Russische Wegwerfagenten, sich schnell radikalisierende junge Menschen, eine drastische Zunahme an politisch motivierter Kriminalität - die verfassungsmäßige Ordnung sei "fast täglich Angriffen ausgesetzt", sagt Innenminister Dobrindt.

Erstmals zählt das Bundesamt für Verfassungsschutz in Deutschland mehr als 50.000 Rechtsextremisten. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt nannte diesen Befund bei der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichts eine erschreckende Zahl.

Dobrindt verwies darauf, dass sich das sogenannte rechtsextremistische Personenpotenzial in zehn Jahren mehr als verdoppelt habe, auf aktuell 50.250 Personen. Davon wertet der Verfassungsschutz 15.300 Personen als gewaltorientiert.

Es sei "ein dramatischer Befund, dass das in dieser Geschwindigkeit vorangeht", sagte der CSU-Politiker über die Entwicklung der letzten zehn Jahre. Das linksextremistische Personenpotenzial stieg in diesem Zeitraum ebenfalls an. Aktuell zählt der Verfassungsschutz 38.000 Linksextremisten, davon 11.200 gewaltorientiert.

AfD hat "Scharnierfunktion" im Rechtsextremismus

Rund 20.000 der mehr als 50.000 Rechtsextremisten verortet der Verfassungsschutz in der AfD. Das ist ein starker Anstieg im Vergleich zu 2023: Damals waren es noch 11.300. Die AfD ist damit die Partei mit den weitaus meisten Rechtsextremisten. Zum Vergleich: Die AfD hat nach eigenen Angaben 52.000 Mitglieder. Damit wären rund 40 Prozent der erfassten Rechtsextremisten AfD-Mitglieder. (Die vom Verfassungsschutz genannte Zahl beinhaltet auch die Mitglieder der in diesem Jahr aufgelösten AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative".) Insgesamt zählt der Verfassungsschutz 25.000 Rechtsextremisten mit Parteizugehörigkeit, darunter beispielsweise 2500 in der NPD, die sich inzwischen "Die Heimat" nennt.

Die AfD habe im Rechtsextremismus eine "Scharnierfunktion", sagte der Vizepräsident des Verfassungsschutzes, Sinan Selen, der den Bericht zusammen mit Dobrindt vorstellte. "Es werden Themen aufgegriffen, die ins Sagbare überführt werden." Laut Verfassungsschutz-Gutachten gibt es 8500 Rechtsextremisten, die außerhalb von Parteien organisiert sind, dazu 18.000 Rechtsextremisten als "weitgehend unstrukturiertes rechtsextremes Personenpotenzial".

Dobrindt lehnt AfD-Verbotsverfahren weiterhin ab

Mit Blick auf ein Verbotsverfahren äußerte Dobrindt sich erneut skeptisch. Seine persönliche Einschätzung sei, dass die AfD gesichert rechtsextremistisch sei. Er halte es aber für richtig, "die Auseinandersetzung mit der AfD politisch zu führen", sie "aus der Mitte heraus wegzuregieren".

Der Verfassungsschutz hatte die AfD Anfang Mai als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Nach einer Klage der Partei gab die Behörde vor dem Verwaltungsgericht Köln eine sogenannte Stillhaltezusage ab. Das bedeutet, dass der Verfassungsschutz die AfD bis zu einer Entscheidung des Gerichts offiziell nur als Verdachtsfall einstuft. An der inhaltlichen Einschätzung der Behörde ändert dies nichts. Dobrindt sagte, die Einstufung als gesichert rechtsextrem sei nur "auf Eis gelegt".

Die ursprüngliche Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch basiert auf einem Gutachten des Verfassungsschutzes, das offiziell bislang nicht veröffentlicht wurde. Allerdings ist das mehr als 1000-seitige Gutachten längst durchgesickert. Dobrindt sagte, dieses Gutachten reiche für ein Verbotsverfahren nicht aus. Selen nickte dazu.

Insgesamt fast 85.000 politisch motivierte Straftaten

Bereits bei der Vorstellung der Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität hatte Dobrindt gesagt, was bereits seine Vorgängerin Nancy Faeser und deren Vorgänger Horst Seehofer stets betont hatten: "Die größte Gefährdung für die Demokratie geht vom Rechtsextremismus aus."

