Markus Lanz diskutiert mit seinen Gästen über den Nato-Gipfel und die Kriegstüchtigkeit Europas. Die richtigen Schitte sind getan, doch ob die Umsetzung des Fünf-Prozent-Ziels gelingt, bezweifelt Militärhistoriker Neitzel. Dann wendet sich die Diskussion plötzlich an den Moderator selbst, und Lanz macht ein unerwartetes Geständnis.
Der Nato-Gipfel in Den Haag ist zu Ende. Nun ist klar: Die europäischen Nato-Mitglieder zahlen fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Verteidigungsbündnis. US-Präsident Donald Trump ist zufrieden und auch sonst ist alles okay. Trump ist nicht ausgerastet und hat den Gipfel nicht vorzeitig verlassen. Das liegt nicht zuletzt an Nato-Generalsekretär Mark Rutte, der dem US-Präsidenten schon wochenlang um den Bart geht.
"Was Rutte gemacht hat, war der Tiefpunkt aller Nato-Gipfel", fasst Militärhistoriker Sönke Neitzel bei Markus Lanz das Treffen in Den Haag zusammen. "Aber die Europäer zahlen damit auch einen Preis. Denn alle haben auf sie eingeredet wie auf einen lahmen Gaul, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Jetzt haben wir fünf Prozent. Das hat Trump erreicht. Jetzt müssen wir sehen, wie es umgesetzt wird." Der Nato-Gipfel selbst sei am Ende ein Erfolg gewesen. "Trump bleibt einigermaßen in Europa committed, und das ist angesichts der Person von Trump, angesichts unserer Befürchtungen, schon mal ein Erfolg."
Die höheren Beiträge der europäischen Nato-Staaten seien ein guter Schritt, sagt Neitzel. "Ich halte das für notwendig. Jetzt ist die Frage: Wie gibt man es aus?" Neitzel habe sich schon lange für eine Reform der Bundeswehr ausgesprochen. "Entscheidend muss sein, dass wir Fähigkeiten aufbauen, um abschrecken zu können. Leider ist die Bundeswehr nach wie vor die vollendete Karikatur der deutschen Bürokratie. Und das geht man nicht an. Das treibt mich in den Wahnsinn. Und die Soldaten auch." Die Europäer zahlten jetzt den Preis dafür, dass sie in den letzten dreißig Jahren nur herumgequatscht hätten, so Neitzel. "Seit 2014 haben wir die Forderung, dass die Europäer mehr tun müssten. Ich kann das nicht mehr hören. Und auch jetzt ist die Frage, ob die Europäer zu Potte kommen, ob wir den nächsten Schritt der Integration schaffen. Das wären zum Beispiel Rüstungskooperationen. Da müssten wir aber alle Souveränität aufgeben. Schaffen wir das, oder ist es nicht so, dass die Europäer sind, wer wir sind? Und zwar egoistisch?" Neitzel fürchtet: "Ich glaube nicht, dass wir in Berlin einen Plan haben, wie wir die europäische Integration in diesem Bereich vorantreiben. Wenn wir aber keinen Plan haben, können wir das auch nicht umsetzen. Und das ist das große Problem: Dass wir wahrscheinlich weiter wursteln und enorm viel Geld verbrennen."
Europa im Krieg
Wenn Neitzel recht hätte, könnte es mit der europäischen Verteidigung schwierig werden. Vielleicht entsteht deshalb eine Pause von zwei Sekunden, als Moderator Markus Lanz die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge fragt: "Haben Sie Angst vor einem Krieg?" "Es wäre aus meiner Sicht sehr unvernünftig, diese Sorge nicht zu haben", antwortet die Politikerin. "Ich finde, Grundsatz vernünftiger Politik ist, diese Möglichkeit auch mit zu betrachten. Ich sage nicht, dass es passiert. Aber das, was wir tun müssen ist, dass es nicht passiert. Aber wenn man den russischen Präsidenten Putin ernst nimmt, mit dem, was er sagt, was er angekündigt hat, dann sagt er uns, dass er nicht vorhat, bei der Ukraine Schluss zu machen. Andernfalls würde man niemals erklären, warum ich als Grüne hier sitze und sage bei diesen Ausgaben, auch für konventionelle Waffen: Wir verstehen das, wir halten es aktuell für notwendig. Auch wenn ich es als einen Fehler erachte, dass andere Dimensionen von Sicherheit keine gleichberechtigte Rolle spielen."
"Ich glaube, dass wir uns alle die Frage stellen müssen: Sind wir bereit dafür, das Land zu verteidigen, wenn es zu einem Konflikt kommen würde?", sagt Neitzel. "Wie beantworten Sie diese Frage für sich?", fragt Markus Lanz. Neitzel: "Wenn es sein muss, dann gehe ich. Wenn mein Land angegriffen wird, wenn wir in einem Krieg wären, was ich natürlich verhindern will, und wenn die Bundeswehr eine Aufgabe für mich hat, gehe ich. Das ist keine Frage. Der Älteste, den die Bundeswehr für den Ukraineeinsatz ausgebildet hat, war 71 Jahre. Und da können wir nicht sagen als Menschen, die in einer relativ komfortablen Position in der Gesellschaft sind, dass dann die anderen gehen sollen."
"Ich habe ja gedient"
"Und Sie?", fragt Neitzel - und schaut Markus Lanz an. "Ich habe ja gedient", antwortet Lanz nach kurzem Nachdenken. "Und für mich war immer klar: Mit einer Waffe in der Hand auf einen Menschen zu schießen, war für mich absolut undenkbar. Für mich war immer klar, das würde ich niemals tun. Seit mehreren Besuchen in der Ukraine denke ich darüber anders. Weil ich die Entschlossenheit dieser Menschen gesehen habe, weil ich auch verstanden habe, was für ein starkes Motiv die haben. Und es ist beeindruckend zu sehen, wie die Ukrainer immer noch stehen, weil sie wissen, wofür sie das tun."
Dann fragt Lanz den Militärhistoriker, wie so ein Krieg eigentlich aussehen könne. Neitzel erklärt: Ein nukleares Armageddon werde es nicht geben. "Russland kann keinen langen Krieg gegen die Nato führen, so wie man das im Warschauer Pakt vielleicht geplant hat." Es werde keine Schlachten geben, Raketen würden nicht auf die großen Städte regnen. Die Nato gehe davon aus, dass Russland mit einer Truppe bis nach Spitzbergen marschieren oder Züge entgleisen lassen könnte. Russland würde es darum gehen, die Nato zu testen. "Die Nato bereitet sich auf solche Fälle vor, sie macht Pläne. Ich kenne viele in der Szene, die sehr besorgt sind. Aber ich kenne niemanden, der davon ausgeht, dass wir morgens von russischen Panzern geweckt werden."
Er sei jetzt, nach dem Nato-Gipfel, etwas ruhiger, sagt Neitzel. "Wir haben die 3,5 Prozent, das war eine Ansage." Auch die von Russland geplanten Manöver im Herbst würden vermutlich deutlich kleiner ausfallen als erwartet. Die Lage sei ernst, sagt auch Katharina Dröge. "Aber wir dürfen keine Angst haben."
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