so besprochen“ worden, dass die Entlastungen für alle erst später umgesetzt werden sollten. „Das stand alles unter Finanzierungsvorbehalt.“ Die Bundesarbeitsministerin kündigte an, dass das Thema Stromsteuer-Senkung beim Koalitionsausschuss am Mittwoch mit der Union besprochen werden solle.

Rasmus Buchsteiner ist Chief Correspondent Berlin POLITICO.

Nikolaus Doll berichtet für WELT seit Jahren über die Unionsparteien.

Das „Berlin Playbook“ von POLITICO Deutschland finden Sie hier.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt bei seinem ursprünglichen Autor. Der Zweck dieses Artikels besteht in der erneuten Veröffentlichung zu ausschließlich Informationszwecken und stellt keine Anlageberatung dar. Sollten dennoch Verstöße vorliegen, nehmen Sie bitte umgehend Kontakt mit uns auf. Korrektur Oder wir werden Maßnahmen zur Löschung ergreifen. Danke