Im Wahlkampf sagt CDU-Chef Merz, er wolle den Bundeshaushalt vor allem durch Sparen sanieren. Nach der Wahl lockert er schnell noch mit dem alten, abgewählten Bundestag die Schuldenbremse. Laut einem neuen Buch überlegte er das schon vor dem Wahltermin.

CDU-Chef Friedrich Merz hat sich vor der Bundestagswahl schon detaillierter auf eine Reform der Schuldenbremse vorbereitet als bislang bekannt - das schreibt der "Welt"-Journalist Robin Alexander in seinem neuen Buch "Letzte Chance", das an diesem Mittwoch erscheint. Demnach gab Merz eine Woche vor der Wahl ein Gutachten in Auftrag. Das sollte klären, ob und wie der Bundestag nach der Wahl noch mit den alten Mehrheiten entscheiden konnte. Erstellt hat es demnach der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio. Er sei zu dem Schluss gekommen, der alte Bundestag sei bis zum 25. März handlungsfähig.

Diese 180-Grad-Wende in Sachen Schuldenbremse war nach dem Wahlsieg von CDU und CSU das große Thema. Wie konnte es dazu kommen? Vor der Wahl hatte Kanzlerkandidat Friedrich Merz noch landauf, landab gesagt, er wolle zuallererst im Haushalt sparen und vielleicht irgendwann einmal unter strengen Bedingungen an die Schuldenbremse herangehen. Die Botschaft der Union war klar: Wir wollen sparen und die anderen, also vor allem SPD und Grüne, wollen das Geld hemmungslos ausgeben.

Nach der Wahl klang das plötzlich ganz anders. In atemberaubendem Tempo schwenkte Merz um. Er lockerte mit dem alten Bundestag die Schuldenbremse für Verteidigung und beschloss 500 Milliarden Euro neue Schulden für Infrastruktur - ausgerechnet mit den Grünen, die er im Wahlkampf gemeinsam mit CSU-Chef Markus Söder für solche Ideen noch verhöhnt hatte. "Die Menschen haben Merz gewählt und Saskia Esken bekommen", ätzte FDP-Chef Christian Lindner damals im Bundestag.

"Stern": Überlegungen reichen bis Herbst zurück

Diese Zeit zeichnet Robin Alexander zu Beginn seines Buches nach. Er beschreibt, wie Merz sich schon vor der Wahl auf eine Reform der Schuldenbremse einstellte. Das allein ist allerdings noch nicht neu. Auch der "Stern" hatte im März den Sinneswandel von Merz rekonstruiert. Darin hieß es, "die Schulden-Idee" sei schon seit dem Spätherbst "im kleinen Kreis" kursiert. Merz habe gelesen, wie teuer die neuen Verteidigungspläne der Nato werden würden und sich deswegen mit dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, getroffen.

Außerdem habe er eine Gruppe von Mitarbeitern Szenarien durchdenken lassen. Dabei ging es laut "Stern" um Fragen, wie man mit dem alten Bundestag für finanzielle Sicherheit sorgen könnte oder ein neues Sondervermögen für Verteidigung in Höhe von 200 oder 300 Milliarden Euro auflegen könnte. Das passierte demnach wohlgemerkt alles deutlich vor der Bundestagswahl. Merz verteidigte sich später, er habe im November auf dem Wirtschaftsgipfel der "Süddeutschen Zeitung" eine Reform der Schuldenbremse nicht ausgeschlossen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann hatte dies aber emphatisch dementiert.

Bislang unbekannt war das bei Verfassungsrichter Di Fabio bestellte Gutachten. Anlass dafür sei die Rede von US-Vizepräsident JD Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz gewesen. In für viele schockierender Art und Weise hatte er den Europäern insgesamt eine Einschränkung der Meinungsfreiheit vorgeworfen. In einem Interview hatte er zuvor seine Unterstützung für die AfD kundgetan.

Doch die Überlegungen zur Schuldenbremse reichen viel weiter zurück. Bis in den November 2023. Als das Bundesverfassungsgericht die Haushaltsführung der Ampel kippte, hatte Ex-Finanzminister Wolfgang Schäuble der CDU-Führung nahegelegt, über eine Reform der Schuldenbremse nachzudenken. Denn auch die Union würde unter diesen Bedingungen regieren müssen, soll er damals gesagt haben. SPD, Grüne und FDP würden die nächste Wahl ohnehin verlieren, soll sich Schäuble sicher gewesen sein. Ob es da nicht besser wäre, man reformiere die strenge Schuldenregel? Sie beschränkte die Verschuldung des Staates auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, bei schlechter Konjunktur etwas mehr.

"Dann braucht man 'ne zusätzliche Finanzierungsquelle"

Auch die Bundesländer hätten eine Reform gefordert, schreibt Alexander. Merz habe sich zweimal mit den CDU-Ministerpräsidenten zu diesem Thema getroffen - am 17. Mai und am 14. Juni 2024. Ihnen fehlte an allen Ecken und Enden das Geld, den Städten und Gemeinden ohnehin. Sie hofften nach Darstellung Alexanders auf Mittel vom Bund und eigene Möglichkeiten zur Verschuldung. Denn die hatten sie bislang nicht. Doch als Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner über das zweite Treffen in einem Zeitungsinterview sprach, habe Merz das Thema für erledigt erklärt. Er wolle sich von den Ministerpräsidenten nicht vorführen lassen, schrieb er laut Alexander in einer SMS an mehrere Landesväter.

Alexander schreibt auch, Merz habe sich im Dezember noch einmal mit den Ministerpräsidenten der Länder getroffen - also zwei Monate vor der Bundestagswahl. Denen habe er erklärt, wie er die geplanten Steuersenkungen finanzieren wollte und eingeräumt: "Ja, man braucht 'ne zusätzliche Finanzierungsquelle." Meinte er damit ein Sondervermögen? Eine gelockerte Schuldenbremse?

Auch wenn, wie "Stern" und Alexander beide schreiben, der Selenskyj-Moment im Weißen Haus, als Trump den Präsidenten der Ukraine demütigte und rausschmiss, eine entscheidende Rolle für Merz spielte, reichen entsprechende Überlegungen also sehr viel weiter zurück. Doch neben der Vance-Rede in München kurz vor der Wahl gab es laut Alexander noch einen weiteren Grund für Merz, mehr Schulden zu machen. Am 5. März hielt Trump eine Rede vor dem Kongress. Laut Alexander hatte Merz aus den USA erfahren, der Präsident wolle den Austritt der USA aus der Nato erklären. Was dann bekanntlich nicht passierte. Merz gehe bis heute davon aus, Trump habe in letzter Minute einen Rückzieher gemacht. Aber für den Fall der Fälle habe er vorbereitet sein wollen.

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