Geht es um den Krieg im Gazastreifen, wird oft auch über die Zahl der Toten diskutiert. Unabhängige Angaben gibt es nicht. Eine Gruppe Forscher hat nun eine Datengrundlage geschaffen - und geht von Zahlen aus, die deutlich höher liegen als die bisher bekannten Angaben.

Eine Erhebung internationaler Wissenschaftler hat ergeben, dass mehr Menschen durch Israels Krieg im Gazastreifen gestorben sein dürften, als bisher angenommen. Das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium ging für den Zeitraum vom 7. Oktober 2023 bis zum 5. Januar 2025 von 45.805 Toten aus. Die Wissenschaftler rechnen für denselben Zeitraum mit etwa 75.200 Kriegstoten. Die tatsächliche Zahl dürfte den Forschern zufolge also etwa 60 Prozent höher liegen als vom Gesundheitsministerium festgestellt.

Die Frage nach der Kredibilität der vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Todeszahlen bestimmt die Debatte um das Leid in Gaza seit langem. Israelische Politiker werfen der Hamas immer wieder vor, die Todeszahlen künstlich aufzublasen. Unabhängige Schätzungen sind schwierig, auch weil Israels Armee keine internationalen Berichterstatter in den Gazastreifen lässt.

Das Team um Michael Spagat, Professor am Royal Holloway College in London, hat für die Datengrundlage rund 2000 Haushalte im Gazastreifen befragt. Insgesamt habe man den Status von rund 10.000 Menschen überprüft - einschließlich der Frage, ob sie lebendig oder tot sind. Unterstützt wurden die Wissenschaftler dabei von palästinensischen Kollegen des Palestinian Center for Policy and Survey Research (PCPSR), einer unabhängigen und gemeinnützigen Forschungsorganisation mit Sitz im Westjordanland, die unter anderem von der Europäischen Union gefördert wird.

Bei der Veröffentlichung handelt es sich allerdings um einen sogenannten Preprint. Die Erhebung ist also weder von anderen Wissenschaftler gegengeprüft, noch in einer Fachzeitschrift erschienen. Die Ergebnisse decken sich jedoch in etwa mit einer Studie, die an der London School of Hygiene & Tropical Medicine erarbeitet und im Januar veröffentlicht wurde. Bei dieser Studie gingen die Forscher von einer Totenzahl aus, die rund 40 Prozent über der vom Gesundheitsministerium publizierten Liste liegt.

Studie: Die meisten Todesopfer sind Zivilisten

Der Studie zufolge dürften mehr als die Hälfte (56,2 Prozent) der Toten Frauen, Kinder und Jugendliche und Menschen über 65 sein. Männer zwischen 18 und 64 machen also nur etwas weniger als die Hälfte der Getöteten aus. Israels Armee spricht im Regelfall von rund 20.000 getöteten Hamas-Mitgliedern, ohne Belege dafür anzuführen.

Laut der israelischen Zeitung "Haaretz" geht aus den Daten der Erhebung hervor, dass der Anteil der Frauen und Kinder, die im Gazastreifen eines gewaltsamen Todes sterben, mehr als doppelt so hoch ist wie in fast allen anderen Konflikten der jüngeren Vergangenheit. Als Beispiele führt die Zeitung die Bürgerkriege im Kosovo (20 Prozent), in Nordäthiopien (9 Prozent), in Syrien (20 Prozent), in Kolumbien (21 Prozent), im Irak (17 Prozent) und im Sudan (23 Prozent) an.

Neben den gewaltsam Getöteten errechnet die Studie auch die Zahl der "indirekten Toten". Das umfasst Menschen, die etwa durch Mangelernährung, einstürzende Gebäude oder den Mangel an medizinischer Behandlung gestorben sind. Hier geht das Team von einer Übersterblichkeit von etwa 8540 Menschen aus.

Der "Süddeutschen Zeitung", sagte Spagat, er glaube, diese Zahl dürfte inzwischen noch einmal stark angestiegen sein. Der Mangel an Lebensmitteln und Medizin erreichte 2025 ein neues Hoch. "Wenn das alles einmal vorbei ist", sagte Spagat der Zeitung, "dann braucht es ein riesiges Projekt, sicher ein Jahrzehnt lang, um wirklich zu rekonstruieren, was in Gaza alles geschehen ist."

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