Am Wochenende bricht mal wieder Kritik über Ex-Gesundheitsminister Spahn herein. Es geht um die Art und Weise, wie er zu Beginn der Corona-Pandemie Masken beschaffen ließ. Ein Bericht stellt ihn als ehrgeizigen Karrieristen dar, der sich profilieren wollte. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit.

Als er noch Gesundheitsminister war, prägte Jens Spahn den Satz: "Wir werden einander viel verzeihen müssen." Damit meinte er das Krisenmanagement der Bundesregierung während der Corona-Pandemie - auch sein eigenes. Rückblickend hat die Äußerung etwas von "weiser Voraussicht". Denn im Moment sieht es so aus, als ob man Spahn sehr viel verzeihen muss.

Gerade macht wieder seine Beschaffung von Masken während der ersten Monate der Pandemie Schlagzeilen. Anlass sind Zitate aus dem neuen Bericht einer Sonderermittlerin, den Karl Lauterbach in Auftrag gegeben hat, Spahns Nachfolger als Gesundheitsminister. Die Autorin des Berichts, Margaretha Sudhof, ist wie Lauterbach SPD-Mitglied und war Beamtin und Staatssekretärin in mehreren SPD-geführten Ministerien auf Bundes- und Landesebene, im Berliner Senat.

Sudhofs Bericht soll 170 Seiten lang sein, wie mehrere Medien berichten, insbesondere der "Spiegel" sowie der Rechercheverbund aus NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Überprüfen lässt sich das nicht, denn das Dokument ist unter Verschluss. Es liegt im Gesundheitsministerium, dessen Führung mittlerweile wieder gewechselt hat. Die Ministerin heißt jetzt Nina Warken und gehört der CDU an. Sie will den Bericht nicht herausgeben.

Das alleine hat schon etwas Verdächtiges. Gab Lauterbach den Bericht nur in Auftrag, um Spahn eins auszuwischen? Und hält Warken ihn unter Verschluss, um das zu verhindern? Lauterbach und Warken bestreiten das. Spahn fordert derweil die Freigabe des Berichts. Bislang zitieren nur Medien daraus. Die Textstellen haben es in sich.

"Team Staat" oder "Team Ich"?

Laut "Süddeutscher Zeitung" schreibt Sudhof, "fehlendes ökonomisches Verständnis" und "politischer Ehrgeiz" hätten dazu geführt, dass nicht als "Team Staat", sondern als "Team Ich" gehandelt worden sei. So habe das "Drama in Milliarden-Höhe" begonnen. Spahn habe Masken im Wert von sechs Milliarden Euro kaufen lassen, von denen zwei Drittel nie gebraucht worden seien. Anbieter lieferten massenhaft unbrauchbare Masken, die der Bund dann nicht bezahlen wollte. Der Streit darüber beschäftigt noch immer Gerichte und könnte Staat und Steuerzahler noch einige Hundert Millionen Euro kosten.

Der "Spiegel" beschreibt unter Berufung auf Sudhof, wie Spahn die Maskenbeschaffung ins Gesundheitsministerium geholt habe - entgegen dem Rat seiner eigenen Experten. Eigentlich sei das Innenministerium mit seinem Beschaffungsamt zuständig gewesen. Im Covid-Krisenstab sei auch am 5. März beschlossen worden, dass sich das Innenressort darum kümmern sollte. Wollte Spahn sich bloß profilieren, indem er sich über etablierte Zuständigkeiten hinwegsetzte?

Fragen wirft auch die Beauftragung des Logistikkonzerns Fiege auf, der sich um Transport und Lagerung der Masken kümmern sollte. Fiege hat seinen Sitz in Spahns Nachbarwahlkreis, im westfälischen Greven. Spahn setzte durch, dass dieses Unternehmen den Auftrag bekam. Dabei hatte das Innenministerium laut dem Sudhof-Bericht zuvor bereits den Markt sondiert und DHL und die Deutsche-Bahn-Tochter Schenker als am besten geeignete Partner ausgemacht. Tatsächlich mussten die beiden Konzerne später mit einsteigen, weil Fiege zwar das ursprünglich vereinbarte, nicht aber das tatsächliche Volumen bewältigen konnte. Sudhof schreibt laut "Spiegel" von einem "Kollaps der Lieferketten".

Pikant: Fiege-Chef Hugo Fiege saß damals im Vorstand des Wirtschaftsrates der CDU - der ist kein offizielles Parteigremium, sondern gilt Kritikern vor allem als Lobbyverein. Wollte Spahn hier einem Unternehmen in der Heimat wider besseres Wissen einen Großauftrag zuschustern?

Schließlich beauftragte das Gesundheitsministerium die Unternehmensberatungen Ernest & Young sowie Deloitte damit, die Masken-Aufträge zu bearbeiten und Streitigkeiten zu klären. Eine Steuerung von Entscheidungen durch das Bundesministerium für Gesundheit gehe aus der aktuellen Aktenlage nicht hervor, moniert demnach Sudhof. Lagerte Spahn Verantwortung an externe Unternehmen aus?

