Zwei Wochen Bedenkzeit schnurren bei US-Präsident Trump auch mal auf 24 Stunden hinunter. Der US-Schlag gegen das iranische Atomprogramm habe die Zielsetzung erreicht, schätzt Oberst Wasinger, auch wenn die genaue Bilanz wohl nur der Mossad liefern kann. Klar ist aber auch: Das Risiko der Attacke für die Region ist groß.

Herr Oberst Wasinger , "komplett zerstört", lautete Donald Trumps Vollzugsmeldung am Sonntag nach dem Angriff auf iranische Atomanlagen. Können Sie das aus militärischer Perspektive bestätigen?

Oberst Matthias Wasinger: Mit Satellitenbildern und Luftaufklärung lässt sich nur der Schaden an der Oberfläche beurteilen. Inwieweit die Zerstörung unterirdisch funktioniert hat, sieht man nicht. Für diese Beurteilung sind Personen vor Ort notwendig, das ist also eine geheimdienstliche Aufgabe, die sich im Schwergewicht auf Kontakte des israelischen Mossad stützen wird. Bis dato haben der Mossad und die vielen weiteren israelischen Geheimdienste hier ausgezeichnete Arbeit geleistet, bei ihnen wird die Bilanzierung des Angriffs hauptsächlich liegen.

Die Darstellung der Amerikaner selbst wurde im Laufe des Sonntags immer weicher.

Zuletzt hieß es, der Angriff sei ein großer taktischer Erfolg gewesen. Das kann auch heißen: Wir haben die Waffe erstmals im Krieg eingesetzt. Wäre eine vollständige Zerstörung der Anlagen erreicht worden, dann wäre das ein strategischer Erfolg. Davon war noch nicht die Rede. Wir werden die Bilanzierung, das Battle Damage Assessment , durch die Nachrichtendienste abwarten müssen. Was wir selbst einschätzen können, sind die technischen Parameter des eingesetzten Waffensystems. Die GPU 57 besteht an der Spitze aus gehärtetem Stahl und penetriert das Ziel zunächst mit ihrem Eigengewicht. Sie gräbt sich also erstmal ein und zündet erst dann, wenn sie tief genug vorgedrungen ist. So kommt sie 60 Meter tief ins Erdreich. Gegen Stahlbeton schafft sie 18 Meter. Rein von den technischen Spezifika her kann man davon ausgehen, dass eine Zerstörung genauso wie geplant erreicht wurde.

Nach US-Aussagen kamen in Fordo und Natans insgesamt 14 dieser Bomben zum Einsatz. Könnten sich diese, nacheinander abgefeuert, bis an ein Ziel in 100 Metern Tiefe heranarbeiten? Eine durch den Krater der vorherigen?

Also grob ja, aber nicht so, wie man sich das vorstellt. Die Vorstellung ist: Man wirft mehrere Bomben nacheinander ab und die drillen sich quasi immer tiefer ins Erdreich hinein. Ganz so funktioniert es nicht, weil jede Bombe, die eindringt und detoniert, das gesamte Erdreich wieder aufrührt. Sie schüttet also den Kanal, den sie selbst gerade erst geschaffen hat, per Detonation erstmal wieder zu. Die folgende Bombe trifft wieder auf Erdreich - zwar gelockert, aber es ist wieder Erdreich und kein Kanal. Letztlich kommt man durch sequentielles Abwerfen mehrerer Bomben schon immer tiefer ins Erdreich hinein. Aber nicht so wie mit einem Bohrer, sondern eher wie mit Vorschlaghammer und Spitzhacke. Der Hammer schlägt auf das Erdreich, die Spitzhacke lockert dann wieder auf. So funktioniert es.

Donald Trump hatte am Donnerstag angekündigt, innerhalb der folgenden zwei Wochen über einen möglichen Angriff zu entscheiden. Hatte das irgendeinen Vorteil?

Die Entscheidung fiel in Wirklichkeit sehr schnell. Schon am Samstag konnte man die Bewegung der B-2-Tarnkappenbomber tracken. Es war also klar, dass hier etwas passiert. Es war nur nicht klar, dass es so schnell passiert. Auch der Iran wird das Bedrohungsszenario für die Atomanlagen wahrgenommen haben. Er hat einen weniger technisierten Geheimdienst, der sich eher auf zwischenmenschliche Aufklärung stützt. Damit gehört er aber zu den fähigsten Diensten in der Region - auch wenn er von Israel wiederholt überrascht wurde. Die Iraner werden also das Bedrohungsszenario gekannt und bauliche Vorkehrungen getroffen haben, die eine Zerstörung der Anlagen erschweren. Nach meiner Beurteilung hat nichts vor dem Angriff den Iran gezwungen, Nuklearmaterial wegzuschaffen, um eine Freisetzung von Radioaktivität zu verhindern. Aus Eigenantrieb würden die Mullahs das auch nicht machen.

