Als Ziel im Krieg gegen den Iran gibt Israel die Zerstörung des Atomprogramms an. Ein Umsturz des Mullah-Regimes sei eine Angelegenheit des iranischen Volkes. Dennoch droht der israelische Ministerpräsident Netanjahu, Irans Oberhaupt Chamenei anzugreifen. Wäre seine Tötung ein Kriegsverbrechen?
Israels Verteidigungsminister Israel Katz hat Irans politischem und religiösem Oberhaupt Ajatollah Ali Chamenei gedroht: "Ein Diktator wie Chamenei, der an der Spitze eines Staates wie Iran steht und sich die Zerstörung des Staates Israel auf die Fahne geschrieben hat, dieses schreckliche Ziel der Zerstörung Israels, kann nicht weiter existieren." Chamenei sei der "moderne Hitler", sagte Katz. Wenn es damals schon die israelische Armee gegeben hätte, dann hätte man während des Zweiten Weltkriegs auch Hitler in seinem Bunker getötet.
Zuvor hatte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu am Montag im US-Fernsehsender ABC News erklärt, dass die Tötung von Chamenei den Konflikt zwischen Israel und dem Iran "beenden" würde. Wäre nun ein Anschlag Israels auf Chamenei ein Fall für internationale Gerichte? Ein Experte für Friedenssicherungs- und Konfliktrecht bewertet die Sachlage und gibt Antworten auf Fragen.
Darf Israel Chamenei mit Blick auf die Grundsätze des Völkerrechts töten?
Es gibt verschiedene Ebenen der Bewertung. "Rein nach den Regeln des humanitären Völkerrechts, also für zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte, würde die Antwort ja lauten", sagt Alexander Wentker, Forscher am Heidelberger Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Nach dem humanitären Völkerrecht sei es erlaubt, militärische Ziele anzugreifen. Da Chamenei nach Angaben des Auswärtigen Amts Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, sei auch er ein militärisches Ziel. Also dürfe er jederzeit im bewaffneten Konflikt angegriffen werden.
Welche weitere Ebene kommt für eine Bewertung ins Spiel?
"Das ist das Gewaltverbot in der UN-Charta und im Völkergewohnheitsrecht", sagt Wentker. Hier laute die Frage: Darf Israel gegenüber dem Iran überhaupt Gewalt anwenden? Wenn keine Autorisierung des UN-Sicherheitsrates vorliege, dürfe Gewalt gegen andere Staaten nur in Selbstverteidigung angewendet werden, erläutert der Experte. Das setze einen bewaffneten Angriff voraus. Hier fehlten aber Belege, dass der Iran Israel in der vergangenen Woche unmittelbar habe angreifen wollen.
Wann ist die Tötung von Staatsoberhäuptern erlaubt und kann die Tötung eines Staatsoberhaupts wirklich legitim sein?
Das lässt sich am Beispiel Russlands und der Ukraine erklären. Voraussetzung ist, dass sich zwei Staaten in einem bewaffneten Konflikt befinden und das Staatsoberhaupt auch den Oberbefehl über die Armee hat. "Die Ukraine dürfte Russlands Präsidenten Wladimir Putin nach dem humanitären Völkerrecht legitim töten", sagt Wentker. Die Ukraine könne sich als angegriffener Staat dabei auf ihr Selbstverteidigungsrecht berufen.
Gibt es im Völkerrecht nicht auch das Recht auf Leben?
"Ja, es gibt auch im Krieg ein Menschenrecht auf Leben", bestätigt Experte Wentker, der auch an der Universität Potsdam forscht. Die hier einschlägige Vorschrift schütze vor willkürlichen Tötungen. Nach dem Internationalen Gerichtshof sei eine Tötung jedoch dann nicht willkürlich, wenn sie im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht steht. "Das Recht auf Leben wäre hier also nicht verletzt", resümiert der Jurist.
Zivilisten dürfen laut Völkerrecht keine Ziele in bewaffneten Konflikten sein. Was ist, wenn im Falle eines Anschlags Israels auf Chamenei auch viele Zivilisten sterben?
Dann gelte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, erläutert Wentker. Das müsse im Einzelfall abgewogen werden. Es gebe keine festen Zahlen oder klare Linien, wie viele Tote akzeptabel wären. Außerdem müsse Israel nach dem humanitären Völkerrecht vorbeugende Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergreifen.
Droht Israel ein Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof, falls Chamenei getötet wird und es sich nicht auf Selbstverteidigung berufen kann?
"Wahrscheinlich nein", antwortet Wentker. Israel habe 1985 seine Unterwerfungserklärung unter die Zuständigkeit dieses Gerichtshofs zurückgezogen. Zu Verstößen gegen das Gewaltverbot lasse sich seine Zuständigkeit deshalb nur schwerlich feststellen, sagt Wentker.
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