Von den insgesamt 84.172 vom Bundeskriminalamt registrierten politisch motivierten Straftaten entfällt gut die Hälfte auf das rechte Spektrum. Aus dem linken Spektrum wurden 9971 Straftaten verübt. Religiös - zumeist islamistisch - motiviert waren 1877 Straftaten. Auf den Bereich, den der Verfassungsschutz dem Bereich "ausländische Ideologie" zurechnet, entfallen 7343 Straftaten. In allen Bereichen gab es im Vergleich zum Vorjahr einen erheblichen Anstieg.

Einen extremistischen Hintergrund sieht der Verfassungsschutz bei 57.701 Straftaten - das sind knapp 69 Prozent der politisch motivierten Straftaten insgesamt. Auch hier überwiegen deutlich Straftaten mit einem rechtsextremen Hintergrund (37.835).

Fast 3000 extremistische Gewaltdelikte

Unter den Straftaten registrierte der Verfassungsschutz 2976 extremistische Gewaltdelikte. Von Rechtsextremisten wurden 1281 Gewalttaten verübt, darunter waren auch sechs versuchte Tötungsdelikte. "Reichsbürger" verübten 105 Gewalttaten. Von Linksextremisten wurden 532 Gewalttaten verübt. Religiös motiviert waren 71 Gewalttaten, darunter drei versuchte und zwei "vollendete Tötungsdelikte". Zudem gab es 607 Gewalttaten aus dem Bereich der "ausländischen Ideologien". Im Vorjahr waren es in diesem Bereich 329, hier gab es also einen deutlichen Anstieg.

Dobrindt sagte, sowohl die Entwicklung des Rechts- als auch des Linksextremismus gehe stark mit dem Nahost-Konflikt einher. Das gelte auch für den islamistischen Terrorismus. Antisemitische Straftaten von Rechtsextremisten stiegen von 2762 im Jahr 2023 auf 2775 im vergangenen Jahr. 54 Vorfälle zählte der Verfassungsschutz als Gewalttaten. Von Linksextremisten wurden 99 antisemitische Straftaten verübt, darunter sechs Gewaltdelikte. Dies ist ein starker Anstieg: Im Vorjahr waren von Linksextremisten 36 antisemitische Gewalttaten verübt worden. Religiös motivierte Extremisten und nicht-islamistische ausländische Extremisten verübten 656 beziehungsweise 1776 antisemitische Straftaten, darunter insgesamt 87 Gewalttaten.

Online-Radikalisierung von jungen Leuten

Als relativ neues Phänomen verwies Selen darauf, dass junge Menschen als Extremisten registriert werden. "Wir sehen immer jüngere Menschen, die sich online radikalisieren, angeleitet werden und mitunter zu Aktionen übergehen", sagte der Vizepräsident der Behörde. Das bereite dem Verfassungsschutz besondere Herausforderungen, weil diese jungen Menschen nicht über einen langen Zeitraum ideologisiert würden, sondern sich sehr schnell radikalisierten.

Wie viele Personen diese Entwicklung betreffe und in welchen Milieus sie hauptsächlich stattfinde, wollte der Vizepräsident nicht sagen. "Die Quantifizierung können wir noch nicht vornehmen", sagte er. Selen verwies darauf, dass dies gleichermaßen für den Islamismus wie das rechtsextreme Milieu gelte.

Wegwerfagenten "wesentlicher Teil der neuen Bedrohung"

Dobrindt sagte, die verfassungsmäßige Ordnung sei "fast täglich Angriffen ausgesetzt". Er bezog das auch auf Cyber-Angriffe sowie auf Desinformationskampagnen, etwa durch Russland. Die Abwehr sei "ständig und zunehmend gefordert", so der Minister, auch von "ungeschulten Einzeltätern". Der Verfassungsschutz spricht von "Low-Level-Agenten", in den Medien ist häufig von "Wegwerfagenten" die Rede.

Drei solcher mutmaßlicher Wegwerfagenten stehen derzeit vor dem Oberlandesgericht München. Ihnen wird vorgeworfen, Anschläge in Deutschland geplant zu haben. Diese Low-Level-Agenten seien "ein wesentlicher Teil der neuen Bedrohung", sagte Dobrindt. "Wir gehen davon aus, dass sie von staatlichen Stellen Russlands den Auftrag bekommen haben, Anschläge vorzubereiten." Den Sicherheitsbehörden sei es gelungen, "möglicherweise erhebliche Anschläge zu verhindern".

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