Die US-Bomber haben den Nahen Osten längst wieder verlassen, zwischen Israel und dem Iran gehen die Angriffe weiter. Spricht etwas für einen möglichen Machtwechsel in Teheran, wie Donald Trump ihn nun wieder ins Spiel bringt?

Es gibt keine leistungsfähige Opposition, die in Teheran die Macht übernehmen könnte. Das Alternativszenario zum Mullah-Regime wäre darum letztlich ein Bürgerkrieg, der sich ausweiten könnte. Einen Zusammenbruch des Regimes sehe ich aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Das iranische Regime war vor der US-Operation eine Art harter Schale mit einem hohlen Kern. Repressiv und mit wenig Rückhalt in der eigenen Bevölkerung. Die Angriffe gegen den Iran, die ja auch auf zivile Ziele erfolgten, wurden von den Iranern vermutlich als Angriff gegen die Bevölkerung verstanden. Zumal die Bevölkerung recht positiv hinter dem zivilen Nuklearprogramm stand. Daher wird der jetzige Krieg eher zu einer rally around the flag führen, also einem Zusammenstehen und Stützen der iranischen Nation.

Welche Chance räumen Sie folgendem Szenario ein: Die Mullahs halten sich an der Macht, gehen aus diesem Krieg aber so geschwächt heraus, dass der Iran für die nächsten 15 Jahre keine wirkliche Bedrohung mehr darstellt - für Israel nicht und für den Rest der Welt auch nicht?

So kurz nach dem Angriff ist das schwer abzuschätzen. Aktuell sehe ich aber eher eine Trotzreaktion, denn der Iran hat seine Angriffe auf israelische Ziele ja auch am Sonntag fortgesetzt. Er hat mit 40 Raketen geantwortet, und dabei die ballistische Rakete Khorramshahr-4 eingesetzt, ein neues Waffensystem, das mit 2000 Kilometern Reichweite nach Israel hineinkommt und mehrere Sprengkörper ausstößt . Zudem weiß das aktuelle Regime jetzt: Ohne die Atombombe ist es nicht überlebensfähig. Die Mullahs werden daraus dieselben Lehren ableiten, wie sie etwa Nordkorea aus dem Machtwechsel in Libyen oder dem Fall Saddam Husseins gezogen hat: Nichts anderes als die Atombombe wird unser Überleben garantieren.

Dennoch hat das Regime nun auch die Erfahrung gemacht: Der Westen drängt nicht zu Verhandlungen, weil er muss, sondern weil er will. Wenn es keine Einigung gibt, droht eine militärische Alternative, der man nicht gewachsen ist.

Die Erwartung, dass der Iran jetzt ad hoc in die Knie geht und bereit ist, jedweden Vertrag zur Begrenzung nuklearer Aktivitäten zu unterschreiben sowie Inspektoren zur Kontrolle ins Land zu lassen, erscheint mir trotzdem etwas naiv. Denn das käme einer Selbstaufgabe des Machtapparats gleich. Die Mullahs wollen aber im Sattel bleiben, und das gelingt ihnen am ehesten, indem das Regime seine Widerstandsfähigkeit zeigt, das Volk hinter sich sammelt und namhafte Verbündete an seine Seite ruft.

Sie denken an den Kreml? Der iranische Außenminister hat sich ja am Sonntag gleich auf den Weg gemacht.

Auch, aber nicht nur. Der Iran ist nicht so isoliert, wie wir das in Europa wahrnehmen. Die Türkei beispielsweise hat die israelischen Angriffe von Beginn an verurteilt und wird sich vermutlich auch jetzt äußern. Zugleich ist die Türkei ein wichtiges Nato-Mitglied. Damit haben wir also eine Auswirkung direkt hinein in das wichtigste Militärbündnis des Westens. Ein anderer wichtiger Akteur könnte China werden. Die Ölpreise sind direkt nach der US-Operation um bis zu zehn Prozent gestiegen, in den vergangenen zwölf Stunden um weitere zwei Prozent. Für China als Ölimporteuer ist das ein Albtraum. Wenn sich der Konflikt länger hinzieht, wird China vermutlich auf Seiten des Irans zumindest diplomatisch einschreiten, wenn nicht sogar mit Waffenlieferungen. Das Problem wird sehr viel tiefschichtiger werden, je länger es andauert.

Mit Matthias Wasinger sprach Frauke Niemeyer

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