Überhaupt die Aktenlage -dass die chaotisch war, hatte schon der Bundesrechnungshof moniert. Vielfach sei über Whatsapp kommuniziert - und die Nachrichten nicht archiviert worden. Laut "Spiegel" nutzte Spahn außerdem oft seine E-Mail-Adresse als Bundestagsabgeordneter, nicht die des Ministeriums. E-Mails aus dem Ministerium werden archiviert, die vom Konto des Abgeordneten Spahn dagegen nicht. Wollte Spahn seine Spuren verwischen?

Spahn: "Erinnert euch, wie dramatisch die Lage war"

Spahn, heute Fraktionschef von CDU und CSU im Bundestag, räumt Fehler ein, weist aber jeden Vorwurf unredlichen Handelns zurück. Im Interview mit der "Rheinischen Post" rief er am Wochenende die Notlage der beginnenden Pandemie in Erinnerung. "Das Motto war in dieser Not, dass wir Masken brauchen, koste es, was es wolle. Wir sind finanzielle Risiken eingegangen, um Risiken für Gesundheit und Leben zu reduzieren", so der CDU-Politiker. "Und wenn wir heute nun die Maßstäbe eines ganz normalen Verwaltungshandelns anlegen, dann kann ich nur sagen: Erinnert euch, wie dramatisch die Lage war. Da war nichts normal." Angesichts der Lage habe er selbst zum Hörer greifen müssen, um Masken zu beschaffen. Oder zu Whatsapp.

In einem Buch über die Corona-Zeit, das 2022 erschien ("Wir werden einander viel verzeihen müssen"), nimmt Spahn ausführlicher dazu Stellung: Anfangs seien die drei Beschaffungsämter des Bundes mit der Masken-Akquise beauftragt worden. Eines gehört zur Bundeswehr, eines zum Innenministerium, eines zum Zoll und damit zum Finanzministerium. Doch die hätten angesichts von "Wildwestmanieren" und "Goldgräberstimmung" bei Lieferanten nicht ausreichend Masken beschafft. Die Ämter hätten eine Ausschreibung nach der anderen veröffentlicht, doch die Lieferung sei in den seltensten Fällen eingetroffen.

"Mir wurde mit diesen Erfahrungen bald klar, dass das so, also auf den herkömmlichen Wegen und mit den eigefahrenen Verantwortlichen, nichts werden würde - jedenfalls nicht in ausreichendem Maß und nicht in der notwendigen Geschwindigkeit. Und so begannen wir im Bundesministerium für Gesundheit selbst, operativ in die Beschaffung von medizinischen Schutzmasken einzusteigen." Das sei "Chefsache" gewesen.

Die größte Selbstkritik übt Spahn beim sogenannten "Open-House-Verfahren", das er im April 2020 anwenden ließ. Dabei setzte der Bund Bedingungen und Vorgaben und nahm dann jedem, der ein entsprechendes Angebot abgab und rechtzeitig lieferte, die Masken ab. Als Preis setzte sein Ministerium damals 4,50 Euro fest. Intern hatte man dagegen einen durchschnittlichen Preis von 2,83 Euro ermittelt, wie die "Frankfurter Allgemeine" berichtete. Das führte dazu, dass die Bundesregierung massenhaft Masken zu hohen Preisen kaufen musste.

Piechotta: Er wollte den Macher geben, er war nur ein Dilettant

Das Open-House-Verfahren habe "gefühlt über neunzig Prozent des anschließenden Ärgers rund um die Maskenbeschaffung mit sich gebracht", schreibt Spahn in seinem Buch. "Hätte man auf dieses Verfahren verzichten können? Im Nachhinein: Ja! Für zukünftige Krisen kann ich diese Vorgehensweise jedenfalls nicht empfehlen", so der Ex-Minister.

"Spiegel" und "Süddeutsche" garnieren ihre Berichte mit Zitaten der Grünen-Bundestagsabgeordneten Paula Piechotta, die sich intensiv mit dem Thema befasst hat. "Spahn meinte offenbar, den Macher geben zu müssen, nun zeigt sich: Er war nur ein Dilettant, und das ist das Ergebnis." Deutschland werde auf einen dreistelligen Millionenbetrag verklagt, zitiert sie der "Spiegel". Der SZ sagte sie: "Überfordert waren wir alle. Aber wir haben trotzdem nicht 20-mal mehr Geld ausgegeben, als wir auf dem Konto haben, wir haben nicht Hunderte von Gerichtsverfahren ausgelöst, wir haben nicht Milliardenaufträge an Firmen in unserer Heimat vergeben, obwohl uns alle davon abgeraten haben."

Ob Spahn für Spitzenämter noch tragbar ist, bleibt eine Frage des Vertrauens, solange ihm kein eklatantes Fehlverhalten, möglicherweise im strafrechtlichen Sinne nachgewiesen wurde. Fehler hat er eingeräumt. Sind sie verzeihlich? Er selbst zitiert den CDU-Gesundheitspolitiker Karl Josef Laumann mit den Worten: "Wer nach der Krise nicht den Landesrechnungshof am Arsch hat, der hat alles verkehrt gemacht." Klar ist wohl vorerst vor allem eines: Die Aufklärung ist noch nicht abgeschlossen.

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